6300 km in die Fremde

Lydian

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Eine Familie mit 4 Kindern, die bisher ihre Urlaube im Schwarzwald, in Österreich und der Schweiz verbrachte und mit Camping nichts am Hut hatte, verlässt 1973 die pfälzische Provinz, reist mit Auto und "Faltwohnwagen" 3 1/2 Wochen gen Südosten, um in einem völlig unbekannten Land in einer Stadt, die schon damals größer war als die drei größten deutschen Städte zusammen, einige Jahre zu leben. Rückblickend irgendwie ein verrücktes Unterfangen.

Im Rahmen der Schilderung einer Urlaubsreise nach Afghanistan im Jahr 1974 wurde der Wunsch nach weiteren Berichten von unseren Reisen in diesen Jahren geäußert.
Über weitere Berichte -von o.g. Reisen- würde ich mich sehr freuen.:)


So sei es. Beginnen möchte ich mit der Fahrt im Jahr 1973 von Deutschland in den Iran. Das war so etwas wie die "Mutter aller Reisen", nur dadurch konnten wir in den nachfolgenden Jahren die Fahrten innerhalb des Iran bzw. bis nach Indien und Nepal durchführen.


Und so fing das an wie in einem Familien-Campingurlaub, den man in den 70ern eben so machte

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führte dann u. a. über übelste Straßen wie den abenteuerlichen Tahir-Pass in Ostanatolien und am Ararat vorbei

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in ein Land, das wir Kinder überhaupt nicht und unsere Eltern maximal aus sehr spärlichen Berichten in Tageszeitung und TV kannten. Dieses Land, der Iran, wurde unsere Heimat für die folgenden Jahre.​

Wie auf allen unseren Reisen der damaligen Zeit dabei: Rolleiflex mit Zeiss Tessar 3,5/75, Zeiss Ikon Contarex mit Planar 2,0/50, SW- und Dia-Filme. Die Dias der Contarex habe ich professionell digitalisieren lassen, die Negative der SW-Rolleiflex selbst abfotografiert und mit Lightroom umgewandelt. Neben den - wie ich meine - oft sehr gelungenen Fotos wird im Laufe dieser Reportage auch das eine oder andere grisselige, unscharfe SW-Bild auftauchen. Die älteste Schwester besaß eine Kodak Instamatic, mit der sie auch alltägliche Szenen festhielt, die meinen Eltern wohl nicht wichtig waren, die aber nach so vielen Jahren durchaus interessant sind. Keines der Fotos stammt von mir - überwiegend war unser Vater der Fotograf, da die Mutter in aller Regel mit uns Kleinen beschäftigt war.
 
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Lydian, ich freue mich sehr auf den Bericht.

Gute Erinnerungen habe ich an den VW412 Variant.
Darin haben wir in den 70ern auch unsere Sommerurlaube verbracht.
Für uns war der 412er ein Wohnmobil.
Hinten lag eine dicke Matratze, auf der ich während der Fahrt gelegen habe.
Geschlafen habe ich auf den Vordersitzen.
Für längere Aufenthalte gab es ein "Hundehütten"-Zelt.
So konnten wir auf den Anhänger verzichten.
Es ging z.B. zum Nordkap und an das Schwarze Meer.
Das waren damals außergewöhnliche Ziele.
Mit dem Auto in den Iran war damals für mich unvorstellbar.

Umso gespannter bin ich auf Eure Reiseerlebnisse.
 
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ich freue mich auf Deinen Bericht aus einer Region in der die Welt damals noch "in Ordnung" war. Zumindest wenn man die Entwicklung der letzten Jahre betrachtet.
 
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Für uns war der 412er ein Wohnmobil.
Das funktionierte mit 6 Personen natürlich nicht, aber ich erinnere mich an die eine oder andere Nacht, die wir zu viert im 412 verbracht haben.
Mit dem Auto in den Iran war damals für mich unvorstellbar.
Für uns auch. Wir haben uns einfach nichts vorgestellt und sind gefahren. Völlig ohne Ahnung, was uns erwartet.

ich freue mich auf Deinen Bericht aus einer Region in der die Welt damals noch "in Ordnung" war. Zumindest wenn man die Entwicklung der letzten Jahre betrachtet.
Das ist die westliche Perspektive. Für viele Iraner war die Welt seit der Operation Ajax 1953 schon nicht in Ordnung.

VW 412 Variant:
Das war wohl so um 1969/70, der sprang, wenn es nass war, nicht an;

Ab 1968 gab's den 411, den 412 ab 1972. Wir hatten weniger ein Problem bei Nässe, sondern mehr bei Hitze. Aber nicht während der 73er Reise.
 
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Die Vorgeschichte in Kürze:

Als Englisch-Lehrer machte unser Vater im Sommer 1972 eine Fortbildung in England. Einer der Kollegen setzte ihm den Floh ins Ohr, dass man als Lehrer einige Jahre an einer deutschen Schule im Ausland verbringen könne. Fremde Länder, neue Erfahrungen, neue Sprachen und Kulturen .... Helsinki oder Kapstadt, Mexico oder Tokio...... was für Möglichkeiten! Unmittelbar nach der Rückkehr ging er an die Bewerbungsschreiben. Das Verfahren lief über das Auswärtige Amt; die Auswahl der einzustellenden Lehrer war jedoch Sache der jeweiligen Schule. Fünf Wünsche bezüglich des konkreten Einsatzortes durfte man nennen. Mexico war der Favorit der Eltern, Tehran nicht unter den Wünschen. Woher auch?

In den Sommermonaten kam eine Absage nach der anderen. Die Hoffnung schwand. Dann ein Anruf. Es meldete sich der Leiter der Deutschen Schule in Tehran, Iran. Er wäre morgen am Mannheimer Hauptbahnhof und bat um ein persönliches Gespräch. Mein Vater also nach Mannheim um Dr. Richard Kopp, den Direktor der DST zu treffen. Einige Tage später war der Vertrag da: Vom Schuljahr 73/74 bis 76/77 Einsatz in Tehran. Mit der Option auf eine 2jährige Verlängerung.

Was wir nicht wussten: Die DST war zur damaligen Zeit die größte deutsche Auslandsschule überhaupt.

Dann ging es irgendwie sehr schnell: Familie und Freunde informieren, Umzug organisieren, Wohnung vermieten, Anreise klären. Dann Auto kaufen (der VW 1500 wäre hoffnungslos überfordert gewesen), Faltwohnwagen kaufen. Die grundsätzlich mögliche Anreise per Flugzeug wurde nie ernsthaft in Erwägung gezogen. Aber alleine fahren wollten die Eltern nicht. Schon allein wegen uns Kindern. Sie schrieben alle vier weiteren Kollegen an, die in diesem Jahr ihren Dienst in Tehran antraten in der Hoffnung auf Reisegefährten. Jedoch zogen alle den 6stündigen Flug vor. Die Eltern entschieden, alleine loszufahren.

Im Nachhinein betrachtet die beste Entscheidung ever. So konnten wir uns über Österreich - Jugoslawien - Griechenland - Türkei langsamer an das Fremde herantasten.
 
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Einmal mehr bin ich erstaunt über Menschen, die sich ganz freiwillig auf derartige Abenteuer einlassen können und ziehe meinen Hut vor deinen Eltern.
Ich bin sehr gespannt, wie es weiter geht und freue mich darauf, dich und deine Familie begleiten zu dürfen!
 
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Unsere Reisegefährten

VW 412 Variant
(hier beim Ölwechsel irgendwo in Griechenland):

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Optisch dem einige Jahre später erhältlichen VW Passat sehr ähnlich, technisch jedoch ein Kind der 60er Jahre, so in etwa ein Bulli (VW T2) im anderen Kleid. Luftgekühlter Boxer im Heck, 68 PS. Im Fond keine Sitze, sondern eine Bank. Mit Einzelsitzen hätte das mit uns vier Kindern ja auch nicht hingehauen. Die lange "Motorhaube" vorne war der Kofferraum. Schwachpunkt: luftgekühlter Motor bei Hitze.

Faltwohnwagen von Jamet (diesen niederländischen Hersteller gibt es immer noch):

Siehe Fotos im ersten Beitrag. Den Deckel hochschieben, rechts und links zwei "Flügel"ausklappen, diese mit einem Gestänge abstützen, fertig. Auf den "Flügeln" schliefen wir Kinder jeweils zu zweit. In der Mitte gab es zwei Sitzbänke längsseits und eine kleine Küche mit Gaskocher und Spüle. Die konnte man praktischerweise auch draußen verwenden (siehe SW-Foto). Das elterliche Bett wurde durch die Tischplatte gebildet, die man auf die Sitzbänke legte. Diverse Polster wurden zu einer Matratze gefügt.
Schwachpunkt: die Reifen!

Vielleicht sollte ich noch erwähnen, dass vor dieser Reise unsere Familie noch nie eine Nacht im Zelt verbracht hatte. Immerhin hatten die Eltern jeweils Zelt-Erfahrungen mit Jugendgruppen in früheren Zeiten...

 
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Natürlich gab es in unserem Umfeld jeden Menge Bedenken und Unverständnis bezüglich dieses Vorhabens. Wie gefährlich ist das! Mit vier Kindern!! Ins Morgenland!!! Und tatsächlich: Der erste Unfall ließ nicht lange auf sich warten. Nach ca. 80 km im Raum Stuttgart beschädigte ein LKW der US-Army beim Rückwärtsfahren auf einem Parkplatz (wahrscheinlich musste mal wieder jemand...) die Kofferraumhaube. Also vorne....

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Es gab auf den folgenden ca. 6.220 Kilometern keinen weiteren Unfall mehr, auch keine Panne.

Weiteres besonderes Vorkommnis des ersten Tages: Nach ca. 7 km fragte die jüngste (5 Jahre): "Papa, wann sind wir endlich in Teheran*?"

*Zu Beginn war auch bei uns noch die übliche deutsche, aus der französischen Bezeichnung der iranischen Hauptstadt abgeleitete Benennung der Stadt in Gebrauch. Schon bald jedoch bürgerte sich bei uns die international und vor allem im Iran übliche Bezeichnung "Tehran" ein.
 
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Toll, dass du uns noch eine Geschichte aus dieser Zeit erzählst!
Ich fand die Afghanistan-Reise schon sehr spannend!

Irre mutig von deinen Eltern, finde ich! So spontan, ohne weitere Infos, und - ja, mit 4 Kindern! Wobei man ja sagt, die Kinder sind die Türöffner in fremden Kulturen ...
War aber mächtig eng auf der Rückbank, oder? Gut, dass man noch keine Kindersitze nehmen musste :)

Bin sehr gespannt!

Viele Grüße,
Sylvia
 
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Ich fand Deine anderen Reportagen schon sehr spannend. Deshalb freue ich mich darauf, wie es hier weitergeht.
 
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1972 habe ich 1 Jahr bei einer Spedition in der Abteilung Iran-Verkehre gearbeitet. Was haben wir damals (teure) Autos in den Iran transportiert. Alles über Russland , eine Bahnstrecke über die Türkei gab es noch nicht. Die Autos wurden immer an die russisch /iranische Grenze nach Djulfa (?) geschickt. Dort wurden sie abgeholt, vorher die Zöllner bestochen, da der Zoll auf PKWs sehr hoch war. Bezahlt hat den meines Wissens aber niemand. Einmal kam aus Versehen ein BMW in Teheran an, der wurde wieder zurück nach Djulfa geschickt. Hat funktioniert. Mit der Russischen Eisenbahn gab es häufig Streit wegen der Frachtdeklarationen. Konstruktionsteile kosteten 17 DM/1000 kg, Maschinen 35DM/1000kg. Mehrfach hat man uns Falschdeklaration unterstellt. Einmal waren wir kurz davor von der Strecke zu fliegen. Als ich mein Zeugnis abgeholt habe (ich wollte wieder zur Schule gehen) hat mir mein Chef einen Vertrag für Teheran hingelegt. Die Konditionen sahen erst einmal ganz toll aus aber Teheran war damals eine der teuersten Städte der Welt. Wenn man mir zum Gehalt die Wohnung in Teheran gezahlt hätte, wer weiß..
 
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Vielen Dank für Deinen Reisebericht.:)

Die Abenteuerlust Deiner Eltern ist bewundernswert -bin gespannt wie es weiter geht.
 
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War aber mächtig eng auf der Rückbank, oder? Gut, dass man noch keine Kindersitze nehmen musste :)

Wahrscheinlich ging es schon eng zu, aber ich habe das nicht als Problem in Erinnerung. Wir Kinder (bei der Abfahrt zw. 10 und 5 Jahre) waren sehr schlank und wenig Platz gewohnt. Ein paar Jahre zuvor sind wir zu sechst im R4 in Urlaub gefahren.
 
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Ich fand Deine anderen Reportagen schon sehr spannend.


Danke. Aber so spannend wie unsere Afghanistan-Reise war es nicht. Die Route:

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Goggle Maps gibt hier weniger km an als unser Zähler im VW. Wir fuhren ja nicht stur nach Tehran, sondern machten unterwegs Urlaub. Den einen oder anderen Verhauer wird's auch gegeben haben.


Wie erwähnt, waren die ersten Tage eher ein üblicher Campingurlaub. Es gibt nur 08/15 Urlaubsfotos, die aber rückblickend betrachten manchmal durchaus interessant sind.

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Bei 4 Kindern immer ein Thema: die Verpflegung. Brötchen waren für uns immer Highlights; zuhause gab's nur Graubrot. Was ich hier sehe: Rama, "Kunsthonig" (kennt das noch jemand?), Schmelzkäse-Ecken ... so Zeugs essen wir heute nicht mehr.

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Auch die Kleidung gibt rückblickend immer wieder Anlass zum Schmunzeln.


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Wahrscheinlich schon in Slowenien (bzw. Jugoslawien). So weit waren wir noch nie von Zuhause weg. Was man erkennen kann: die schmalen Reifchen des Zeltanhängers. Erstaunlich, dass sie bis zum Ziel durchhielten. Während der folgenden Reisen hatten wir dann jede Menge Reifenpannen, die uns teilweise lange ungeplante Aufenthalte bescherten.​
 
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Straße in die Heimat, in den Urlaub oder ....

In den 60er und 70er Jahren galt der "Autoput" durch Jugoslawien als die gefährlichste Straße der Welt. In manchen Jahren starben hier mehr Menschen als auf allen deutschen Autobahnkilometern zusammen. Gründe: weite Entfernung, die teilweise sehr monotone Streckenführung, das in den Sommermonaten, wenn die Gastarbeiter in die Heimat bzw. wieder an den Arbeitsort fuhren, extreme Verkehrsaufkommen, übermüdete Fahrer mit teilweise äußerst riskanten Fahrstil und nicht zuletzt die Vielzahl an vollkommen überladenen Fahrzeugen.

Erinnerungen habe ich kaum, nur an viele PKW mit grotesk umfangreicher Ladung auf dem Dach. Fotos davon gibt es nicht, wieso auch? Hier im Hintergrund kann man es erahnen. Das Foto entstand kurz vor der griechischen Grenze. Allmählich wurde es fremder, die Vegetation spärlicher, die Menschen wirkten ärmer. Wir sahen erste Esel auf den Straßen.

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In Skopje sahen wir große Teile der Stadt in Trümmern. Die Folgen des verheerenden Erdbebens von 1963 mit über 1000 Todesopfern waren noch nicht aus dem Stadtbild getilgt. Etwa 75 Prozent der Einwohner verloren damals ihr Zuhause. Hier entschieden die Eltern, nicht die kürzere und meist übliche Route über Bulgarien zu nehmen, sondern in Griechenland ein paar Tage am Meer richtigen Urlaub zu machen.


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An der Grenze zu Griechenland


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Für uns neu: Wassermelonen. In den folgenden Jahren wurden sie zu unserer Grundnahrung.


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Auch das Auto benötigte Pflege. Warten beim Ölwechsel.

Vom Strand bei Thessaloniki gibt es jede Menge Familien-Strand-Fotos, die nicht von Belang sind.​
 
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So ähnlich wie damals an der Grenze sieht es jetzt manchmal in Hamburg auch aus :fahne: beim Treffen an der Oldtimer-Tankstelle ! :D
 
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