Birke:
Hallo!
Sam:
Hallo.
Seit wann können Bäume sprechen?
Birke:
Ihr Menschen hört uns Bäume nur, wenn es windet, ansonsten nicht. Sprechen konnten wir schon immer, nur werden wir nicht mehr gehört.
Sam:
Aha...
Birke:
Was willst Du von mir?
Sam:
Ich möchte dich fotografieren!
Birke:
Warum?
Sam:
Weil ich Dich irgendwie schön finde.
Birke:
Warum? Weißt du überhaupt wer ich bin?
Sam:
Nein.
Birke:
Ihr gabt mir den Namen Birke, oder «Betula» in der botanischen Sprache. Betula verrucosa, noch genauer Betula verrucosa pendula. Auf gut deutsch, eine Hängebirke.
Sam:
Aha.
Birke:
Und nun, warum findest Du mich schön.
Sam:
Ich kann es nicht genau sagen. So wie du dastehst, im Licht, ein leichter Wind weht, irgendwie romantisch.
Birke:
Geht es nun um dich oder um mich? Ich finde den Wind auch angenehm, nur hier zu stehen ist nicht nur lustig. Ich kann ja nicht weggehen und wie du siehst bin ich weit vom Bach entfernt. Birken brauchen viel Wasser, ansonsten leiden sie.
Sam:
Das habe ich nicht gewusst.
Birke:
Also du findest mich mit dem Wasser und dem Wind und dem Licht schön. Und du willst also Schönheit fotografieren, auch wenn es gar nicht so ist?
Sam:
So habe ich das noch nicht gesehen. Man sieht dir das Leiden ja nicht an ...
Birke:
Wenn du genau hingucken würdest, dann würdest du es sehen. Und wenn du mich fragen würdest, dann würdest du auch eine Antwort erhalten.
Sam:
Entschuldige.
Birke:
Schon gut. Also, was fotografierst du nun genau?
Sam:
Jetzt bin ich etwas ratlos.
Birke:
Verstehe. Das heisst wohl, dass ich dir deine Vorstellung von deinem Foto vermiest habe, oder?
Sam:
Ja, etwas schon. Ich frage mich, wie ich das Schöne und das Leiden zusammenbringen kann. Kann Leiden ein schönes Bild geben?
Birke:
Jetzt bin ich etwas ratlos. Wir Bäume leben nicht von Bildern. Wir leben vom Überleben. Wir sehen die Welt anders als ihr und fotografieren können wir auch nicht.
Aber es würde ja von Respekt zeugen, wenn du dich mit meiner Situation auseinandersetzen würdest.
Sam:
Da gebe ich dir recht. Nur, ob mir das dann für ein gutes Foto hilft!
Birke:
Ein gutes Foto ist, wenn du dazu stehen kannst.
Sam:
Für mich ja, für andere muss das nicht stimmen.
Birke:
Fass mich an, schau’ mich an, rede mit mir, stell mir Fragen.
Sam:
Tu’ ich ja.
Birke:
Nein, nicht wirklich. Du stellst dir im Kopf ein Bild vor und sprichst mit deiner Vorstellung. Du drehst dich im Kreis, ich als Motiv werde zum Gegenstand, welcher du in deiner Fantasie in verschiedene Positionen bringst.
Sam:
Hat was.
Birke:
Nun, du kannst dich als Mensch ja nicht in einen Baum versetzen. Zumal für euch Menschen ohnehin nicht klar ist, dass Bäume auch leiden können. Aber vielleicht geht ja der Weg über dich selbst. Erinnere dich daran wie es ist, zu leiden, solltest du jemals gelitten haben.
Sam:
Also gut.
Birke:
Was ist das für ein Gefühl? Was ist das Gefühl Durst zu haben, sich matt und müde zu fühlen. Ihr Menschen geht eine Flasche Wasser kaufen, ich muss warten bis es regnet, bis mein Durst gelöscht ist.
Sam:
Irgendwie komme ich nicht weiter.
Birke:
Schon möglich. Dann mach’ dein Foto.
Sam:
Geht nicht mehr. Ich sehe es nicht mehr so, wie ich es gesehen habe.
Birke:
Dann hatte unser Gespräch schon Sinn gemacht.
Sam:
Warum?
Birke:
Du hast deine Vorstellung verlassen und dich dem Aussen angenähert. Auf deine Weise, du bleibst du trotzdem. Obwohl ich für mich alleine verantwortlich bin, bin ich im ständigen Kontakt mit anderen Bäumen und Pflanzen. Ich weiss, wer sie sind, wie sie ticken und wie es ihnen geht.
Du hast dich also mit dem Gegenüber auseinandergesetzt, nicht abschliessend. Du hast dein Motiv als Gegenüber erkannt und ernst genommen. Und letztlich hat dich dieser Prozess auf dich selbst zurückgeworfen.
Sam:
Mit dem Resultat, dass ich kein Bild mehr habe. Nun kann also ein neues Bild im Kopf entstehen.
Birke:
Ja, aber muss nicht. Du kannst ja mein Leiden nicht fotografieren. Du hast ja wenn du zuhause ein Foto anschaust nur den Zugang mit den Augen.
Hier vor Ort fühlst du die Wärme der Sonne, hörst das Rauschen der Blätter, du riechst die Luft, das Wasser. Das alles gibt dir ein schönes Gefühl, das heisst, du nimmst auch deine Emotionen wahr.
Nun, seit wir reden miteinander, weiss du auch, dass deine Wahrnehmung nur eine ist. Und nicht komplett und abschliessend. Wenn du also ein Foto machen willst, musst du mein Leiden ignorieren, oder du findest einen Weg, dies in dein Foto einzupacken.
Sam:
Das ist Kunst.
Birke:
Bist du so weit von dir entfernt, dass du dich nicht mehr von Etwas berühren lässt? Ist sich berühren lassen Kunst?
Sam:
Nein, ich meine die Umsetzung von dem. Ich kann, wie du richtig sagst, dein Leiden nicht auf Papier bringen. Ich könnte vielleicht ein dürres Blatt mit aufs Foto nehmen, und dann die helle Sonne und das spiegelnde Wasser. Das gebe eine Geschichte für den Betrachter. Mit Kontrasten kann man Geschichten erzählen.
Birke:
So. Wäre eine Möglichkeit. Du denkst dennoch ziemlich kleinlich. Und wo bleibt das Riechen, die Wärme uns so weiter?
Du bist erneut daran, dich zu ignorieren. Sich mit dem Gegenüber auseinander zusetzen bedeutet letztlich, sich mit sich selbst auseinander zu setzen. Du machst das Foto, also bist du es, der ein Stück weit auch dich selbst mit in das Resultat nimmt. Und dies immer dann, wenn du abdrückst. Du kannst diesen Fakt negieren oder nicht. Negierst du ihn, dann nimmst du dich nicht ernst, lässt es einfach geschehen. Und du nimmst dann auch nicht das Motiv ernst. Fotografie ist ein Prozess zwischen dem Fotografen und dem Motiv. Das Resultat ist der Dialog, zwischen demjenigen der abdrückt und demjenigen der «abgedrückt» wird.
Du hältst, um es kurz und bündig zu beschreiben, auch Stück von Dir in jedem Foto fest.
Sam:
Warum ist ein gutes Foto so anstrengend zu machen? Mit all der technischen Hilfe heutzutage.
Birke:
Es sagt ja niemand, dass technische Hilfsmittel schlecht sind. Aber sie ersetzen den Prozess mit dem Gegenüber nicht.
Sam:
Beethoven soll einmal gesagt haben, dass ein Ton daneben bei einem Konzert keine Rolle spielt. Wenn man aber dem Gespielten keine Seele einhaucht, dann ist es eine Katastrophe. Menschen hören zu, wenn sie berührt werden, und sie sehen wohl auch zu, wenn sie berührt werden.
Birke:
Als du hier angekommen bist, hast du mir unter anderem vom Wind erzählt. Du hast dies mit allen anderen Wahrnehmungen als schön empfunden. Die Geräusche der Blätter haben keine Melodie. Es ist lediglich ein Geräusch, fast immer gleichbleibend. Dennoch verbindest du das mit einem dir angenehmen Gefühl. Warum?
Sam:
Es hat etwas beruhigendes. Noch intensiver wird das Gefühl, wenn ich den Wind spüre. Es ist, als ob mich jemand umarmen würde.
Birke:
Oh, jetzt kommen wir doch der Sache sehr viel näher. Nur einfacher in der Umsetzung wird es deshalb nicht. Wie verpackst du nun Schönheit, Intimität und Leiden in ein Foto?
Sam:
Das wäre ja nun die eigentliche Kunst. Nicht im Sinne von «künstlerisch», sondern im Sinne der hohen Anforderung.
Komponieren war ja vor nicht allzu langer Zeit als reines Handwerk angesehen. Darum hiessen sie auch «Tonsetzer». Töne in der richtigen Reihenfolge setzen war also keine Kunst, sondern ein Handwerk, wie Müller oder Bauer oder andere Handwerke. Erst später wurde der Begriff «Komponist» und in diesem Zusammenhang auch von «Tonkünstlern» gesprochen. Also wäre ich in Anlehnung an den Tonsetzer ein «Bildsetzer».
Birke:
Ich stehe ja auf der Gegenseite von dir. Ich kann ja als Motiv nicht beeinflussen, wann du ein Foto machst. Ich sehe es ja nicht und ich kann ja als verwurzeltes und eingeschränkt bewegungsfähiges Motiv nichts zu deinem Foto beitragen. Ich kann mich nicht in Pose werfen, ich bin Birke wie ich bin.
Zusätzlich wird es für dich ja schwierig, mit mir zu kommunizieren. Wir haben nicht dieselbe Sprache. Einen Menschen kannst du fragen, kannst im zu hören und ihm antworten. Das hörbare Schweigen von mir, reflektiert dich ja noch mehr und unser Dialog ist in der Regel von Fragen ohne eindeutige Antworten geprägt.
Sam:
Ja, und trotzdem bist du mir gegenüber und du löst in mir einen Reiz aus, ein Foto zu machen. Das hat ja nicht nur mit mir zu tun, sondern auch mit dir.
Birke:
Ja, sowohl als auch. Ich aber löse in dir nur etwas aus, was du in der dir trägst. Ich kann dir nicht zurufen und dir sagen, wer ich bin und wie es mir geht und dass ich eine absolut fotogene Birke bin. Das musst du alles alleine tun.
Könnte ich nichts in dir auslösen, dann würdest du an mir vorbeigehen, ohne nur im Ansatz daran zu denken, mich zu fotografieren.
Somit komme ich wieder auf dich. Der Reiz in dir ist der Schlüssel zum Dialog mit dem Motiv.
Sam:
Dann heisst das, der Reiz ist wie der Schlüssel zum fotografischen Prozess, zum Dialog mit dem Motiv?
Birke:
Ja, nur kannst du nicht erwarten, dass der Prozess immer gleich verläuft. Er kann schnell sein, greifbar, abhängig von dir und deinem Zustand. Er kann mühsam sein, er kann fröhlich sein, er kann traurig sein.
Sam:
Wie in der Musik. Manchmal ertrage ich nicht jede Musik.
Birke:
Ich kann die Musik nicht beurteilen. Ich ticke anders als du. Ich bin wie gesagt mit mir und meinem Umfeld beschäftigt. Ich weiss zwar viel, aber meine Biologie gibt mir nicht viel Spielraum. Wenn ich also Durst habe, dann lasse ich die Blätter hängen. Das kann für dich traurig aussehen, hat aber mit dem zu tun, dass ich nicht genügend Wasser in meine Blätter kriege.
Sam:
Nun, Durst haben ist ja auch traurig.
Birke:
Warum fotografierst du mich dann?
Sam:
Weil ich ein Bild im Kopf hatte. Aber jetzt muss ich nachdenken.
Birke:
Tu’ das. Aber du darfst mich trotzdem fotografieren.
Sam:
Das habe ich gemacht.
Birke:
Du hast aber den Fotoapparat nicht hervorgenommen.
Sam:
Ja, das ist richtig. Ich trage das Bild in mir.
Hallo!
Sam:
Hallo.
Seit wann können Bäume sprechen?
Birke:
Ihr Menschen hört uns Bäume nur, wenn es windet, ansonsten nicht. Sprechen konnten wir schon immer, nur werden wir nicht mehr gehört.
Sam:
Aha...
Birke:
Was willst Du von mir?
Sam:
Ich möchte dich fotografieren!
Birke:
Warum?
Sam:
Weil ich Dich irgendwie schön finde.
Birke:
Warum? Weißt du überhaupt wer ich bin?
Sam:
Nein.
Birke:
Ihr gabt mir den Namen Birke, oder «Betula» in der botanischen Sprache. Betula verrucosa, noch genauer Betula verrucosa pendula. Auf gut deutsch, eine Hängebirke.
Sam:
Aha.
Birke:
Und nun, warum findest Du mich schön.
Sam:
Ich kann es nicht genau sagen. So wie du dastehst, im Licht, ein leichter Wind weht, irgendwie romantisch.
Birke:
Geht es nun um dich oder um mich? Ich finde den Wind auch angenehm, nur hier zu stehen ist nicht nur lustig. Ich kann ja nicht weggehen und wie du siehst bin ich weit vom Bach entfernt. Birken brauchen viel Wasser, ansonsten leiden sie.
Sam:
Das habe ich nicht gewusst.
Birke:
Also du findest mich mit dem Wasser und dem Wind und dem Licht schön. Und du willst also Schönheit fotografieren, auch wenn es gar nicht so ist?
Sam:
So habe ich das noch nicht gesehen. Man sieht dir das Leiden ja nicht an ...
Birke:
Wenn du genau hingucken würdest, dann würdest du es sehen. Und wenn du mich fragen würdest, dann würdest du auch eine Antwort erhalten.
Sam:
Entschuldige.
Birke:
Schon gut. Also, was fotografierst du nun genau?
Sam:
Jetzt bin ich etwas ratlos.
Birke:
Verstehe. Das heisst wohl, dass ich dir deine Vorstellung von deinem Foto vermiest habe, oder?
Sam:
Ja, etwas schon. Ich frage mich, wie ich das Schöne und das Leiden zusammenbringen kann. Kann Leiden ein schönes Bild geben?
Birke:
Jetzt bin ich etwas ratlos. Wir Bäume leben nicht von Bildern. Wir leben vom Überleben. Wir sehen die Welt anders als ihr und fotografieren können wir auch nicht.
Aber es würde ja von Respekt zeugen, wenn du dich mit meiner Situation auseinandersetzen würdest.
Sam:
Da gebe ich dir recht. Nur, ob mir das dann für ein gutes Foto hilft!
Birke:
Ein gutes Foto ist, wenn du dazu stehen kannst.
Sam:
Für mich ja, für andere muss das nicht stimmen.
Birke:
Fass mich an, schau’ mich an, rede mit mir, stell mir Fragen.
Sam:
Tu’ ich ja.
Birke:
Nein, nicht wirklich. Du stellst dir im Kopf ein Bild vor und sprichst mit deiner Vorstellung. Du drehst dich im Kreis, ich als Motiv werde zum Gegenstand, welcher du in deiner Fantasie in verschiedene Positionen bringst.
Sam:
Hat was.
Birke:
Nun, du kannst dich als Mensch ja nicht in einen Baum versetzen. Zumal für euch Menschen ohnehin nicht klar ist, dass Bäume auch leiden können. Aber vielleicht geht ja der Weg über dich selbst. Erinnere dich daran wie es ist, zu leiden, solltest du jemals gelitten haben.
Sam:
Also gut.
Birke:
Was ist das für ein Gefühl? Was ist das Gefühl Durst zu haben, sich matt und müde zu fühlen. Ihr Menschen geht eine Flasche Wasser kaufen, ich muss warten bis es regnet, bis mein Durst gelöscht ist.
Sam:
Irgendwie komme ich nicht weiter.
Birke:
Schon möglich. Dann mach’ dein Foto.
Sam:
Geht nicht mehr. Ich sehe es nicht mehr so, wie ich es gesehen habe.
Birke:
Dann hatte unser Gespräch schon Sinn gemacht.
Sam:
Warum?
Birke:
Du hast deine Vorstellung verlassen und dich dem Aussen angenähert. Auf deine Weise, du bleibst du trotzdem. Obwohl ich für mich alleine verantwortlich bin, bin ich im ständigen Kontakt mit anderen Bäumen und Pflanzen. Ich weiss, wer sie sind, wie sie ticken und wie es ihnen geht.
Du hast dich also mit dem Gegenüber auseinandergesetzt, nicht abschliessend. Du hast dein Motiv als Gegenüber erkannt und ernst genommen. Und letztlich hat dich dieser Prozess auf dich selbst zurückgeworfen.
Sam:
Mit dem Resultat, dass ich kein Bild mehr habe. Nun kann also ein neues Bild im Kopf entstehen.
Birke:
Ja, aber muss nicht. Du kannst ja mein Leiden nicht fotografieren. Du hast ja wenn du zuhause ein Foto anschaust nur den Zugang mit den Augen.
Hier vor Ort fühlst du die Wärme der Sonne, hörst das Rauschen der Blätter, du riechst die Luft, das Wasser. Das alles gibt dir ein schönes Gefühl, das heisst, du nimmst auch deine Emotionen wahr.
Nun, seit wir reden miteinander, weiss du auch, dass deine Wahrnehmung nur eine ist. Und nicht komplett und abschliessend. Wenn du also ein Foto machen willst, musst du mein Leiden ignorieren, oder du findest einen Weg, dies in dein Foto einzupacken.
Sam:
Das ist Kunst.
Birke:
Bist du so weit von dir entfernt, dass du dich nicht mehr von Etwas berühren lässt? Ist sich berühren lassen Kunst?
Sam:
Nein, ich meine die Umsetzung von dem. Ich kann, wie du richtig sagst, dein Leiden nicht auf Papier bringen. Ich könnte vielleicht ein dürres Blatt mit aufs Foto nehmen, und dann die helle Sonne und das spiegelnde Wasser. Das gebe eine Geschichte für den Betrachter. Mit Kontrasten kann man Geschichten erzählen.
Birke:
So. Wäre eine Möglichkeit. Du denkst dennoch ziemlich kleinlich. Und wo bleibt das Riechen, die Wärme uns so weiter?
Du bist erneut daran, dich zu ignorieren. Sich mit dem Gegenüber auseinander zusetzen bedeutet letztlich, sich mit sich selbst auseinander zu setzen. Du machst das Foto, also bist du es, der ein Stück weit auch dich selbst mit in das Resultat nimmt. Und dies immer dann, wenn du abdrückst. Du kannst diesen Fakt negieren oder nicht. Negierst du ihn, dann nimmst du dich nicht ernst, lässt es einfach geschehen. Und du nimmst dann auch nicht das Motiv ernst. Fotografie ist ein Prozess zwischen dem Fotografen und dem Motiv. Das Resultat ist der Dialog, zwischen demjenigen der abdrückt und demjenigen der «abgedrückt» wird.
Du hältst, um es kurz und bündig zu beschreiben, auch Stück von Dir in jedem Foto fest.
Sam:
Warum ist ein gutes Foto so anstrengend zu machen? Mit all der technischen Hilfe heutzutage.
Birke:
Es sagt ja niemand, dass technische Hilfsmittel schlecht sind. Aber sie ersetzen den Prozess mit dem Gegenüber nicht.
Sam:
Beethoven soll einmal gesagt haben, dass ein Ton daneben bei einem Konzert keine Rolle spielt. Wenn man aber dem Gespielten keine Seele einhaucht, dann ist es eine Katastrophe. Menschen hören zu, wenn sie berührt werden, und sie sehen wohl auch zu, wenn sie berührt werden.
Birke:
Als du hier angekommen bist, hast du mir unter anderem vom Wind erzählt. Du hast dies mit allen anderen Wahrnehmungen als schön empfunden. Die Geräusche der Blätter haben keine Melodie. Es ist lediglich ein Geräusch, fast immer gleichbleibend. Dennoch verbindest du das mit einem dir angenehmen Gefühl. Warum?
Sam:
Es hat etwas beruhigendes. Noch intensiver wird das Gefühl, wenn ich den Wind spüre. Es ist, als ob mich jemand umarmen würde.
Birke:
Oh, jetzt kommen wir doch der Sache sehr viel näher. Nur einfacher in der Umsetzung wird es deshalb nicht. Wie verpackst du nun Schönheit, Intimität und Leiden in ein Foto?
Sam:
Das wäre ja nun die eigentliche Kunst. Nicht im Sinne von «künstlerisch», sondern im Sinne der hohen Anforderung.
Komponieren war ja vor nicht allzu langer Zeit als reines Handwerk angesehen. Darum hiessen sie auch «Tonsetzer». Töne in der richtigen Reihenfolge setzen war also keine Kunst, sondern ein Handwerk, wie Müller oder Bauer oder andere Handwerke. Erst später wurde der Begriff «Komponist» und in diesem Zusammenhang auch von «Tonkünstlern» gesprochen. Also wäre ich in Anlehnung an den Tonsetzer ein «Bildsetzer».
Birke:
Ich stehe ja auf der Gegenseite von dir. Ich kann ja als Motiv nicht beeinflussen, wann du ein Foto machst. Ich sehe es ja nicht und ich kann ja als verwurzeltes und eingeschränkt bewegungsfähiges Motiv nichts zu deinem Foto beitragen. Ich kann mich nicht in Pose werfen, ich bin Birke wie ich bin.
Zusätzlich wird es für dich ja schwierig, mit mir zu kommunizieren. Wir haben nicht dieselbe Sprache. Einen Menschen kannst du fragen, kannst im zu hören und ihm antworten. Das hörbare Schweigen von mir, reflektiert dich ja noch mehr und unser Dialog ist in der Regel von Fragen ohne eindeutige Antworten geprägt.
Sam:
Ja, und trotzdem bist du mir gegenüber und du löst in mir einen Reiz aus, ein Foto zu machen. Das hat ja nicht nur mit mir zu tun, sondern auch mit dir.
Birke:
Ja, sowohl als auch. Ich aber löse in dir nur etwas aus, was du in der dir trägst. Ich kann dir nicht zurufen und dir sagen, wer ich bin und wie es mir geht und dass ich eine absolut fotogene Birke bin. Das musst du alles alleine tun.
Könnte ich nichts in dir auslösen, dann würdest du an mir vorbeigehen, ohne nur im Ansatz daran zu denken, mich zu fotografieren.
Somit komme ich wieder auf dich. Der Reiz in dir ist der Schlüssel zum Dialog mit dem Motiv.
Sam:
Dann heisst das, der Reiz ist wie der Schlüssel zum fotografischen Prozess, zum Dialog mit dem Motiv?
Birke:
Ja, nur kannst du nicht erwarten, dass der Prozess immer gleich verläuft. Er kann schnell sein, greifbar, abhängig von dir und deinem Zustand. Er kann mühsam sein, er kann fröhlich sein, er kann traurig sein.
Sam:
Wie in der Musik. Manchmal ertrage ich nicht jede Musik.
Birke:
Ich kann die Musik nicht beurteilen. Ich ticke anders als du. Ich bin wie gesagt mit mir und meinem Umfeld beschäftigt. Ich weiss zwar viel, aber meine Biologie gibt mir nicht viel Spielraum. Wenn ich also Durst habe, dann lasse ich die Blätter hängen. Das kann für dich traurig aussehen, hat aber mit dem zu tun, dass ich nicht genügend Wasser in meine Blätter kriege.
Sam:
Nun, Durst haben ist ja auch traurig.
Birke:
Warum fotografierst du mich dann?
Sam:
Weil ich ein Bild im Kopf hatte. Aber jetzt muss ich nachdenken.
Birke:
Tu’ das. Aber du darfst mich trotzdem fotografieren.
Sam:
Das habe ich gemacht.
Birke:
Du hast aber den Fotoapparat nicht hervorgenommen.
Sam:
Ja, das ist richtig. Ich trage das Bild in mir.