Nürnberg: Wie Bier Leben rettet ...

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Roland L.

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Ok, die Überschrift ist schon arg plump, aber sie soll Euch ja in den Thread locken.

Auf den nächsten Bilder wird es bierernst bis toternst.
Es geht darum, wie, wann und wo der Hang der Nürnberger zum Biertrinken abertausenden von Bewohnern das Leben gerettet hat.

Ausgangspunkt ist das Büro des Vördervereins Nürnberger Felsengänge e.V.



Nuremberg by Roland Lechler, auf Flickr​
 
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Das Büro liegt im Gebäudekomplex der Nürnberger Altstadtbaruerei. Hier ein Gebüde aus dem Hinterhof.
An sich kein gutes Foto, aber ich zeige es Euch wegen dem Stern an der Fassade.
Das ist kein Davidstern sondern ein Zeugl. Das gibt es in Franken und in der Oberpfalz und bedeutet, dass das Haus das Braurecht hat und Bier zum Verkauf anbietet.


Nuremberg by Roland Lechler, auf Flickr​
 
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Wie rettet nun Bier das Leben der Nürnberger?
Zum einen hat Nürnberg seit dem Mittelalter eine sehr wichtige Brautradition und jeder Bürger, vom Kind bis zum Greis, trank Bier statt Wasser.
Der Grund? Ganz einfach, Wasser war in der Regel kontaminiert, Bier war durch den Alkohol und den Hopfen gesund. Nahrhaft war es ausserdem.
Da die Nürnberger ein untergäriges Bier brauten und das vor dem Verzehr auch entsprechend lagerten, damit es schmeckte, brauchten sie kühle Keller.
Es gab sogar Vorschriften zum Anlegen von Kellern. So kam es, dass die ganze Altstadt in mehreren Ebenen unterkellert ist. Im Prinzip war die gesamte
Nürnberger Altstadt ein einziger Bierkeller.

Der Bierverbrauch im Mittelalter war bei ungefähr 200 Liter pro Kopf pro Jahr.


Nuremberg by Roland Lechler, auf Flickr​
 
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Der zweite Grund, warum Bier Menschenleben gerettet hat war, dass man diese Keller in der 40er Jahren zu Luftschutbunkern umgebaut hat.
Am 2ten Januar flogen 521 schwere Bomber der Royal Air Force einen vernichtenden Angriff gegen Nürnberg. Innerhalb einer halben Stunde warfen sie 6000 Spreng- und eine Million Brandbomben
auf die Nürnberger Altstadt. Mit den schweren Sprengbomben wurden mittels Luftzündung die Dächer abgedeckt, dannach entfachten die Brandbomben einen mehrtägigen Feuersturm.
Dabei wurde fast der gesamte historische Gebäudebstand Nürnbergs vollständig zerstört. Aber es kamen wegen der guten Bunker nur etwa 2000 Menschen dabei um. Mehr als 3000 wurden verletzt und 100.000
wurden obdachlos (im Januar).

Es gab später zwar noch weitere schwere Angriffswellen mit bis zu 1000 Bombern pro Angriff durch die USAF, aber keiner der Angriffe hat sich so ins kollektive Gedächtnis der Nürnberger
gegraben wie der 2te Januar. Denn in dieser Nacht wurde quasi das historische Erbe der Stadt ausradiert.


Nuremberg by Roland Lechler, auf Flickr​
 
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Für die Bunker mussten neue Zugänge geschaffen werden damit genügend Leute möglichst schnell hineinkamen. Vorher gab es nur sehr enge Zugänge von den Häusern aus.
Dieser Zugang wurde für die Bevölkerung freigegeben da er für die Wehrmacht nicht verschüttungsicher genug war.
Die Zugänge sind meist um mehrere Ecken gewinkelt um den Luftdruck und die Splitterwirkung zu brechen.


Nuremberg by Roland Lechler, auf Flickr​
 
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An sich kein gutes Foto, aber ich zeige es Euch wegen dem Stern an der Fassade.
Das ist kein Davidstern sondern ein Zeugl. Das gibt es in Franken und in der Oberpfalz und bedeutet, dass das Haus das Braurecht hat und Bier zum Verkauf anbietet.

Den Brauerstern gibt's auch in anderen Gegenden, z.B. bei uns im Saarland.
Die Karlsberg-Brauerei hat ihn lange verwendet und verwendet ihn jetzt wieder.
Karlsberg - zum 1945er Etikett durchklicken!
 
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Eine besondere Erwähnung dieser Tage findet ein gewisser Flak-Wachtmeister Arthur Schöddert. Der Westfale aus Münster wurde wegen seiner sanften und beruhigenden Stimme von den Nürnbergern
"Onkel Baldrian" genannt. Er war zuständig für die Luftangriffswarnungen an die Bevölkerung und galt als extrem zuverlässig.
Die Nürnberger verdanken Onkel Baldrian eigentlich noch mehr, er sollte, als die Amerikaner über Lauf auf Nürnberg zumarschierten, den sogenannten Nero-Befehl über Funk weitergeben.
Der Nero-befehl beinhaltete die Zerstörung wichtiger Infrastruktur wie Logistik, Gas, Wasser etc. Er behauptete einfach den Befehl gefunkt und anschliessen die Funkanlage zerstört zu haben.
Nun gut, die Funkanlage hat er wirklich zerstört und somit war seine Behauptung im Chaos nicht mehr nachprüfbar.

Angriffsziele Nürnberg mit Frühwarnringen


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In solchen Kellern, die übrigens von ihren Eigentümern nicht betreten werden durften, sondern nur von städtischen Angestellten, wurde bis zur Erfindung der Kältemaschine
durch Carl von Linde (ein Franke) das Nürnberger Bier gelagert. Durch die künstliche Kühlung wanderten die Brauereien aus der Innenstadt aus. Die Keller wurden dann oft durch
Handwerker genutzt oder in der Lebensmittelproduktion. Z.B. Für sauere Gurken und Suaerkraut.
Die Sauerkrautproduktion wurde auch während des 2ten Weltkrieges nicht ausgelagert, da sie ein wichtiger Lieferant der Marine war (Skorbut).
Die Keller wurden von den mittelalterlichen Steinmetzen hautptsächlich im Winter geschlagen, im Sommer hatten sie meist bessere Arbeit.
Da die Keller in mehreren Etagen angelegt waren, mussten die Steinmetze sehr genau arbeiten, so dass die tragenden Sandsteinsäulen genau übereinander waren.
Das gelang ihnen sehr gut, bis auf einer, der baute Mist und musste prompt für längere Zeit bei Wasser und Brot in den Kerker.

Auf dem nächsten Bild sieht man gut die späteren Ausbesserungen der Säulen mit Ziegelsteinen. Später wurde hierfür auch Beton verwendet.


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Ursprünglich durfte nur von O bis O gebraut werden, also von Oktober bis Ostern. Da der Nürnberger, wahrscheinlich durch die Evolution bedingt, allergisch gegen die Aufnahme von Wasser wurde und manchmal doch das Bier
ausging, musste man sich etwas Neues einfallen lassen. Die Lösung hieß verdichtetes Eis aus sogenannten Eisweihern in die Keller einzubringen. In extrem warmen Wintern kam das Eis bis aus Norwegen.

Damit das Bier auch richtig gut schmeckte musste es natürlich weiterhin nach dem Brauen eine gewisse Zeit gelagert werden. Andere Brauereien machten das damals nicht und verkauften das Zeug dann als Kölsch.
Das gängigste Bier der Nürnberger war lange Zeit Rotbier. Die Farbe des Bieres kommt vom Malz, bzw. dessen Trocknung. Langsam besinnen sich Brauereien wieder auf dieses alte Fränkische Bier, das sehr malzig und sehr süffig ist.

Eiswerkzeuge


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Der Förderverein Nürnberger Felsengänge ist immer bemüht Sonderführungen zu organisieren. Das ist gar nicht so einfach wie man denken sollte. Man mag es glauben oder nicht,
die Eigentumsverhältnisse zwischen Bund, Land und Gemeinde in Bezug auf die ****hinterlassenschaften sind oft unklar.
Diesmal haben sie es geschafft die Tucherkeller für kurze Zeit begehbar zu machen. Diese speziellen Führungen sind besonders bei Nürnbergern sehr beliebt.
Ich empfehle es jeden, der nach Nürnberg auf Besuch kommt, eine der regulären Führungen zu besuchen.

Die Tucherkeller sind erst ca. 150 Jahre alt und wurden ebenfalls als Bierkeller angelegt. 1944 wurden sie ebenfalls zu Luftschutzbunkern ausgebaut. Der Unterschied von einem Luftschutzbunker zu einem Luftschutzkeller ist im Wesentlichen die Sauerstoffversorgung.
Die durch die Brandbomben ausgelösten Feuerstürme wären in einem Keller nicht überlebbar gewesen.

Hier ein Bild vom Hirsvogelsaal beim Tucherschloß (der Ausgangspunkt der Führung). Dieser ist aus mehreren Gründen interessant, hier nur soviel dazu:
Die Innendekoration des Ballsaals überlebte nur, weil sie in den Nürnberger Kunstbunkern eingelagert wurde.


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Die Tour durch die Tucherkeller ist nur notdürftig für Besucher hergerichtet worden. Teilweise gibt es keine Beleuchtung.
Die ursprünglichen Bierkeller der Brauerei Tucher wurden 1944 erstmal zu Luftschutzbunkern umgebaut, dann in den
60er Jahren als ABC-Schutzanlage mit Lazarett umgestaltet. Die Schutzwirkung war auf 10 Tage begerenzt, bei reiner Umluftverwendung
auf lediglich 10 Stunden.

Helm- und Taschenlampenausgabe


Nuremberg by Roland Lechler, auf Flickr​
 
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1944 wurden zum Ausbau die Ziegelsteine von der Kongresshalle verwendet, dass man diese nicht mehr brauchen würde, das ahnte man wohl schon.
Ironisch wurde die Kongresshalle damals auch als größter Baustoffhandel Nürnbergs bezeichnet.
Die Arbeiten wurden hauptsächlich durch französische und rußische Kriegsgefangene ausgeführt.
In den 60er überzog man das Ganze durch Spritzbeton, das kostete ein Schweinegeld und ist heute marode und baufällig.

Sanitäranlagen und Lüftung aus den 60ern


Nuremberg by Roland Lechler, auf Flickr​
 
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Hier kommt mal ein Bild von Rainer, einer der vielen ehrenamtlichen Führer durch den Nürnberger "Untergrund". Ohne diese Bürger hätten wir keine Möglichkeit die Geschichte so hautnauh zu erleben.
An der Wand neben Rainer hängen Fotografien des zerstörten Nürnbergs, Aleppos und Mossuls. Es ist erschreckend wie sehr sich diese Bilder ähneln.

Rainer


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Hier eine Ansicht des schon mit Beton verkleideten Kellers. 1945 war hier noch Sandstein und teilweise Verstärkung durch Ziegelsetein zu sehen.
Man mag sich gar nicht vorstellen wie hier tausende Menschen verängstigt und zusammengepfercht ausharrten während standig durch die Erschütterung der Bomben
Sand aus Sandstein rieselte und teilweise auch das Licht ausfiel.


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Zum Abschluß des kleinen Rundganges durch die Nünberger Unterwelt und Geschichte ein Bild das zeigt, warum wir Helme trugen und Lampen dabei hatten.
Die verschiedenen Bereiche der Anlage sind durch lange sehr niedrige Tunnel verbunden. Der Handwerkertrupp der Vereins hat es in der Kürze der Zeit nicht geschafft
auch noch diese notdürftig auszuleuchten. Diese spezielle Führung gab es nur vom 2ten bis zum 8ten Januar.
Platzangst darf man in diesen Tunneln nicht haben, selbst mit 1,70 Körpergröße kann man hier nicht aufrecht gehen.


Nuremberg by Roland Lechler, auf Flickr

Ich hoffe es hat Euch gefallen. Wenn ich die Zeit finde, kommen dieses Jahr vielleicht noch kurze Berichte über den Kunstbunker und die Kasemattengänge.​
 
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]Ok, die Überschrift ist schon arg plump, aber sie soll Euch ja in den Thread locken.

Klappt ganz gut... :D - im August war ich für 3 Wochen beruflich in Nürnberg und hab' mich intensiv rumgetrieben, aber sowas ist für Besucher eher schwer bis nicht zu finden. Danke gerade deshalb für diese Aufnahmen.

OT: Abgesehen davon fand ich die dann endlich mal in Ruhe besuchten historischen Örtlichkeiten angemessen und gut begleitet bzw. erläutert, was man gerade heute nicht genug wertschätzen kann.
 
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