Na, dann gibt es heute mal mehr Text und weniger Bilder
Montag, 8.10.2018 Tag 39 / 6
oberes Vallee d´Eyne -> Refuge l´Orri
19 km /650 \1100
6,5 Std. unterwegs
Es hat die halbe Nacht geschneit, ich habe immer wieder Schnee vom Zelt geklopft.
Der rutschte das Dach hinunter und bildete bald einen perfekten winddichten Wall um mein Zelt herum.
Es war aber nicht mehr windig.
Als ich morgens aufwache, wabert um mich herum dichtester Nebel.
Dazu der Neuschnee. White out
Es ist wirklich absolut nichts zu sehen draußen, alles nur weiß.
Das ist also der versprochene
Mediterrane Einfluss ...
Ich drehe mich in meinem Schlafsack um und denke nach, was ich jetzt am besten mache.
Es schneit aktuell nicht mehr, aber für die 2. Tageshälfte ist wieder Niederschlag angekündigt.
Also mehr davon.
Wenn ich trotzdem auf den langen Kammweg steige, habe ich dort vermutlich Neuschnee, Nebel, Wind,
sehe den Weg oft nicht und wahrscheinlich sind oft auch die Markierungen überschneit
und weiße Steinmännchen in weißem Schnee in weißem Nebel sind auch nicht immer gut zu finden.
Für die Wegfindung habe ich aber immerhin noch mein GPS.
Dazu gibt es einige starke An- und Abstiege, die mit dem Neuschnee rutschig sein dürften.
Das Ganze könnte trotzdem machbar sein. Ich laufe ja eigentlich gerne durch Schnee!
Trailrunner mit abgewetztem Profil sind dafür aber vielleicht nicht ideal?
Es ist eine lange Strecke, die unter diesen Umständen vermutlich viel mehr Zeit kostet als unter normalen Bedingungen.
Dort oben vermute ich nur Gestein, Schotter und Geröll, was ein Zelten dort oben nicht gerade vereinfacht.
Sollte es dort stark windig sein, könnte es unmöglich werden.
Dazu kommt, dass es ab Mittag/Nachmittag wieder schneien soll.
Ich habe mich auf diese Strecke echt gefreut!
Den ganzen Tag über 2700m, eigentlich nicht allzu anstrengend, bei schönem Wetter den ganzen Tag herrliche Ausblicke.
Ich konsultiere meine Übersichtskarte in 1:100.000 .
Die sagt mir, dass ich auf dem E4 etwas unterhalb um den Bergrücken herumlaufen
und dann an der Refuge de Mariailles wieder auf den Höhenweg treffen kann.
Alles andere macht jetzt scheinbar keinen Sinn.
Ich bin echt enttäuscht, dass ich schon wieder ein schönes Stück des HPR umgehen muss.
Aber was solls. Weiter nach Osten!
Als ich die Entscheidung getroffen habe, mache ich Frühstück und starte ziemlich spät in den Tag.
Dabei heben sich nun langsam die Wolke und geben hin und wieder ein Stück blauen Himmel frei.
Soll ich vielleicht doch den Versuch wagen und oben in den Schnee gehen?
Es wird relativ warm und der Schnee beginnt zu tauen.
Auf 2300m stehe ich knapp oberhalb der Schneefallgrenze.
Von unten her taut es zügig weg, sodass gegen 11:00 mein Rückweg weitestgehend schneefrei und sichtbar ist.
Weiter oben hat es noch deutlich mehr geschneit.
Schön ist das ja schon! ;-)
Hätte ich jetzt mehr Zeit, würde ich es einfach versuchen.
Wenn es nicht klappt, könnte ich ja umdrehen und mein Zelt hier wieder aufbauen oder in ein anderes Tal absteigen.
Aber ich würde wirklich gerne in diesen Herbsttagen das Mittelmeer erreichen.
Also packe ich dann mein Zelt ein und laufe das Eyne-Tal wieder hinunter.
Die Kombination aus der großen Übersichtskarte und der OSM im Navi erweist sich wieder einmal als prima!
Auf der großen habe ich einen Überblick über die Gegend und die Fernziele und großen Wege,
im Navi habe ich auch die kleinen Pfade drin und kann damit nun versuchen, auf den E4 zu gelangen.
Ich muss weit absteigen. Erst tief im Wald gabelt sich der Weg und ich kann abbiegen.
Wieder geht es lange an einer offenen Wasserleitung entlang.
Sie ist erstaunlich sauber, es liegen kaum Laub, Äste, Steine oder sonstige heruntergefallene Dinge darin.
Der Pfad daneben ist herrlich zu laufen. Immer mit leichtem Gefälle, aber gefühlt eher flach.
Das Wetter ist hier unten mittlerweile herrlich, um die Berge wehen immer wieder große Wolken.
Ich laufe einen langgezogenen Bogen und muss dann absteigen und durch die Skigebiete von Eyne und St.-Pierre-dels-Forcats laufen.
Nicht schön, aber auf breiten Forstwegen geht es meist zügig voran.
Haha, sehr witzig. Schneeschuh-Route.
Kurz bevor ich endlich den Weg erreiche, der mich wieder ein Bergtal hochführt, komme ich an einem Hof vorbei.
Als ich an der breiten Zufahrt vorbeigehe, kommen von dem Hof zwei Hunde herausgeschossen.
Ein kniehoher brauner macht ein Riesengekläffe; ein großer, weißer Patou beißt mich völlig ohne Vorwarnung voll von hinten ins Bein!
Richtig feste! Ich stoße vor Schreck und Überraschung einen Schrei aus. AUA!
Dann zieht der Hund glücklicherweise seine Zähne wieder aus meinem Oberschenkel!
Ich habe keine Zeit mich um die Wunde zu kümmern oder nach dem Besitzer zu rufen,
denn der Patou macht mir unmissverständlich klar, dass ich besser möglichst schnell hier verschwinden soll.
Ich weiß natürlich, dass ich nicht rennen soll, also gehe ich zügig weiter.
Der Hund verfolgt mich noch eine Strecke mit bösem Blick.
Erst, als ich den Fahrweg verlasse, auf einen Pfad gelange und um die Ecke biege,
lässt er seine Verfolgung nach.
Was war das denn jetzt!?
Ich habe das Grundstück des Hofes gar nicht betreten, nicht einmal Anstalten dazu gemacht.
Bin nur auf dem Wanderweg daran vorbei gegangen.
Mistvieh!
Dabei habe ich auf dem Weg durch die Pyrenäen so viele dieser Hütehunde getroffen.
Ich mache mir aus Hunden wirklich nichts, aber diese riesigen Zottel mochte ich auf Anhieb.
Ich habe nie Probleme mit denen gehabt, während ich Schafherden passiert habe.
Wenn ich in der Nähe Pause gemacht habe, kamen die Hunde oft und legten sich einfach dazu.
Total nett und entspannt.
Und dem hier meine ich überhaupt keinen Anlass für aggressives Verhalten gegeben zu haben.
Beißen gehört auch gar nicht zu seinem Job, nur vertreiben.
Wenn der jetzt nicht losgelassen hätte!?
Auf dem Pfad setze ich erst einmal den Rucksack ab und ziehe meine Leggins runter.
Knapp über dem Knie habe ich im rechten Oberschenkel ein richtig großes, tiefes Loch von einem seiner Reißzähne.
Sein anderer Reißzahn hat ein etwas kleineres Loch hinterlassen.
Es blutet natürlich, aber nicht sehr stark.
Ich krame aus meinem Rucksack Pflaster und Nagelschere heraus und schneide mir zwei gute Stücke ab.
Als mein Adrenalin-Pegel langsam runterfährt, merke ich, dass es natürlich auch weh tut.
Es scheint aber nichts Wichtiges kaputt zu sein.
Was nun?
Muss ich jetzt zum Arzt? Wahrscheinlich.
Wer weiß, ob sich das Biest heute Morgen die Zähne geputzt hat.
Meine Tetanus-Impfung ist noch aktuell.
Aber was ist mir Infektionen? Blutvergiftung? Wundbrand?
Mir fallen ein paar unangenehme Sachen ein, aber eigentlich habe ich keine Ahnung, was das alles genau ist.
Ich habe aber keine Lust einen Arzt aufzusuchen.
Hier in der Pampa gibt es wahrscheinlich nicht an jeder Ecke einen Arzt, ich müsste also erst einmal irgendwo hinfahren.
Der Tag wäre auf jeden Fall futsch.
Dann sagt der möglicherweise noch, dass ich so nicht einfach in die Berge laufen soll,
sondern erstmal zur Beobachtung ... und was weiß ich noch ...
Für alle Fälle speichere ich mir im Navi den Tatort und die Zeit.
Dann laufe ich weiter.
Ein bisschen mulmig ist mir aber doch dabei.
Wenn mir jetzt doch über Nacht das Bein abfällt?
Ich denke mir, bei jeder anderen Wunde, wenn ich hingefallen wäre und mir das Knie aufgehauen hätte,
würde ich auch einfach mit einem Pflaster weiterlaufen.
Nur, hier denke ich noch an so tierische Keime, und dass das Loch sehr tief ist.
Ich mache mich trotzdem auf den Weg in die Berge.
Es zieht und zwickt ziemlich an den Stellen.
Ist ja auch klar. Ich hoffe nur, dass das keine schlimmeren Folgen haben wird.
Meiner Leggins sieht man übrigens nichts an. Kein Loch oder so. Eigenartig.
Sind die Zähne irgendwie dadurch gestochen?
Oder haben sie den sehr elastischen Stoff mit in die Wunden gedrückt?
Ich nehme mir vor zu Hause herauszufinden, wem der Hund gehört und den Besitzer zu verständigen.
Er sollte ja wissen, dass sein Riese harmlose Wanderer zerfleischt.
Ein paar Meter weiter treffe ich auf den E4 - und gleichzeitig den GR10!
Ach. Der ist seltsamerweise hier nicht in meiner OSM drin.
Dieses Stück fehlt als Track einfach, bzw. es ist als E4, nicht aber als GR10 beschriftet.
Der Weg steigt stetig, aber wenig steil durch ein enges, waldiges Bachtal hinauf.
Ein sehr schöner, angenehmer Weg.
Ein Stückchen Wiese bietet einen schönen Pausenplatz mitten im Wald.
Es hat sich aber schon wieder feste zugezogen und ist windig.
Ich raste also nicht lange und laufe weiter.
Das Bein wird nicht schlimmer, was mich beruhigt.
Flüssigkeit sickert aber durch das Pflaster, etwas Blut und Wundsekret.
Ich wechsel das Pflaster und laufe weiter.
Mitten im Wald treffe ich auf zwei Deutsche, die vom Mittelmeer kommend den GR10 bis zum Atlantik gehen wollen.
Wir tauschen uns aus und quatschen eine ganze Weile.
Anfang Oktober zu starten ist aber schon ganz schön spät ...
Als ich mich langsam der Refuge de l´Orri nähere, rast plötzlich schon wieder ein Hund von hinten auf mich zu.
Der tut aber nichts, der will nur spielen.
Ich bin da jedoch gerade ein wenig schreckhaft ...
Der Besitzer kommt gleich hinterher.
Es ist der Senner hier oben. Er hat nach seinen 150 Kühen gesehen.
Ich frage ihn, ob es ok ist, wenn ich mein Zelt in der Nähe seiner Hütte aufbaue.
Es gibt hier ziemlich wenig Möglichkeiten, Wasser und halbwegs ebene Wiese an einem Flecken zu finden.
Für die nächste Gelegenheit müsste ich noch über den nächsten Pass und ins nächste Tal absteigen.
Dazu ist es mir schon zu spät und ich habe für heute keine Lust mehr.
Ich folge dem Berger auf Stepping Stones durch den Fluss, eine Abkürzung, die Brücke liegt ein Stück weiter das Tal rauf.
Die Hälfte seiner Hütte bewohnt er selbst für 5 Monate im Jahr, erzählt er,
die andere Hälfte hat eine Gästematratze und kann als Refuge genutzt werden.
Die könne ich gerne haben.
Ich bevorzuge aber mein Zelt.
Vor dem Haus hat er sogar einen Wasserhahn, der mit Quellwasser von weiter oben gespeist wird.
Ich suche mir einen Zeltplatz etwas abseits der Hütte, will ihm nicht seinen großartigen Blick in die Berge verbauen.
Wir unterhalten uns (so gut mir das möglich ist), dabei schnuppert der Hund ständig an der Stelle, wo ich die Wunden habe.
Ob er riecht, dass das ein Kollege von ihm war?
Der hier ist aber wirklich friedlich und wir spielen eine Weile das Stöckchen-Spiel.
Das ist international, oder?
Mich wundert, dass die Kühe hier oben den ganzen Sommer nicht gemolken werden (müssen).
Aus den Alpen kenne ich das so, dass die Kühe das Sommerhalbjahr auch oben auf den Almen mit einem Senner verbringen,
dass sie dort aber auch gemolken werden, dass die Senner die Milch teilweise ins Tal abführen
oder gleich oben weiterverarbeiten, meist zu Käse.
Wenn ich hier das Tal weiter hinauf laufe, komme ich wieder auf den Bergkamm, den ich gerade umgehe ...
Ich schaue hinauf.
Immer noch etwas Schnee, aber es ist über den Tag viel weggetaut.
Die Wolken sinken tiefer, laut Wetterbericht von heute aus dem Tal sollte es nun beginnen zu regnen.
Das wartet aber noch ein wenig.
Erst einmal befeuert ein großartiger Sonnenuntergang den Himmel.
Es wird kalt und ich schließe die Türe, sobald es dunkel wird.
Im Schlafsack denke ich, dass es vielleicht ganz gut ist, hier in der Nähe des Senners mit seinem Auto zu übernachten.
Falls mir tatsächlich heute Nacht das Bein abfällt, oder mich sonst irgendwelche Symptome ereilen,
kann ich ihn sicher um Hilfe bitten.
Da diskutiert man um ein paar Wölfe oder Bären, die irgendwo im Wald oder Gebirge leben wollen und die man so gut wie nie sieht.
Ich war schon in manchem Bärengebiet unterwegs, habe einige gesehen, aber nie Probleme mit ihnen gehabt.
Was viel gefährlicher ist, sind freilaufende Hunde.
Das war das erste Mal, dass mich einer so heftig gebissen hat.
Aber diese Wadenbeißer, die einen von hinten zwicken, oder die, die einen beim Radfahren anspringen,
oder die wilden Meuten, die gerade in südeuropäischen Ländern gerne mal durch und um die Dörfer streunen und harmlose Wanderer anfallen
oder auch nur am Weitergehen hindern, die finde ich echt viel gefährlicher.
Bald beginnt es wieder heftig zu regnen.
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Zu Hause habe ich später herausgefunden, dass die Hunde zu einer Fromagerie gehören.
Ich habe eine E-Mail hingeschrieben und den Fall geschildert.
Die Leute haben sich tausendmal entschuldigt und versprochen, den Hund nun nur noch nachts frei laufen zu lassen ...