#36 Auch ein Yeti.
Wir stapfen durch tiefen Schnee in unglaublich gleißendem Licht und verbrennen uns die Nase von unten! Die Temperaturen pendeln zwischen Extremen: eigentlich müsste es schon aufgrund der Höhe stets knackig kalt sein, aber die äquatornahe Sonne brennt sich mühelos durch die dünne, knochentrockene Luft. So halten wir es zur Mittagszeit im T-Shirt aus, während das Thermometer nachts auf -15°C fällt und die Fenster der unbeheizten Lodges innen dick mit Eis überzogen sind. Spätestens hier, in dieser unwirklichen und unwirtlichen Natur komme ich mir völlig deplatziert vor, als Gast willkommen, aber unfähig, auch nur eine einzige Nacht im Freien zu überleben.
#37 Der Mount Everest, ein Klotz aus Fels und Eis, im Kegel der Abendsonne. Wie muss es wohl sein, dort drauf zu stehen?
#38 Sofort nach Sonnenuntergang fallen die Temperaturen rapide.
#39 Perfekte Bedingungen für Nachtaufnahmen.
#40 Nach Wochen des Wanderns schmeckt ein Rosinenbrötchen so unglaublich lecker, koste es, was es wolle! Und das ist mit Blick auf den Everest gar nicht mal so wenig...
#41 Unterwegs begegnen uns häufig Yak-Karawanen, die Tiere sind nach wie vor unentbehrliche Helfer, die auch heute noch in der unzugänglichen Gebirgswelt das Überleben sichern.
#42 Doch man sollte ihnen mit Vorsicht begegnen, ich war nicht nur einmal plötzlich schneller, als mir lieb ist.
Nun steht die letzte Etappe an. Vom letzten Dorf vor dem Basislager, Gorak Shep, wollen wir zunächst den Kala Pattar besteigen, einen 5643m hohen Aussichts"hügel".
Bereits auf halber Strecke, in ca. 5400m Höhe, genießen wir einen fantastischen Blick auf Everest, Nuptse und Lothse. Fantastisch, nicht von dieser Welt – ich denke, das triffts. Ich versuche, die Dimensionen zu begreifen: wir laufen in einer Höhe, höher als der höchste Punkt Europas und vor uns türmen sich noch einmal 3 Kilometer schierer Fels und Eis. Just hier beginnt auch die „deterioration zone“ (wörtlich Verfallzone), in der kein anhaltendes Leben ohne künstlichen Sauerstoff mehr möglich ist. Keine Siedlung der Welt liegt höher und auch das Base Camp, selbst Tibet, ist nur einen Steinwurf entfernt. Dann verhüllen Wolken die Sicht und wir müssen umkehren.
#43
#44 Der Nuptse, links davon mit Wölkchen der Everest, der Gletscher im Vordergrund ist sicher an die 15km breit zu sehen.
#45 Noch einmal der Blick von einem Standpunkt weiter rechts - wir sind um 90° nach links um das Massiv gebogen.
Auszug aus Claudias Blogeintrag... "Trotz tiefer Müdigkeit winde ich mich hellwach; obgleich eisiger Kälte schwitze ich vor Angst. Der Abszess am linken Fußknöchel, mit dem ich mich bis hier hinauf nach Gorak Shep auf knapp 5200m gequält habe, pocht und pulsiert gnadenlos. Ich halte den Fuß aus meinen warmen Daunenschlafsack, doch bewirkt dies nur taube Zehen. Schon in zwei bis drei Stunden, gleich nach Sonnenaufgang, wollen wir endlich zu den Hauptzielen unseres Bergtrekkings aufbrechen – der erneute Aufstieg zum Kala Pattar und der Besuch des Everest-Basislager bedeuten einen insgesamt achtstündigen Marsch. Doch so nah am Ziel wissen mein Herz und meine Vernunft nur einen richtigen Weg: zurück nach unten – und zwar so schnell wie möglich!
Blasenentzündung, Erkältung, rissige Hände und Füße, stark verbrannte Lippen, Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, ein Abszess an der Ferse und nun ein walnussgroßer Abszess am Knöchel, den Daniel mehrfach mit einer Schere aufschneidet und zu reinigen versucht. Noch nie zuvor habe ich meine physischen Grenzen derart überschreiten müssen. Jetzt aber sagt mein Körper entgültig „Stopp“. Ich bin beruhigt, als Daniel verständnisvoll gemeinsam mit mir absteigt, gleichzeitig weiß ich aber um den schier endlos langen Halbtagesmarsch, den es bis in das Krankenhaus nach Pheriche (4240m) bedarf. Wie ich es bis dahin – Eis, Matsch und Flüsse überquerend – geschafft habe, keine Ahnung. Weiterreichende Details zum operativen Eingriff lasse ich an dieser Stelle aus...
#46
Wir hatten uns auf vieles vorbereitet, aber darauf nicht. Schließlich drohte der Abszess das Gelenk zu befallen, und wir sind umgekehrt, 2 Stunden vor dem Ziel. Was solls, das Basecamp ist ein langweiliges Tal ohne anständigen Blick...
Einen Tag später gibt es auch für mich kein Entrinnen mehr, ein Leistenabszess hatte für eine kurze Nacht gesorgt. Und so durfte auch ich mich unters Messer legen, in einem nepalesischen Lazarett, das - dem Herrn sei gedankt - von amerikanischen Ärzten betrieben wurde! Seitdem weiß ich unser Gesundheitssystem zu schätzen...
Am Abend gibt es dann für mich kein Halten mehr, ich steige nachts noch mal 200m auf, mogele mich durch Yaks und Hunde. So allein im Dunkeln bin ich über die Entscheidung abzusteigen ziemlich glücklich. Die Strapazen der letzten Wochen, die eingeschränkten hygienischen (Un)möglichkeiten, das eintönige Essen und nicht zuletzt die dünne, eisige Luft haben uns mehr zugesetzt als erwartet. Wir waren fix und fertig, mit blank liegenden Nerven. Es ist seltsam: wir haben keines unserer Ziele erreicht, aber das Gefühl, es aus eigenem Antrieb bis hierher geschafft zu haben, ist ein ausreichend schönes.
#47