Sind Makroobjektive, z.B. mit Festbrennweite 100mm, auch gleichermaßen für den normalen Einsatz als 100mm-Teles geeignet?
Der Knackpunkt war in den frühen 80er Jahren, also zu Zeiten wo das Aufnahmemedium ein Film war und die Fokussierung von der linken Hand vorgenommen wurde. Bis dahin gab es im Nikon System ein kurzes Tele 105mm f/2.5 für den Fernbereich und eine Micro Nikkor 105mm f/4 für den Makrobereich. Das waren Konstruktionen mit starren Linsenblöcken, welche zum Fokussieren vor und zurück verschoben wurden.
Mit dem AI-s Micro Nikkor 105mm f/2.8 kam das erste Objektiv, bei welchem sich Linsen beim Fokussieren gegeneinander verschoben. In diesem Falle blieb die letzte Linse stehen, während sich die anderen nach vorne bewegten. Damit war es erstmals möglich, diese Makroobjektive auch für den Fernbereich zu optimieren und gleichzeitig die Lichtstärke von vorher f/3.5 bis f/4 auf f/2.8 zu erhöhen. Als nächsten Innovationsschritt wuchs der Fokussierbereich von 1:2 auf 1:1. Einer der ersten Vertreter dieser Generation war damals das Kiron 105mm f/2.8, welches auch gelegentlich unter dem Namen Vivitar in den Gebrauchtbörsen auftaucht.
Heute haben die meisten Makroobjektive Innenfokussierung und vermeiden die anno dazumal ziemlich dramatische Längenänderung beim Fokussieren. Damit sind auch längere Brennweiten als 100/105mm konstruktiv möglich.
Wo liegen die Nachteile, wenn man sie nicht als Makroobjektive nutzt?
Die ganz alten Makroobjektive ohne Nahbereichskorrektur sind unter Umständen im Fernbereich nicht so scharf wie dafür optimierte Objektive. Wie sehr sich das auswirkt, muss man testen. Die geringe Lichtstärke sorgt aber dafür, dass der Effekt nicht zu dramatisch ist. Zu Filmzeiten ist das meist nicht groß aufgefallen.
Es muss ja einen Grund geben, weshalb die Hersteller sowohl ein 50mm-Objektiv als auch ein 50er Makro anbieten, denke ich mir.
Das 50mm Makroobjektiv hat üblicherweise Lichtstärke f/2.8. Das 50mm Standardobjektiv hat f/0.95 bis f/1.8, meist f/1.4. Das ist ein beträchtlicher Unterschied. Man muss aber deswegen nicht zwei Objektive haben. Mein Standardobjektiv war drei Jahrzehnte lang das AI-s Micro Nikkor 55mm f/2.8. Erst zu AF Zeiten kam das AF-S Nikkor 50mm f/1.4 hinzu.
Sind Makroobjektive, <...> auch gleichermaßen für den normalen Einsatz <...> geeignet?
Damit es nicht zu simpel wird:
Das bisher geschriebene ist kein Naturgesetz. Man muss nach wie vor Makrobereich und Fernbereich getrennt betrachten, wenn man ein Objektiv beurteilt. Ich hatte zu MF Zeiten ein Micro Nikkor 200mm f/4 zur Verfügung und wollte eine einigermaßen aktuelle Entsprechung. Das Tamron 180mm f/3.5 schien der ideale Kandidat. Exzellente Schärfe im Makrobeeich, aber im Vergleich zum AF-S VR Nikkor 70-200mm f/2.8 nur mittelmäßige Schärfe im Fernbereich. Ein zum Vergleich heran gezogenes
Sigma APO Macro 150mm f/2.8 erreichte das Tamron im Makrobereich nicht ganz, lag aber im Fernbereich auf dem Niveau des 70-200mm. Somit erwies sich das Tamron eher als spezialisiertes Makroobjektiv, während das Sigma universell für nah und fern eingesetzt werden konnte. Bei einer ähnlichen optischen Konstruktion.