Hallo Julius,
danke nochmal für Deine Rückmeldung zu meinen Fotos.
Ich möchte Deine Überlegungen nicht unkommentiert stehen lassen. Achtung, es ist etwas länger geworden.
dass Du den Blick sehr nach innen gerichtet hast
Ich liebe es, eine Kamera als Werkzeug in der Hand zu halten, den Blick durch den Sucher auf die unzähligen Motive zu richten, die mich umgeben, die Technik (meistens, hoffentlich
) im Griff zu haben und mich voll auf den Moment zu konzentrieren.
Mein Blick durch den Sucher, mein Finger am Auslöser, mehr gibt’s dann nicht für mich.
Ich erlebe solche Momente als Konzentration bei gleichzeitiger Entspannung. Andere meditieren stattdessen oder machen Yoga.
Das mag, anders ausgedrückt, vielleicht heißen, dass ich den Blick nach innen richte, um ihn durch die Fotos nach außen zu transportieren. Insofern stimme ich hier Deiner Einschätzung zu.
Es geht Dir um das Wesentliche schlechthin
Was die Motive angeht, so versuche immer wieder, das Besondere im Alltäglichen zu finden. Dabei hilft mir sicherlich, dass ich einen Blick für Details habe und Dinge sehe, die viele um mich herum gar nicht wahrnehmen.
Beliebte Kommentare zu meinen Fotos sind zum Beispiel „Huch, wo hast Du DAS denn gesehen?“ oder „Echt, DAS wächst bei uns im Garten? Wo denn?“.
Insbesondere bei meinen 365-Tage-Projekt-Fotos versuche ich, auszudrücken, wie ich die Welt sehe oder wie ich mich in bestimmten Momenten fühle.
Für mich werden die 365-Tage-Projekt-Fotos über einen längeren Zeitraum somit auch zu einem visuellen, sehr persönlichen Tagebuch.
Kamera und Kameratechnik sind dabei für mich immer Mittel zum Zweck, um dies bestmöglich umzusetzen.
(Was übrigens nicht ausschließt, dass mich die Technik fasziniert und ich mich gern auch mal in „Technikgeschwafel“
nach der besten Urlaubskamera oder dem Super-Objektiv einmische.)
Ich habe für mich mit der Fotografie ein Medium gefunden, mit dem ich meine Gedanken und Gefühle kreativ umzusetzen versuche.
Auch hier stimme ich Dir also zu: Es geht mir bei meinen 365-Tage-Projekt-Fotos um das (für mich) Wesentliche – und dabei auch um meine Gefühle.
Du siehst mit den Augen einer Frau, mit den Gefühlen einer Frau. Das unterscheidet Dich von dem Blickwinkel von Männern.
Dieser Einschätzung kann ich mich nicht anschließen. Ich halte nichts von der Unterteilung in Fotografie von Männern und Frauen, dem „weiblichen Auge“ – oder wie immer das genannt wird – und anderen Kategorien.
Es kann ja sein, dass ich einen speziellen Blick auf die Welt habe. Aber den haben wir doch alle!
Ich meine, dass wir uns alle unterschiedlich ausdrücken, weil wir alle ganz individuelle Erfahrungen gemacht haben und machen, weil wir alle das Leben unterschiedlich erleben und wahrnehmen.
Das hat für mich nichts mit Geschlechterkategorien oder anderen Kategorien zu tun.
Ich jedenfalls kann einem Foto oder auch einer ganzen Fotoserie im Allgemeinen nicht ansehen, was für ein Mensch dieses Foto gemacht hat.
Ob Männlein oder Weiblein oder noch ein ganz anderes Geschlecht, welche Hautfarbe, aus welcher Gesellschaftsschicht, welche sexuelle Orientierung, welches Alter und und und …
Ehrlich gesagt, stelle ich mir diese Frage auch gar nicht, zumindest nicht in erster Linie.
Mich interessieren bei einem Foto, das mir gefällt, ganz andere Dinge: das Motiv, die Szene, die Bildsprache, der Bildaufbau, das Licht, die Lichtführung, die Linienführung und vieles mehr, völlig losgelöst von der Frage, wer das Foto gemacht hat.
Das schließt für mich nicht aus, dass ich mich in einem weiteren Schritt, über das Foto hinaus, auch für die Person interessiere, die das Foto gemacht hat.
Genauso, wie ich auch bei Büchern, die mir gefallen, interessant finde, was für ein Mensch die Autorin oder der Autor wohl sein mag.
Das Wissen darüber bleibt für mich aber losgelöst von dem Foto oder dem Text.
(Dazu verweise ich auf Biografismus, Formalismus, Strukturalismus, "Was ist ein Autor?", Roland Barthes' "Tod des Autors" ... Das würde hier zu weit führen.)
Im Internet gibt es zu dieser Frage übrigens einiges zu lesen. Exemplarisch hier ein Link zu dem Artikel „Fotografieren Frauen anders als Männer“ aus 2015 von der Prophoto GmbH:
https://www.prophoto-online.de/aufgegriffen/fotografieren-frauen-anders-als-maenner-10009807 (aufgerufen am 15.2.2018)
Soweit meine Einschätzung zu meiner Art zu fotografieren und meine Meinung zum geschlechterspezifischen (Nicht-)Unterschied in der Fotografie.
Sollte Bedarf an einem Austausch oder einer weiteren Diskussion zu beiden Themen bestehen, immer gern.
Ich bin neugierig und finde die Themen auch spannend. Ich würde das dann allerdings gern in einen eigenen Faden verschieben. Danke.