Warum eigentlich nicht....

Thread Status
Hello, There was no answer in this thread for more than 30 days.
It can take a long time to get an up-to-date response or contact with relevant users.

sam25

NF-Community VIP Member
Registriert
....steht auf einem der vielen aufgehängten Zettel an der Bürotüre vom Haus meiner Eltern. Jetzt, wo auch unsere Mutter gestorben ist, gilt es für uns Kinder, das Haus zu räumen ...

Ich konnte nicht fotografieren bisher und doch habe ich es mir vorgenommen. Um im grössten Gewühl und doch alleine, als ich auf die Mulde wartete, machte ich einen Rundgang durchs Haus...

Handels Musik hat mich dabei begleitet und einmal mehr habe ich erfahren, dass Fotografie weit mehr ist als nur das Ablichten von Motiven. Es war emotional, aber auch irgendwie wie ein Rundgang durch eine Museum, von dem ich ein Teil bin....

So lade ich Euch ein, einen Rundgang mit mir zu. machen, beginnend am Eingang, bis hinauf zum ersten Stock und einen kleinen Abstecher in den Garten ...


1


picture.php
 
Anzeigen
Wir alle sind in diesen Räumen aufgewachsen. Den Wohnsitz haben wir nie gewechselt, bis auf wenige Monate, wo wir irgend in einem Praktikum irgendwo anders wohnten. Irgendwann sind wir ausgezogen, aber es schien uns, als auch zu Besuchen immer wieder ein Stück nach Hause kamen ...

Wenn die Türe aufgeht, dann hingen dort viele Jacken und Mäntel...und es hat mich etwas schockiert, dass nun nur noch die Kleiderbügel hingen ...

Beim Aussortieren der Jacken und Mäntel haben wir in fast jeder Tasche ein Münzstück gefunden. "Kollekten-Batzen" haben wir das genannt. Unsere Eltern gingen nicht nur regelmässig zur Kirche, sie haben auch immer wieder irgend einem Strassenmusiker oder Bettler etwas in den Hut gelegt ...


2


picture.php
 
Kommentar
Der zweite Blick fällt auf das kleine Ding an der Wand, wo der Briefkastenschlüssel lag. Seit ich mich erinnern kann war er dort.

Post war etwas sehr wichtiges für unsere Eltern und für uns. Meine Mutter pflegte rege Brieffreundschaften. Als das Telefon aufkam, waren es dann auch viele Telefonate.

Aber Post war immer wichtig. Meine Mutter vor allem war eine ausgesprochene Ästhetin. Entsprechend dem hat sie sich immer wieder durch unzählige Magazine durchgeschlagen....


3


picture.php
 
Kommentar
Wer genau hinschaut, dem begegnet das Thema "Afrika" schon am Eingang. Seit ich mich erinnern kann war Afrika, insbesondere der "Belgisch Kongo" ein Thema. Ein Thema, welches ich in der dritten Generation am Aufarbeiten bin und irgendwie versuche in eine geeignete Form zu bringen ...


4


picture.php
 
Kommentar
...und wenn ich mich vor dem langen Korridor, wo wir Kinder mit dem Vater immer wieder Fussball gespielt haben umdrehe, dann sehe ich das schöne, halbrunde Möbelstück, welches ebenfalls seit Ewigkeiten dort steht...

Dort wurden die Hausschlüssel und die Autoschlüssel deponiert. Und wenn die Mutter uns Kindern etwas bereit stellte, auch wenn wir schon lange erwachsen waren, dann stand das dort auf dem "Halbmond-Tischchen" ....


5


picture.php
 
Kommentar
Fotografie weckt alle Sinne, das Sehen, das Hören, das Riechen, das Schmecken, das Fühlen ...

Es weckt Geschichten und jedesmal als ich heute auf den Auslöser drückte, habe ich wiederum einen kurzen Moment abgeschlossen ...

Das Geräusch, wenn mein Vater am Morgen auf den Barometer klopfte und sich die Zeiger bewegten und er eine Wetterprognose stellte, werde ich so schnell nicht vergessen. Entweder lag es an der Genauigkeit des Barometers oder am Kloppen meines Vaters, oder an beiden ...

Die Prognose stimmt immer und ich kann mich erinnern, dass wir Kinder uns, vermutlich mehr unbewusst als bewusst danach richteten....


6


picture.php
 
Kommentar
Es lag wohl in unserer Familien, sowohl der Zweig der Mutter wie des Vaters, dass Geschichte, Malerei, antike Möbel und allgemein Kunst immer wieder ein Thema war ...

Erst heute ist mir wieder einmal aufgefallen, wie viele Bilder in Haus der Eltern hingen ...


7


picture.php
 
Kommentar
Hier im Korridor hingen nicht immer die gleichen Bilder. Als Kind hing dort lange Zeit ein Foto einer afrikanischen Frau, vermutlich von meinem Grossvater fotografiert. Er muss irgendwie direkt in einem bestimmten Winkel in ihre Augen fotografiert haben, so wir immer den Eindruck erhielten, dass sie, wenn wir durch den Korridor gingen, uns nachschaute ...

Irgend eines Tages mag ich mich erinnern, hat die Mutter gesagt, dass das Bild wegmüsse. Es gebe ihr auf die Nerven, wenn sie ständig beobachtet würde ...


8


picture.php
 
Kommentar
Überall hingen Ansichtskarten oder Karten und Zettelchen mit schönen Sujets oder Sprüchen ...

Sie wurden manchmal ersetzt, manche blieben jahrelang am selben Ort hängen ...

Diese "Kleber" ander Küchentüre hätte ich fast übersehen ...


9


picture.php
 
Kommentar
Der renovierte, markante und renovierte Kirchenbank haben meine Eltern bei der Kirchenrenovation gekauft und in die Küche gestellt.

Es war der Lieblingsort meines Vaters. So manche, auch innige und tiefsinnige Gespräche haben wir in der Küche geführt. Auch in den letzten Tagen zu Hause musste er immer wieder "genötigt" werden, sich in die Stube zu begeben und auf einen Stuhl zu gehen, wo er die Beine hochlagern könne ...


10


picture.php
 
Kommentar
Der Abstecher ins Badezimmer lohnt sich eigentlich nicht. Wenn ich genau nicht wieder das gefunden hätte, was mich immer wieder an unseren Eltern fasziniert hat. Insbesondere an meiner Mutter, weil sie hatte es ausgeprägt ...

Überall hing etwas, irgendwie. Für Aussenstehende machte es oft keinen Sinn. Ich weiss von meiner Mutter, dass alles an dem Ort hing, wo es ihrer Empfindung nach hingehört ...


12


picture.php
 
Kommentar
Man müsste den Blick in diesem Haus permanent gegen den Boden richten, wollte man sich den Bildern entziehen ...

Als Kind war das für uns selbstverständlich. Ja, noch als Erwachsene. Wir kannten nichts anderes, jetzt fällt es mir auf ...


14


picture.php




Fortsetzung folgt ....
 
Kommentar
Lieber Sam,
ich kann dir nachfühlen.
Die Wohnung meiner Eltern ist ihre zweite Wohnung, somit auch (erst) die zweite Wohnung unserer Familie, seit dem Sommer 1966.
Hier sitze ich auch jetzt gerade, ich kenne hier jeden Nagel und Dübel, der in der Wand steckt. - Ich weiß, wie die Wände hinter der
Tapete aussehen!
Wenn ich hier durchlaufe, habe ich den genauen Laufplan im Kopf und weiß, wieviele Schritte ich in welche Richtung machen muß,
um von A nach B zu kommen.
Der allergrößte Teil unseres gemeinsamen und meines Lebens hat sich hier abgespielt.

Ich nenne die Wohnung "Hauptquartier" oder "Basisstation" und mag nicht an die Zeit denken, wenn ich nur noch hier am Haus
vorbeilaufen und zu den Fenstern hochblicken, aber nicht mehr werde eintreten können, weil ich keinen Schlüssel mehr habe...

Grüße,

Christian
.
 
Kommentar
Lieber Sam,

ich kann dir leider keine Thanks geben für deine Bilder (und die Texte dazu), weil es mir zu weh tut. :heul:
Es ruft in mir die Erinnerung herauf an vor 30 Jahren, als meine Eltern kurz hintereinander starben und die Wohnung aufgelöst wurde.
Die Wohnung meiner Eltern im obersten Stock des Hauses meiner Kindheit und Jugend (die dann völlig umgebaut wurde und seit dem von jemandem bewohnt wird, der auch gleich noch die Wohnung einen Stock drunter gemietet hat), der Hof, die Straße davor, der aufgelassene Friedhof gegenüber, das ganze Viertel in München, meiner Geburtsstadt,
sind mir noch so präsent, als wäre ich erst gestern weg gezogen...
Gestern Nacht träumte ich sogar, dass mein Vater mich in dieser Wohnung begrüßte und umarmte.
 
Kommentar
Lieber Sam,
ich kann dir leider keine Thanks geben für deine Bilder (und die Texte dazu), weil es mir zu weh tut.

Geht mir - fast - ähnlich, nur aus genau gegenteiligen Gründen.

Das Haus meiner Eltern habe ich immer als unpersönlich empfunden.
Meinem Vater hätte ich gern das freundschaftliche " Sie " angeboten.
Meine Mutter hatte ein Radio in der Küche, ansonsten gab es einen Fernseher im Wohnzimmer. Das Weltgeschehen war zwar bekannt, wurde aber nicht diskutiert.
Ein Hobby hatten sie eigentlich nicht so richtig. Mein Vater liebte seine Aktien und las ständig Börsenberichte und meine Mutter backte ab und zu einen Kuchen und verschwand ansonsten gern in historischen Romanen. Mein Vater las keine Bücher, kannte wohl einige.
Sie reisten gern.
 
Kommentar
Sehr intime Eindrücke, die du uns hier gibst. Danke für das Vertrauen in uns Fotografen / innen. Man sieht alles erst, wenn es vorbei ist. Und dann rennt das Leben erneut an einem vorbei!
 
Kommentar
"Warum eigentlich nicht ...". Drei Worte welche ich erst jetzt, mit 55 Jahren begreife ...

Meine Eltern haben es mir vorgelebt, ich führe es weiter. Danke an beide Michael's, danke an Christian und Kay. Eure Worte, Eure Geschichten berühren mich sehr ...

Ich war, um es klar zu stellen, bei diesem "Shooting" nicht traurig. Im Dezember habe ich ein Buch von Peter Bichsel gelesen. Er hatte eine Vorlegen irgendwo im Osten und er hat sich im Treu und Glauben ernsthaft mit dem Leben nach dem Tod auseinander gesetzt. Eine junge Studentin kam auf ihn zu, nach der Vorlesung und fragte ihn, warum er sich dann für die Frage nach dem Leben interessiere. Es sei eine zentrale Frage, hatte er geantwortet. In meinem Verständnis hat die junge Frau geantwortet, ist es müssig darüber Gedanken zu machen. Vielmehr sei es von Belang, woher der Mensch komme und nicht wohin er gehe. Woher er komme sei auf jeden Fall heraus zu finden, wohin er gehe sei Spekulation ...

Die Mutter meiner Mutter war von zentraler Bedeutung. Meine Mutter sprach immer sehr wohlwollend über sie, auch wenn sie sie sehr früh verloren hat....

Ein Bild, insbesondere dieses hing irgendwo, so lange ich mich erinnern mag ....


15


picture.php
 
Kommentar
Meine Mutter war irgendwie eine gläubige Frau, mein Vater auch. Aber beide unterschieden nie zwischen "Ethnien" oder anderen Gesichtspunkten. Ihr Credo war immer, dass Menschen, und dies völlig egal wer er oder sie ist, woher er oder sie kommt, welcher Religion er oder sie entspringen, Menschen sind und man gegenseitig einen respektvollen und anerkennen Umgang pflegt ...

Meine Eltern hatten darum nie Mühe, unsere Pflegekinder als ihre Enkelkinder zu betrachten und ihnen so zu begegnen, wie sie allen andern Menschen auch begegneten ...

Meine Mutter liebte Engel. Sie war überzeugt dass diese Wesen sie im Alltag begleiten würden ... es fiel mir erst bei diesem fotografischen Rundgang auf, wieviele Engel im Haus un im Garten zu finden sind ...



16


picture.php
 
Kommentar
-Anzeige-
Zurück
Oben Unten