Was Schrift sagt, ohne dass man es schreiben muss.
"Wenn Schrift das Abbild der Sprache ist, dann ist die Schriftform (der Font) die Stimmfarbe". So steht es - etwas ausführlicher - auf Seite 62, und ich könnte es nicht besser erklären. Schrift kommuniziert weit über den Text hinaus. Stelle dir vor, wie du den Schriftzug für "Hubba Bubba" Kaugummis gestalten würdest - oder den Namenszug des dänischen Kücheneinrichters "Minimalist"; Du siehst, worauf ich hinauswill? Welche Schrift erwarten wir über der Tür des Traditionslokals "Alte Post", und welche auf der schwarzen Namenstafel von "Olsen's Scandinavian Sushi"?
Wir verbinden viel mehr mit Schrift, als wir uns bewusst machen, und dieses SEHR umfangreiche Buch hilft, die Codes zu entschlüsseln und - viel wichtiger - Schriften zu identifizieren, die wir für unsere eigenen Projekte nutzen können sowie solche zu eliminieren, die vielleicht zunächst gut aussehen, aber technisch ungeeignet sind.
Das Buch beginnt mit einer historischen Einführung, erklärt, dass unsere "lateinische" Schrift eigentlich ein Mix zweier Schriftfamilien ist (lateinische Großbuchstaben und Karolinger Minuskel), die man vor ... tausendirgendwas Jahren zusammengeführt hat (tatsächlich - kleines und großes/lateinisches und Karolinger Gg oder Rr oder Qq oder Aa oder Nn ... da gibt es keine gemeinsame Herkunft), geht auf andere Schriftfamilien ein und lehrt den Leser die Fachterminologie: Punzen, Kurrenten, Schnurzug, Grotesken, Strichstärken, Schusterjungen und Hurenkinder. Das mag für Profis - das Buch wendet sich explizit an Designer und Kreative - wichtiger sein als für interessierte Amateure, aber das Wissen darum kann später noch von Interesse sein.
Knapp die Hälfte der 400 Seiten widmen sich der Les- und Anwendbarkeit, und das ist auch für Amateure wie mich von großem Interesse: was macht eine Bildschirmschrift aus, welche Schrift eignet sich besonders gut zum Druck auf kaschiertem oder "Büro"-Papier, welche Schrift eignet sich für den Druck auf Zeitungspapier und warum ist das wichtig? Wie wähle ich eine Schrift für ungestörtes, lineares Lesen? Und welche Schrift ist für kleine Schriftgrade (Anmerkungen in wissenschaftlichen Texten) geeignet. Anforderungsprofile und technische Lösungen werden genau behandelt; viel wichtiger ist aber, dass man ein Werkzeug in die Hand bekommt, mit dem man selbst eine fundierte Wahl treffen kann.
Nach der Lektüre, nach dem stunden- und wochenlangen Durcharbeiten dieses Bandes, werde ich die Schrifttype auf meiner Homepage ändern. Kurze Überschriften, Bullet-Points oder Eye-Catcher werde ich in einer anderen Type setzen, als längere Texte oder Blog-Beiträge, und auch mein "Standard" Font in Textverarbeitung und Mail ist schon umgestellt. Ich habe dafür sogar eine kostenpflichtige Schriftlizenz erworben - weil mir "SCHRIFT. Wahl und Mischung" verständlich erklärt hat, was ich schon immer "irgendwie gefühlt" hatte.
Ich war überhaupt nicht darauf vorbereitet, was dieses Buch, das den Blick auf die Umwelt, die Wahrnehmung von Schriften überall um uns herum, deutlich schärft und teils radikal verändert, mit mir anstellen würde. Schreibst du einen Blog? Hast du eine Homepage? Dann beschäftige dich mit der Schrifttype, mit dem Font, denn was du sagst, ist das Eine - WIE du es sagst, ist das Andere!
Absolut empfehlenswert - fünf Sterne und Kaufbefehl!
Die Daten
Kai Büschl, Oliver Linke. SCHRIFT. Wahl und Mischung erschien am 26. November 2021 im Rheinwerk Verlag. 400 Seiten, Hardcover in stabiler Fadenheftung. Bildbuchformat 21 x 28 cm. Gesetzt in den Schriften LD Moderne Slab (8/12 pt) und LD Grotesk (9/12 pt) von Kai Büschl. Zweifarbig gedruckt (Schwarz und Pantone 137 C, Buchdecke und Vorsatz Pantone 116 U) auf Bilderdruckpapier Magno Volume der Firma Sappi mit 1,08-fachem Volumen (115 g/m2). Buchdecke überzogen mit Surbalin Seda der Firma Peyer und veredelt mit einer Folienprägung (COLORIT 972).Hergestellt in Deutschland. Übersichtlich gestaltetes Layout mit zahlreichen Anwendungsbeispielen. Auch als E-Book erhältlich (87 MB).ISBN: 978-3-8362-6171-5-
Preis: 49,90 €
Hier geht es zur Leseprobe (PDF)
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Rezension: Stefan Schmitz
Bewertung
© Stefan Schmitz und Netzwerk Fotografie. Jedwede Art der Veröffentlichung, auch auszugsweise, bedarf der Genehmigung. Text: Stefan Schmitz, Bildnachweis: © Rheinwerk Verlag