Gerne würde ich noch etwas weiter ausholen, auch wenn ich mich vermutlich dann in die Nessel setze:
Selbst seit Jahren als Ausbildner tätig - nicht im fotografischen Geschäft - aber in Führungs-, Team- und Konfliktbereich in der Erwachsenenbildung. Gleichzeitig bin ich aber auch tätig im Einzel- wie im Gruppencoaching und in der Kaderausbildung.
Wir haben es hier, im Forum wie auch in der Fotografie wie auch überall sonst mit verschiedenen Ebenen zu tun. Alles über einen Zaun brechen dient der Sache nicht. Ich spreche im Folgenden von mir und meinen Erfahrungen und meiner Fotografie.
1. Sehen und Sehgewohnheiten
Die Welt um mich bietet rein physikalisch schon wesentlich mehr Pixel als ich es rein biologisch wahrnehmen kann (Netzhaut). Somit ist mein Sehen bereits - objektiv betrachtet - nicht mehr objektiv.
Meine Sehgewohnheiten sind nebst dem biologischen Faktor aber auch abhängig von meinen mir antrainierten Sehgewohnheiten. Diese können bewusst aber auch oft sehr unbewusst sein.
2. Fotografie
Fotografie wie auch die bildende Kunst aber auch die musikalische Kunst setzt Dinge voraus. Barock war Barock, eine Sinfonie hatte aus drei Sätzen zu bestehen und all' das hielt, bis es sich änderte. Der Knatsch ob in Opern und Oratorien mit Rezitativen gearbeitet wird oder nicht dauerte Jahrzehnte.
Fotografie setzt auch Regeln oder vielmehr vorgaben, welche sich einerseits auf die biologischen Gegebenheiten des Menschen stützt, andererseits aber auch auf die "gesellschaftliche Akzeptanz".
3. Emotionen
Emotionen sind immer stärker als der Verstand. Das war schon immer so, so sind wir gebaut. Emotionen werden dem Menschen aber nicht in die Wiege gelegt - bis auf ein paar "Uremotionen", sondern sind das Produkt des eigenen Erleben und die Verarbeitung daraus. Oft bewusst, oft unbewusst. In der "Traumatologie" sieht man das schön. So kann ein Bild oder eine Musik oder ein Satz eine längst vergangene Emotion auslösen und sie vom Empfinden her so greifbar machen, als fände sie erneut statt. Ich habe - nicht in dieser Intensität oder Dramatik - bei meinen Bildern aus Amerika oder Neuseeland solche Erfahrungen gemacht.
4. Meine Fotografie und das Forum
Fotografieren tue ich freiwillig. Ich habe als in keinem "Markt" zu bestehen. In meinem Beruf bin ich aber auch denselben "Zwängen" resp. "Erwartungen" ausgesetzt wie jeder andere auch. Dabei versuche ich das Beste zu geben, plädiere aber auch immer mir selbst gegenüber wie dem Umfeld auch, die 80/20 Regel zu proklamieren: 80% läuft gut, 20% wäre Ausbau fähig.
Fotografie ist für mich seid Jahren nur noch eine emotionale Angelegenheit. Mittlerweile bin ich vermutlich soweit, dass ich vor dem Eiffelturm stehen könnte und von ihm kein Bild machen, wenn er mich nicht berühren würde (auf irgend welche Weise).
Wenn ich aber fotografieren würde, um viele Thanks und viel Zuneigung hier abzuholen, dann könnte ich das auch nicht. Jede Kritik freut mich, jeder Daumen oder Sterne oder was auch immer.
5. Fotografie und Öffentlichkeit
Wenn ich also professionell fotografiere, also mein Produkt Fotografie verkaufen muss, dann unterliege ich andern Gesetzmäßigkeiten. Selbst dann, wenn ich es als "Kunst" vermarkte (möchte noch hinzufügen, dass ich noch keinen roten Heller für eins meiner Bilder verlangt habe oder bekommen habe ...
). Hier gehört es zum Job, dass ich mich positioniere. Eine Auftraggeberin hat mir einmal gesagt, dass sie mich nicht bezahlen würde für das was ich nicht könne. Aber sie würde mich schaurig gerne bezahlen, für das was ich ausgezeichnet könne.
Wenn ich also hier ein Bild einstelle, seien Bilder von Reisen oder Naturbilder oder was auch immer, dann "spielen" wir hier in einer andern Liga. Dann geht es weniger darum die "professionelle Latte" zu setzen als vielmehr mit der Grundlage welche gefragt ist. Ich würde zum Beispiel kaum Auftragsfotografie machen können. Da kommt mir mein Quergeist gehörig in den Weg...
6 Fotografie und Persönlichkeit
Letztlich sind es trotzdem nur Menschen, welche hinter der Kamera stehen. Eine "eigene Bildsprache" hat letztlich jeder, aber nicht jeder hat dieselbe Intension sich dessen bewusst zu machen oder sie zu optimieren. Oft ist es aber auch so, dass der Hobbygärtner mehr Dünger unter sein Gemüse mischt als der Gemüsebauer, welcher davon lebt.
7. Emotion und Bild
Grundsätzlich sind wir von Musik und Bildern komplett überfordert. Musik rieselt überall, Bilder sehen wir überall. Licht und Schatten sehe wir Tag und Nacht und im Grunde genommen wird es zunehmend schwieriger für den Menschen mit all den äusseren Reizen umzugehen. Es fällt schwer sich in Themen einzugeben, oder zumindest freiwillig, weil wir tagsüber schon dermassen gefordert werden.
Ob ein Bild auf mich emotional wirkt, oder bei mir Emotionen auslöst hängt stark von meinem Hintergrund ab, so wie ich ihn in Punkt 3 beschrieben habe. In meiner Beratertätigkeit muss ich aber aber soweit gehen können, dass Erlebtes welches mir fremd ist, auch emotional und/oder belastend sein kann. Das muss ich hier nicht. Hier im Forum muss ich das nicht. Wenn mich ein Bild nicht berührt, weil ich es emotional nach voll ziehen kann oder bei mir Emotionen auslöst, kann ich es stehen lassen als ein "technisch gutes oder schlechtes" Bild. Ehrlicher wäre dann zu sagen, es gefällt mir einfach nicht oder ich kann nichts damit anfangen.
8. Ich und das Forum
Ich bin nicht der Meinung, dass Kritik hier im Forum oder generell im Internet nicht möglich ist. Aber ich glaube auch dass es sehr schwer ist, "Kritik" angemessen und Adressaten gerecht zu formulieren. Das hat nicht nur mit dem Kritikgeber zu tun sondern auch mit dem Kritikempfänger. Dass es hier und anderswo immer etwas oberflächlicher zu und her geht liegt meiner Meinung nach in der Sache der Natur.
Ich schätze daher einige vertiefte Kontakte zu verschiedenen Usern von Euch. Hie und da eine PN über ein Bild, ein Nachfragen, etwas persönliches, das klärt schon viel. Es macht mein Bild nicht besser und nicht schlechter, aber es ermöglicht allenfalls für mich ein Weiterkommen.
Das Bild neulich von Johannes, "Bodyguards", hat mich emotional erwischt. Und ich hatte, wider seinem Titel, eine komplett andere Assoziation zu diesem Bild. Sie war sofort da, ich musst nicht lange studieren. Es dauerte einfach eine Weile, bis ich es formulieren konnte.
9. Zusammenfassung
Es wäre wohl zu ambitiös mittels eines Forums zu einem "Künstler" zu werden. Dennoch glaube ich nach wie vor, dass es gerade das NF über all die Jahre - und damit meine ich die User - geschafft hat, ein stabiles doch recht hohes Niveau an Fotografie zu halten. Es wäre vermessen und irrtümlich zu glauben, das NF (viele Foren) zu einer Kunstgalerie zu machen mit seitenlangen wortgewaltigen Exzessen über Bild und Kunst. Das meine ich, ist ja weder das Ziel noch die Absicht hier.
Entsprechend dem ist Kritik oder die Kritikfähigkeit von und an Usern auch in Relation dazu zu setzen. Dennoch bin ich überzeugt, dass man hier sehr viel lernen kann, dass die vielfältigen und vielseitigen Sichtweisen hier sehr inspirierend sind und oft hoch spannend. Aber nebst dem ist es eben auch oft entspannend und amüsant. Und vor allem eines ist es ganz bestimmt: menschlich und wenig abgehoben ... und das ist doch schon sehr erholsam nebst der anspruchsvollen Arbeitswelt ...