NF-Rezension Henk van Rensbergen. No Man’s Land

Thread Status
Hello, There was no answer in this thread for more than 30 days.
It can take a long time to get an up-to-date response or contact with relevant users.

AnjaC

Administrator
Teammitglied
Administrator


Eine Rezension unseres Community-Mitglieds Ansgar Hoffmann

Ein gelungenes Buch, das irritiert, verstört, verunsichert

Henk van Rensbergen legt mit No Man’s Land das sechste Buch vor, das zunächst scheinbar an die Reihe Abandoned Places anknüpft, quasi als Fortführung dieser Reihe: eine ansprechende und Neugier erweckende Melange aus postapokalyptisch anmutenden Szenen, gekonnt festgehalten vom belgischen Fotografen und Piloten Henk van Rensbergen, einem Vorwort des Verhaltensforschers Desmond Morris und einer eigens für dieses Buch verfassten Kurzgeschichte des flämischen Dichters, Regisseurs und Schauspielers Peter Verhelst.

Henk van Rensbergen, Pionier oder laut englischsprachigem Verlag gar „Godfather der Urban Exploration“, erweckt die Imagination, was wäre, wenn die Menschheit nach einer Katastrophe verschwände und sich die Natur das Urbane zurückerobere. Das Morbide, die Verlassenheit, die Zeichen des Untergangs wirken verstörend und bedrückend. Manches erweckt den Eindruck, als hätte sich ein bereits jahrelang dauernder Dornröschenschlaf über Häuser, Wege und Landschaften gelegt. Anderes eher so, als wäre am Vortag noch ein Mensch dort gewesen.

Abweichend vom Gedanken der Urban Exploration (Akronym Urbex) dreht sich das Interesse nicht allein um die Ruinen unserer urbanen, städtischen Zivilisation, sondern allgemeiner um von Menschen verlassene Orte, seien sie nun urbanen Ursprungs oder nicht.

Die einzigen sichtbaren Lebewesen sind Vögel, Ziegen, Pferde, Hyänen, Nashörner, Elefanten, … Oft stellt sich mir als Betrachter allerdings die Frage, wie die Tiere an diese Orte gekommen sind. Und handelt es sich überhaupt um Lebewesen? Oder sind es lediglich Präparate, die vom Fotokünstler zur situativen Gestaltung eingesetzt werden? Auf vielen Aufnahmen wirken die Tiere seltsam leblos. Der Dank an das Königliche Belgische Institut für Naturwissenschaften in Brüssel am Schluss des Buches unterstützt diese Hypothese zusätzlich.

So wirken die Situationen auf den Betrachter stellenweise konstruiert, obwohl dies meiner Meinung nach einer wichtigen Regel van Rensbergens widersprechen würde: keine Veränderungen an den Orten vorzunehmen. Diese finden sich aber auf Aufnahmen mit Elefanten in einer Parkgarage: im Rund der Auffahrt liegt Stroh, wie in einem Zirkuszelt ausgestreut, auf nacktem Beton.

Aber vermutlich ist dies der Tatsache geschuldet, dass es sich gerade nicht um Urbex in seiner originären Form handelt, sondern um die Erzählung einer Geschichte im Kontext Verlassene Orte. Das Vorwort von Desmond Morris führt in diese Fiktion ein. Er beschreibt drei verschiedene Bedrohungsszenarien, die für das Verschwinden allein der menschlichen Spezies verantwortlich sein könnten. Und zwar – dies ist das Bedrohliche – nicht als Science-Fiction, sondern als reale Gefahren.

Was wäre, wenn…? Was wäre, wenn der Mensch die von ihm bezwungene Natur frei gäbe – gezwungenermaßen? Wenn Fauna und Flora sich ungehindert ausbreiten könnten – die Fauna ihres größten natürlichen Feindes beraubt?

Auch Morris stellt die Frage in den Raum, wie es van Rensbergen gelungen ist, die Situationen – mit den verschiedensten Tieren besetzt – fotografisch einzufangen. Während er jedoch keine Antwort auf diese Frage erwartet, da diese „die Magie des Augenblicks zerstören würde“, irritiert mich diese offene Frage als Betrachter und wartet anhaltend auf eine Antwort.

In dem Kontext der Fiktion ist es verständlich, dass es zu den Aufnahmen keine weitergehenden Informationen, z. B. zu Ort und Zeit, gibt, analog zu dem zuvor erschienenen Buch Abandoned Places von 2016.

Auf zehn Seiten folgt dem Hauptteil des Buches das Logbuch – ein Katastrophenbericht von Peter Verhelst. Geschrieben im Stil eines Expeditionsprotokolls, greift das Logbuch die Idee des Katastrophenszenarios auf und führt dieses literarisch fort. Wenn der Leser an dieser Stelle Klarheit oder Antworten auf zuvor aufgeworfene Fragen erwartet, so wird er hier enttäuscht. Wie ein spannend inszenierter Film entlässt der Bericht – nein, das ganze Buch! – den Leser in eine diffuse Verunsicherung, einem Nachhängen und eine anhaltende Nachbetrachtung.

Layout und Qualität
Nach einem fünfseitigen Vorwort in einem doppelspaltigen Layout folgt der Hauptteil des Buches: großformatige Aufnahmen in hoher Qualität, die durch Aussparung weiterer Informationen nur für sich selbst sprechen. Sie verfehlen nicht ihre beabsichtigte Wirkung.

Das Buch gefällt in seinem Querformat, das vor allem der Präsentation der Fotografien sehr entgegen kommt. Gedruckt wurde auf geglättetem bzw. gestrichenem, starkem Papier. Eine hochwertige Fadenheftung rundet den guten Eindruck ab.

Fazit und Empfehlung
Ein gelungenes Buch, das irritiert, verstört, verunsichert; das Erwartungen weckt z. B. bezüglich Urban Exploration, Widersprüche hierzu enthält und ein wiederholtes In-die-Hand-nehmen erfordert, um sich der Buchidee zu nähern und sie zu verstehen.

Wer Interesse hat an Lost-Places-Fotografie, eingerahmt von fiktionalen und literarischen Elementen, dem sei dieses Buch zur Lektüre empfohlen. 4,5 von 5 Sternen.

Die Daten
Henk van Rensbergen (Fotografie), Peter Verhelst. No Man’s Land. Zwischen Utopie und Wirklichkeit verlassener Orte erschien am 19. Februar 2018 im Verlag Knesebeck. Aus dem Englischen von Claudia Theis-Passaro. Gebunden in Halbleinen, 192 Seiten mit 95 farbigen Abbildungen, 30.0 x 24.0 cm
ISBN: 978-3-95728-153-1
Preis: € 50,- [D] 51,80 [A]

Hier könnt ihr im Buch blättern.

Rezension: Ansgar Hoffmann

Bewertung:
picture.php


ISBN: 3957281539

 
Anzeigen
-Anzeige-
Zurück
Oben Unten