NF-Rezension Rezension: André Giogoli / Katharina Hausel: Bildgestaltung

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Virgil Kane

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Die Autoren:
Der Fotograf André Giogoli und die Kunsthistorikerin Katharina Hausel haben sich für dieses Buch zusammengetan. Beide sind am selben Institut Lehrer für Design und bilden angehende Fotografen aus. Im Vorwort weisen sie daraufhin, dass der „Dreiklang Blick fürs Motiv, Technikkompetenz und Gestaltungskompetenz“ den Unterschied ausmacht zwischen einem gewöhnlichen und einem guten Bild.


Das Buch:
„Bildgestaltung“ ist aus dem Rheinwerk-Verlag. Das allein sagt bereits alles über die handwerkliche Qualität. Solider Einband, angenehmes Bilderdruckpapier, hervorragende Qualität der Abbildungen, klar strukturiertes Layout und eine gut lesbare Typographie sind inzwischen Markenzeichen des Verlags und über jeden Zweifel erhaben. Ein Lesebändchen und der eingedruckte Code zum kostengünstigen Download der E-Book-Version ergänzen die Ausstattung.


Der Inhalt:
Der Inhalt gliedert sich in 11 Kapitel. Aufeinander aufbauend behandeln sie die folgenden Themen:

  1. Bildgestaltung
  2. Ausrüstung und Technik
  3. Motive sehen und inszenieren
  4. Rahmen und Raum
  5. Punkte, Linien und Flächen
  6. Farbe und Licht
  7. Schwarzweiß
  8. Bildgestaltung im digitalen Labor
  9. Den Fotografischen Blick trainieren
  10. Regeln brechen
  11. Zeigen Sie Ihre Werke

Diese Hauptabschnitte sind in Unterkapitel aufgeteilt und werden durch doppelseitige Einführungsseiten untergliedert. Abbildungen sind in den Text eingebunden und zum größten Teil mit kurzen Begleittexten sowie den Aufnahmedaten versehen.

Zugegeben, der Einstieg in das Buch gelingt. Auf den ersten Seiten des Kapitels „Bildgestaltung“ werden sehr gegensätzliche Motive gezeigt, die darauf hindeuten, dass die Autoren das Thema umfassend abhandeln möchten. Sie bemühen hierzu psychologische Aspekte der Wahrnehmung und versuchen die Frage zu beantworten, „wozu und für wen“ wir überhaupt fotografieren. Die Antwort finden sie in dem ihrer Meinung nach jedem Fotografen innewohnenden Wunsch, die gemachten Fotos zu zeigen - sei es im Familienalbum oder in einer öffentlichen Ausstellung.

Nach diesem eher allgemein gehaltenen ersten Kapitel werden die technischen Basics erläutert. Der Leser befindet sich inzwischen auf Seite 40 und was sich bis dahin eher unterschwellig angedeutet hat, tritt nun immer deutlicher zu Tage. Es ist der kontinuierlich stärker werdende Wunsch, schnell weiter zu blättern. Warum ist das so?

Zum einen liegt es am verglichen mit seinem Gehalt viel zu umfangreichen Text. Das Buch ist insgesamt textlastig. Das allein ist noch nicht schlimm, wird es jedoch, sobald man sich mit dem Text befasst. Hier werden die gezeigten Abbildungen ausführlichst beschrieben, jeder Strich und jeder Schatten erläutert, als wollte man die Fotos einem Blinden erklären. Auch das würde man vielleicht noch hinnehmen, ja vielleicht sogar in einem Buch über Bildgestaltung erwarten, wären die Textaussagen nicht so flach und beliebig. Beispiele: Wer hätte gedacht, dass Personen größer wirken, wenn sie näher zur Kamera stehen als weiter entfernte? Wer würde erwarten, dass sich eine gelbe Fläche vor einem grauen Hintergrund tatsächlich abhebt? Auch in späteren Kapiteln, in denen dann Raster und Dreiecke und Winkel über die Fotos gelegt werden, setzt sich dieser Eindruck fort. Mal ist das Foto in Quadrate zerlegbar, mal in Rechtecke, mal zu Dreifünftel, dann wieder zu Dreiviertel - irgendwann schaltet man als Leser ab und gewinnt den Eindruck, dass es nur noch vollständig durchkomponierte Bilder gibt. Jeder, der seine Kamera blind in die Luft hält und den Auslöser betätigt, wird in der Lage sein, dem zufällig entstandenen Foto geometrische Muster aufzulegen, die dem Fotografen im Nachhinein Planung und ein gutes Auge bescheinigen.

Zum anderen liegt es an den ausgewählten Fotos selbst. Nur sehr wenige besitzen erkennbare gestalterische Qualität. Die meisten wirken beliebig und unspektakulär - von aktiver Bildgestaltung im Augenblick der Aufnahme ist nichts zu sehen.

Zusammengenommen entsteht daraus der oben erwähnte Impuls, umzublättern. Man möchte endlich, dass es los geht, möchte gute Fotos, gute Texte, wartet auf den Lerneffekt, sucht die erste echte Lektion. Schließlich hat sich der Verlag getraut „ Die große Fotoschule“ als verkaufsfördernden Untertitel auf das Cover zu drucken. Bislang wird dieses Versprechen noch nicht eingelöst.

Auch im Technikteil wird es nicht besser. Zwar bemühen sich die Autoren um eine umfangreiche Abhandlung, besprechen Kameras (digital und analog), Objektive und Zubehör wie Stative und Filter. Der Stil ist jedoch derselbe: viel Text, teilweise sehr oberflächliche Inhalte und nichts wirklich Neues.

Die weiteren Kapitel setzen diese Trends leider fort. Beliebige Fotos, ausführlich beschrieben und ohne echten Lerneffekt. Räume, Geometrien, Farben und Licht werden beispielhaft bebildert in dem Bemühen, den gezeigten Fotos themenbezogen auf der Textspur Sinn zu geben. Wer hätte gewusst, dass der Bayer-Sensor in Digitalkameras doppelt so viele grün-empfindliche Elemente besitzt als rote oder blaue, weil unsere genetischen Vorfahren vor Millionen Jahren gelernt haben, dass Grün gleichbedeutend ist mit Nahrung? Und was sagt es über den Informationsgehalt des Kapitels „Farbe und Licht“ aus, wenn einem ausgerechnet diese Info im Gedächtnis bleibt?

Tatsächlich muss man sich bis zum Kapitel 8 gedulden, bevor es besser wird. Mit dem Abschnitt „Bildgestaltung im digitalen Labor“ beginnt der eigentliche Unterricht. Inzwischen hat man sich bis auf Seite 308 vorgekämpft. Zur Belohnung bekommt man nun gute Inhalte serviert: es geht um den richtigen Beschnitt, um Perspektiven und Schärfeverläufe, Weißabgleich und Bildlooks. Die Texte werden weniger umfangreich, Fotos zeigen Varianten, Vorher-nachher-Vergleiche vermitteln die angewandten Effekte - kurz: so sollte das gesamte Buch gestrickt sein, um seinem Anspruch gerecht zu werden! Auch das anschließende Kapitel, bei dem es um die Schulung des fotografischen Blicks geht, macht in diesem Stil weiter und liefert zahlreiche Anregungen für eigene Projekte. Dieser zweite, leider kleinere Teil des Buches ist durchaus eine Empfehlung und allein ihm gelten die Punkte der Bewertung. Das gesamte Buch kann er allerdings nicht retten.


Für wen ist dieses Buch geeignet?
Für Freunde von Büchern aus dem Rheinwerk-Verlag.
Für Leser, die in der Lage sind, Bücher selektiv nach ihren Interessen zu durchforsten.
Für Schnell-Leser, die unwichtigen Text ausblenden können.


Fazit
„Bildgestaltung - Die große Fotoschule“ hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Ambitioniert umgesetzt und lektoriert, fehlt es dem Buch zu großen Teilen an Qualität und Inhalt. Was könnte man besser machen? Eine Neuauflage sollte sich am gelungenen Kapitel 8 orientieren. Die Reduzierung des Textes auf das Wesentliche sowie Fotos von themenbezogen höherer Qualität bei gleichzeitiger Halbierung des Umfangs würden dem Buch gut tun.
3 Sterne.

Die Daten
André Giogoli / Katharina Hausel. Bildgestaltung erschien am 29. September 2017 im Rheinwerk Verlag. 427 Seiten, gebunden, in hochwertiger Fadenheftung. Großes Bildbuchformat 21 x 24 cm, mit Lesebändchen. In Farbe gedruckt auf matt gestrichenem Bilderdruckpapier (135 g). Gut lesbare serifenlose Schrift (Linotype Syntax 9,25 Pt.). Zweispaltiges Layout. Mit zahlreichen Originalfotografien und Inspirationen für Ihre eigene Fotografie. Auch als E-Book zum Herunterladen im PDF-Format (232 MB) und als Onlinebuch erhältlich.
ISBN: 978-3-8362-3940-0
Preis: 44,90 Euro (Buch) | 39,90 Euro (E-Book) | 49,90 Euro (Buch und E-Book im Bundle)

Hier geht es zur Leseprobe.

Bewertung:
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ISBN: 383623940X

 
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Ich kenne das Buch nicht. Aber dieser Satz drückt in kongenialer Weise aus, was Du meinst:

Jeder, der seine Kamera blind in die Luft hält und den Auslöser betätigt, wird in der Lage sein,
dem zufällig entstandenen Foto geometrische Muster aufzulegen, die dem Fotografen im
Nachhinein Planung und ein gutes Auge bescheinigen.


Grüße, Christian
 
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