Svalbard - Eine Irrfahrt auf der Suche nach Eisbären (Teil 3: Outer Space)

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Stephan Fürnrohr

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Diese Episode ist wirklich lang geworden - ich hoffe Ihr haltet durch! :)

Die Nacht kam, aber es wurde nicht dunkel. Jedenfalls nicht so dunkel, dass man nicht noch aus der Hand fotografieren konnte (auf dem schwankende Schiff ist ein Stativ ja auch kaum zu gebrauchen - es lebe VR!).
Was mich zu einem echten Problem hier oben führt.
Wenn das Licht gut ist, kann man sich seinen Schlaf abschminken. Das ist echt anstrengend...man merkt am Anfang kaum dass man nicht schläft - es bleibt ja hell, und warum sollte man da schlafen? Und so kam ich irgendwie schon mit Augenringen aus Longyearbyen an Bord.

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Aber kann man sich solches Licht entgehen lassen?

Irgendwann bin ich dann doch ins Bett gegangen, um am Morgen von dem Ruf „Eis“ geweckt zu werden. Angezogen, hochgestiegen, rausgegangen - und erstarrt. Der Anblick der Eisschollen um uns herum jagte mir eine Gänsehaut auf den Rücken - und das nicht wegen der Kälte. Der Anblick ist so erhaben, dass es nicht zu beschreiben ist.

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Ein Fotofreund hatte mich vorgewarnt. Er erzählte, dass er nach seiner Grönlandreise oft von Eisbergen geträumt hatte und im Halbschlaf in der aufgetürmten Bettdecke im Schummerlicht Eisberge auf sich zukommen sah. Er hatte nicht zu viel versprochen.
Wir sahen zwar keine richtig großen Eisberge - aber das Eis ist trotzdem einfach nur faszinierend. Es glättet das Meer und dämpft alle Geräusche, man hat den Eindruck einer großen Stille.

Pünktlich nach dem Frühstück wurde uns ein kleiner Eisberg serviert.

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Da wir uns ja auf einer „Fotografenreise“ befanden, bekamen wir ausgiebig Gelegenheit, die Eisberge fotografisch zu erschließen. Kapitän Per Andersson war so nett, um jeden Berg ein paar langsame Kreise zu drehen. Dadurch hatten wir binnen weniger Minuten die Eisberge in völlig anderen Lichtsituationen vor den Linsen.

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Stein oder Eis?

Wenig später drängte sich ein weiterer Berg vor unsere Objektive, dieser hatte visuell einen völlig anderen Charakter als der erste.

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Panzer eines Eisreptils?

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Oder eine Büste mit dynamischer Frisur?

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Oder was?

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Auch etwas entsättigt nicht schlecht.

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Vor dem Berg dümpelte ständig ein einsames Gryllteisten-Weibchen dahin...

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...und wir erfreuten uns an seiner Linienführung und an seinen Tonwerten.

Eine keine technische Info: bei keinem Bild ist die Sättigung angehoben. Mit ganz wenigen Ausnahmen wurden die Bilder durchgehend als „Standard“ in CNX entwickelt. Bei den vielen Bildern ist der Horizont und bei fast allen die Tonwertkurve etwas angepasst, bei manchen wurde danach die Sättigung etwas zurückgenommen. Die Ausschnitte sind zu 99% „as shot“.


Diese Eisberge waren ein tiefes und fast schon spirituelles Erlebnis (falls ich das als Agnostiker so sagen darf :zwinker:).
Auch hier spukte mir ein Literaturzitat durch den Kopf, nämlich die Eingangsepisode von Stanislav Lems „Fiasko“ - als Pirx kurz vor seiner Schockfrostung über die bizarre Schönheit und Wucht des kosmischen Formenschatzes nachdenkt. Ein Formenschatz, der in seiner Vielfalt die Mühen aller menschlichen Künstler zu jämmerlicher Stümperei degradiert und doch ohne jede Eitelkeit, ohne unseren Exhibitionismus an den entlegensten und unzugänglichsten Stellen der Erde aufgestellt ist. Und so vergänglich...der Eisberg schmilzt, die Formen verschwinden, die Natur kümmert es nicht.

Dieser Tag war vom Anfang bis zum Ende ein Erlebnis.
Die Lichtstimmung war durchgehend sehr geheimnisvoll.

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Selbstportrait am Bug - das Wasser war glatt wie ein Spiegel.


Wir fuhren nach Ost-Nordost, in Richtung des südlichen Endes vom Austfonna - dem gigantischen Gletscher, der fast die gesamte Nordost-Insel bedeckt. Der Austfonna erstreckt sich über mehr als 8.100*km² (zusammen mit Vegafonna 8.492*km²) und ist der flächenmäßig größte Gletscher Europas.

Auf dem Weg dorthin begegneten uns zwei weitere, tonnenschwere Wunder der Natur. Dieses Mal in unmittelbarer Nähe: zwei Walrosse. Es fällt schwer, Worte zu finden die diese Viecher beschreiben. Sie wirken einfach nicht wie von dieser Welt. Liegen fett und rund auf Ihrer Eisscholle, an Land unförmig, plump und langsam, wirken sie wie ausgeschnitten aus der Apothekenzeitung: „Die Folgen von schwerem Übergewicht...“. Mit Ihren roten Augen schauen sie teilnahmlos-neugierig und irgendwie traurig in die Welt. Man fühlt sich erinnert an den guten alten Seelefant (bei Urmel aus dem Eis von James Krüss, Ihr wisst schon ;-)).

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Eigene Scholle.

Das Walross ernährt sich vor allem von Muscheln, die es aussaugt. Dazu hat es äußerst muskulöse Lippen. Die zwei überdimensionalen Hauer dienen hauptsächlich als Geweih und wenn nötig zum verprügeln hungriger Eisbären, die sich aber nur selten an Walrossherden herantrauen - denn das kann tödlich enden. Nebenbei gibt es das Problem, dass sich der Eisbär recht hart tut, an einem Walross eine Stelle zum reinbeissen zu finden. Die Radien sind einfach zu groß, als dass man da einfach mal ne Gurgel packen oder in einen Kopf beissen könnte.

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Wenn sie so offen ausatmen weht es die stricknadeldicken und hochsensiblen Barthaare zur Seite.

Selbstverständlich gab es hier einst viel mehr Walrosse als heute (um Svalbard angeblich um die 2000 Exemplare). Aber das Walross bietet Elfenbein, welches sich weniger verfärbt als das von Elefanten. Das reichte, um auch hier ein Blutbad anzurichten - oft wurden (nachdem die auf Distanz wehrlosen Tiere mit Lanzen abgestochen wurden) nur die Köpfe abgehackt und der Rest liegen gelassen. Soviel zum Beitrag der sog. Krone der sog. Schöpfung.

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Diese Lippen - da wird Angelina neidisch. Der Kuss eines Walross kann für einen durchschnittlichen Menschen tödlich sein. :zwinker:

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Kein Ansatzpunkt zum reinbeissen vorhanden.

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„Broken Hauer“ hatte übrigens mehrere große, runde Narben. Die Spuren vergangener Paarungskämpfe?

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Nach ein paar Runden um die Scholle tuckerten wir weiter....

Zwischendurch gab es wieder einen Eisberg. Dieser hier wollte wohl unbedingt dem Wort „bizarr“ neue Bedeutung geben.

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Zu Eis erstarrte Ritter längst vergangener Armeen?


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Entsprechende Belichtung und eine dezente Anhebung des Kontrasts brachten aber auch wieder ganz andere Ansichten zum Vorschein.


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Weiter in Richtung Nordosten wars wieder auch landschaftlich sehr schön.

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Doch der Tag war noch nicht zu Ende und das eigentliche Highlight wartete noch.

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Nachdem wir schon an einigen Gletscherfronten vorbeigetuckert waren sollte der Anblick der Abbruchkante des Bråsvellbreen (ein Gletschersurge auf der südlichen Seite des Austfonna schob das Eis 1937-38 ein paar Kilometer weit ins Meer) noch ein ganz besonderes Schmankerl werden.
Wie eine endlose weiße Linie zog sich die senkrechte Eiswand von einem Ende des Horizonts zum anderen. Hin und wieder stürzten Bäche oben aus dem Gletscher, Schmelzwasser welches uns am nächsten Tag noch beschäftigen sollte.

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Das Licht wandelte sich auch hier und so sahen wir verschiedenste Farbenspiele auf dem Eis.

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Selbstportrait (ich winke :) )

Unser cooler Kapitän hatte sich in den Kopf gesetzt, heute noch einen ganz besonderen Stunt zu ermöglichen. Er fuhr bis an das Eis heran - dann kletterten Rolf und Norbert hoch und posierten für die Filmcrew.

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Immer dabei: der „Bleiföhn“.

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Danach setzte er den Bug erneut ans Eis, die Matrosen brachten eine kleine Leiter und der Weg war offen. Es kam mir so kurz wie ein Lidschlag vor - der Entschluss: ich muss da rauf - kurz ein Herz gefasst und, ohne ins Eiswasser nach unten zu schauen, hochgeklettert.
Es war wie ein Schritt durch ein Portal in eine andere Welt. Plötzlich war ich oben - und das Schiff irgendwo da unten, weit weg auf einem anderen Planeten - und das Eis erstreckte sich unter einem sich langsam in Richtung dunkelblau und rosa verfärbenden Himmel nach Norden ins Unendliche. Dort oben wusste ich nicht mehr, ob ich wach bin oder träume.
Und ich glaube dass es dem Häuflein dass mit mir nach oben kam genauso ging. Jede/r hatte da ein eigentümliches Leuchten im Gesicht.

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Auf eigene Gefahr: Das Schiff bleibt zurück.


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Nach Nord-Nordost etwa 115 km Eis.

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Die Gletschereroberer.
(Links das Team vom Bayerischen Fernsehen, daneben Norbert Rosing. Rolf Stange, unser Guide, kniet vorne in der Mitte)

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Norbert Rosing, authentisch mit Leica - happy shooting.

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Später kamen noch 3 Leute der Besatzung auf den Gletscher hochgekraxelt - mit Glühwein im Handgepäck.
Die Lady mit der Thermoskanne war unsere Smutje. Das Essen an Bord war, nebenbei bemerkt, fantastisch.

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Fotografenglück - In Pose für den Selbstauslöser.

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Irgendwann gings zurück aufs Schiff.

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23:58 Uhr

In einer Bucht am Ende des Gletschers ankerten wir, um dort die Nacht zu verbringen.

Einer dieser Tage, die man nie vergessen kann.



...to be continued....


Ciao,
Stephan


http://www.time-for-inspiration.de
http://www.twitter.com/stephansd
 
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Tolle Natureindrücke und Lichtstimmungen sind das, danke!
+
Grüße :)
Oliver
 
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Moin,

herrliche Bilder. Machen süchtig.

Übrigens: Agnostik und Spiritualität schließen sich keinesfalls gegenseitig aus. Irgendein hoher Buddhist, ich bin mir leider nicht mehr sicher, wer es war, sagte einmal: "Der Glaube an einen Gott versperrt den Blick auf die wahre Erkenntnis".
 
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Phantastisch!
Ich möchte auch sofort wieder los ins Eis...
Immer wieder muss man sich sagen: Ich bin wirklich hier, das ist alles wahr!
Wie gut kann ich das nachvollziehen: die Lichtstimmungen auf dem Eis und das Leuchten in den Gesichtern - Geschenke fürs Leben.

Sylvia
 
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Ich freue mich schon auf September 2011, da bin ich dann auch zum ersten Mal unterwegs um Spitzbergen.
Leider ist die Origo nun ausser Dienst, so dass wir die MS Stockholm nehmen müssen, das Schwesterschiff.
Allerdings hat die dann den Vorteil, dass wir nur gerade mal 12 Gäste sein werden an Bord.
Deine Bilder machen tolle Stimmung und Vorfreude auf die Fahrt nach Eisbären und Eisbergen.

Wen es interessiert, findet weitere Infos zur Reise auf meiner Webseite.
Gruss
Dionys
 
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licht, farben, formen sind sehr schön. :up:
sicherlich eine reise, die ihre eindrücke hinterlassen hat.
 
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Vielen Dank Stephan, dass Du uns mit Deinen Bildern an dieser Reise hast teilhaben lassen. Ganz großes Kino. Alle!!!! In Grönland bzw. Spitzbergen etc. war ich bis jetzt noch nicht, aber zweimal auf Island und ich kann Dir nur zustimmen, dass Eis süchtig macht. Alleine diese Skala von Blau, das ist immer wieder nur der Hammer.

Und Deine Bilder sind wirklich einmalig schön. Vielen Dank auch, dass Du nicht zentnerweise Posts gemacht hast, um uns das allzuhäufige drücken des "Thanks"-Buttons zu ersparen.

*Nominier*

:applause::applause::applause::applause:
 
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Traumhafte Bilder von einer traumhaften Reise - vielen Dank fürs Zeigen.:up::up::up::up::up:
 
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auch-wieder-hin-will ...
Das Problem ist ja, auf entsprechend kleine Schiffe zu kommen, die überhaupt erst so dicht ans Eis fahren können und dann auch noch die passenden Eisbedingungen vor Ort zu haben.
Schnell machen da zwei Tage Nordwind alle Hoffnungen zu nichte - kein Durchkommen ...

Vielen Dank für den Bericht und Glückwunsch zur erfolgreichen Reise!

Torsten
 
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Ich bin platt ... :pray:

Starke Fotos und dazu noch Deine flüssig zu lesenden Kommentare - große Klasse!
Vielen Dank dafür. :up:
 
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Lieber Stephan,

du hast nicht nur super Fotos geschossen, sondern du beschreibst diese Reise auch richtig gut! Wenn ich das so lese, kann ich dir nur immer wieder recht geben bei deinen Eindrücken. Ich habe diese Reise ganz ähnlich in Erinnerung.

Nur ein paar Ergänzungen möchte ich noch anfügen.

Irgendwann bin ich dann doch ins Bett gegangen, ...

Kann ich ja gut verstehen, doch es ist schade, denn in dieser Nacht gab's erst einen stundenlangen Sonnenuntergang und gleich anschließend einen ebenso langen Sonnenaufgang.

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Das war nachts um 3 Uhr. Es war so kalt, dass das Meerwasser schon anfing zu frieren und das Ende August!


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In der entgegengesetzten Himmelsrichtung sonnt sich eine Robbe auf einer Eisscholle.


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Es gab nicht nur eine Robbe, sondern auch noch diverse Nachteulen zu sehen, die sich im Aufenthaltsraum mit frisch aufgebrühtem Kaffee aufwärmen konnten .


Pünktlich nach dem Frühstück wurde uns ein kleiner Eisberg serviert.

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Obenrum ist er ja klein, doch nach unten? Sieht er nicht fantastisch aus, wie ein Fabelwesen im Nordpolarmeer?


Viele Grüße,

Anne
 
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Ach noch was ...

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Es war wie ein Schritt durch ein Portal in eine andere Welt. Plötzlich war ich oben - und das Schiff irgendwo da unten, weit weg auf einem anderen Planeten - und das Eis erstreckte sich unter einem sich langsam in Richtung dunkelblau und rosa verfärbenden Himmel nach Norden ins Unendliche. Dort oben wusste ich nicht mehr, ob ich wach bin oder träume.
Und ich glaube dass es dem Häuflein dass mit mir nach oben kam genauso ging. Jede/r hatte da ein eigentümliches Leuchten im Gesicht.


Das beschreibst du wirklich sehr schön! Noch nie habe ich etwas Ähnliches erlebt. Es war einfach grandios!!!


......

Fotografenglück - In Pose für den Selbstauslöser.

Tja, ein guter Fotograf überlässt eben nichts dem Zufall, - und setzt dann auch rechtzeitig zum Sprint über den Gletscher an :)

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Bin mal auf deine Fortsetzung gespannt + freu mich schon drauf!

Gruß, Anne
 
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Erst einmal Danke für den Reisebereicht. Unglaublich schöne Bilder mit hocklassigen Beschreibungen und Erzählungen.

:up::up::up::up:

Schon einmal an die Kleinauflage eines Fotobuch`s gedacht?. Da gäb`s bestimmt Interessenten.
 
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