Ohne Filter ....

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sam25

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Ich habe gespürt, nicht gewusst, aber gespürt, dass es eine Fortsetzung meines Beitrages F wie Fokus und Z wie Zukunft geben wird …

Ich brauche für bestimmte Gedanken immer eine Weile, wälze sie hin und her, betrachte sie, verwerfe sie und beginne wieder von vorne.

Die aktuelle Diskussion über den Artikel 13 betreffend den Urheberrechten, die ungebrochenen Ankündigungen von Neuheiten im Fotografiebereich gehen an mir nicht spurlos vorbei. Die Themen geben mir zu denken und machen mir ein Stück weit auch Sorge. Und während ich das schreibe und redigiere, flattert ein Leicamail herein mit dem neuesten Safarielook.

So entstehen wiederum lose Gedanken, ohne nach einer Rezeptur zu greifen, weil ich sie schlicht nicht habe. Und das alles verwirrt mich.

Es ist lange her, Monate, seit ich das letzte Mal mit einem AF Objektiv fotografiert habe. Meine D4 sollte zum ersten Mal in den Service, sie funktioniert noch, aber zeigt mir hie und da ein Error nach einem Auslöser. Mich beschäftigt das nicht, ich habe schon unter anderen Umständen fotografiert, so dass ich sie dann irgendwann in die Reparatur schicken werde. Alternativ habe ich noch manche Kamera herumliegen, um meinem Hobby auch ohne D4 weiter nach gehen zu können.

Bei der Räumung des Elternhauses ist mir diese Kamera wieder in die Hände gekommen. Die Kamera meiner Mutter. Dieser kleine, unglaubliche Sucher, oft noch dreckig und verschmiert, lies kaum eine Bildgestaltung zu. Aber dieser Moment, ein Ding vor den Augen zu haben, abzudrücken und die leise Hoffnung, dass etwas aus diesem Moment geworden sein könnte, haben mich dennoch fasziniert. Ich durfte sie hie und da haben zum Fotografieren, aber weil das Geld nicht reichte für endlos Filme zu belichten und zu entwickeln, waren es eher seltene Momente. Aber letztlich weckte diese Kamera auch die Leidenschaft nicht, welche ich heute habe. Dennoch war es für mich als Kind kein Frage, dass es ausser dieser Kamera noch andere geben könnte.






Es ist diese kleine, kindliche Welt, diese Welt des Momentes, der Unmittelbarkeit, welche mich immer wieder einholt und die ich bis heute nicht abgelegt habe, oder nicht ablegen konnte. Sie wird seit einem Jahr nah bestärkt mit der Anwesenheit unseres kleinsten Mitbewohners, welcher letzten Dezember einjährig wurde. Er verliert in seinem Alter wohl noch keinen Gedanken daran, dass es einmal anders sein könnte. Wir, Claudia und ich und alle anderen Mitbewohner, wirken in die Prägungsphase dieses Menschen und gestalten sie mit.

1963 geboren erlebte ich den vollen Aufschwung der Wirtschaft, die ersten Widerstände der 60er Jahre. Sanft, rückblickend betrachtet, aber immer spannend. Dass die alte Kodakkamera nicht das Endprodukt sein konnte, wusste ich nicht. Um so mehr erstaunt und erfreut war ich dann, als ich meine erste «wirkliche Kamera» in der Hand hielt: die Nikon FG 20, mit zwei Sigma Objektive (aus Kostengründen). Das war nachdem ich zwanzig war, vorher hatte ich das Geld nicht dazu.

Roberto Donetta aus dem Bleniotal, war auch Fotograf. Aber in erster Linie Samenhändler. Er ging von Tür zu Tür und verkaufte Samen. Seine Leidenschaft hingegen war das Fotografieren, welches ihm zum Verhängnis wurde. Die Familie trennte sich von ihm und er wanderte seine restlichen Jahre alleine in der kleinen Welt des Tessins herum, verkaufte Samen und fotografierte. Respektvoll und mit viel Humor und Fingerspitzengefühl belichtete er Menschen, belichtete sie auf seinen Glasplatten und versuchte die gedruckten Bilder zu verkaufen. Sein Traum, Postkarten zu machen, blieb ihm verwehrt. Der Markt, die wirtschaftlichen Verhältnisse und die fehlenden finanziellen Mittel verhinderten ein Durchstarten als Fotograf. Eine Geschichte, welche gut zum Abwägen von Leidenschaft und Verfügbarkeit passt.

Heute haben wir alles zur Verfügung. Die Frage mit welcher Technik ein Bild entstanden ist, ist völlig irrelevant geworden, weil sich die Qualität der Fotos mit der neuen Technik nur noch für Kenner unterscheiden. Der PC ersetzt das Labor und ein Tag würde wohl nicht reichen, würde ich nur die Fotos, welches mein direktes Umfeld jeden Tag schiesst, anzusehen. Aber das alleine reicht heute auch nicht mehr, um von der Fotografie leben zu können.

Die Vermischung von Fiktion und Realität haben sich auch in der Fotografie breit gemacht. Einerseits ist das begrüssenswert, da, wenn geschichtlich auch nicht gewollt, sich Fotografie auch ein Stück weit als Kunst verstehen will. Die Möglichkeiten heute sind immens ein Foto zu bearbeiten. Und die Resultate sind oft verblüffend und faszinierend in mancherlei Hinsicht.
Mit den Möglichkeiten steigen auch die Ansprüche. Das ist überall so. Wer sie nicht erfüllen kann ist zumindest im professionellen Bereich weg vom Fenster. Ein Ersatz findet sich immer. Die Einzigartigkeit verschwindet in der Masse und wenn sie hie und da auftaucht, gerät sie unter Zugzwang.

Die Fotos von heute strotzen vor Farbigkeit, Schärfe und Dynamik. Und manchmal tun sie fast in den Augen weh. Die Technik erlaubt uns Dinge zu sehen, die wir von blossem Auge nie so sehen würden. Das ist spannend, aber gleichzeitig beängstigend. Die Bildgestaltung führt bei Bildbeurteilungen ein Schattendasein und muss erkämpft werden. Das würde sich dann ändern, wenn die Wahrnehmung anders gewichtet würden.

Und nun sprechen wir über die Urheber. Heute sind wir alle Urheber, weil fast alles einen Namen hat und registriert und lizensiert ist. Wenn ich mit meinem Handy fotografiert würde, dann könnte man die Marke ausfindig machen. Bei der Kleidung wird es schwieriger, aber geübte Augen würden auch das herausfinden.

Schauen wir vorerst einen kurzen Moment zurück. Und wenn ich einen kurzen Moment schreibe, dann meine ich das so. Zwei- drei Jahrhunderte zurück sind einen Klacks in der Menschheitsgeschichte, eine noch kürzere Zeit in der Erdgeschichte. Ignaz Pleyel war nicht nur Komponist, sondern auch ein begnadeter Musiker. Und irgendwann gab es ihm auf den Sack, dass seine Werke permanent kopiert und unter anderem Namen veröffentlicht wurden. Und so beschloss er, nicht nur zu komponieren, sondern auch seine eigenen Werke zu drucken und sie somit ein Stück weit zu schützen. Wir reden hier über das 18. Jahrhundert. Bald darauf wurden auch andere Komponisten wie Haydn oder Mozart auf ihn aufmerksam und begannen ebenfalls ihre «Arbeiten» zu schützen.

Die Wahrnehmung, etwas zu tun, und es nicht «klauen» zu lassen ist jung. Vor Mozarts Zeiten, also im 17. Jahrhundert und noch weit ins 18 Jahrhundert war es eine Ehre, wenn sich jemand anders an der Tonkunst eines Kollegen Komponisten vergriff. Und so entstanden dann auch viele Interpretationen von Arbeiten, die dazumal die «Szene» bereicherten. Und nicht nur das: viele Komponisten bedienten sich immer wieder eigener alten Ideen und Werken für neue Kreationen. Johann Sebastian Bach allen voran, aber auch Beethoven, Haydn, Mozart und viele andere auch.

Kopieren war «inn» und störte im Grunde genommen niemanden wirklich. Im Gegenteil: die Musik konnte sich so schneller verbreiten, der «Urheber» empfand es oft als Kompliment, dass eines seiner Werke neu oder anders interpretiert wird. Heute wären dieses Praktiken Diskussionsstoff und würden vor Gericht enden. Plagiate, als Stichwort. Und heute? Wir lassen Streamingdienst und allen anderen Anbietern freie Hand auf dem Musikmarkt. Urheberrechte werden mit Füssen getreten und selbst die Hi-Fi-Industrie hat schon längst Geräte entwickelt, welche den nahtlosen Sound per Knopfdruck überträgt. Es schert sich niemand, aber auch überhaupt niemand, über welchen Kanal ich Bob Dylan höre und ober er zu seinem Geld kommt für seine Komposition.

Bei heutigen Konzerten leuchten im Publikum keine Feuerzeuge mehr. Es sind die Displays der Handys, welche das Publikum zum menschlichen Sternenmeer machen. Die Bildqualität ist mittlerweile so gut, dass man ein gutes Filmchen hinkriegt, auch wenn der Sound dazu noch nicht perfekt ist. Aber auch das ist eine Frage der Zeit, bis die Mikrofone diese Topqualität erreichen. Und so ist es mir möglich, einen Eindruck eines Konzertes irgendwo auf der Welt zu gewinnen, von dem ich nicht einmal weiss, dass es diesen Ort, diese Band und dieses Konzert gibt. Einerseits ist das toll, andererseits überfordert es mich gewaltig.
Die Band hat nichts davon, wenn ein Handyfilmchen auf dem Netz ist. Und sie wird auch niemand verklagen dafür, denn sie müsste dann wohl tausende andere ebenfalls verklagen und dann würde das Publikum ausbleiben. Und ein Film- und Fotografieverbot an Konzerten lässt sich schon gar nicht mehr durchsetzen, sonst müssten die Leute ihr Handy abgeben. Die heutigen Konzertsäle ohne Handys wären leer oder zumindest fast.

Wir haben uns mit dem heutigen Internet ein Tummelplatz geschaffen, deren Vorzüge ich sehr geniesse. Auch die Möglichkeit der Technik in der Fotografie weiss ich zu schätzen. Aber wir haben den menschlichen Abgründen Tür und Tor geöffnet, welche sich auch mit den besten Filtern nicht regulieren lassen. Wir bewegen uns in einem wahnsinnigem Paradoxum. Das eigene Streben nach Freiheit und Uneingeschränktheit im Netz tangiert dasselbe Bestreben anderer. Musik ja, aber billig, gute Fotos ja, aber möglichst günstig. Dasselbe gilt für Kameras, und trotzdem muss sie alles können.

Mit Filtern ist dem Netz nicht beizukommen. Und die Schweizer werden ohnehin wieder einen Weg finden, wie sie die Übernahme von EU-Recht aufweichen können. Ausser Radio hören, streame ich keine Musik. Ich weiss nicht, ob die Musiker und Komponisten dafür etwas erhalten. Ich kaufe mir CD’s und lade sie auf mein Handy oder sie werden altmodisch mittels einem CD-Player abgespielt, im Auto oder zuhause. Geld verdienen Musiker heute, wie so oft gehört, mit Konzerten und Werbung.

Der Filter sind wir, wir die fotografieren und Musik hören und das Internet benutzen. Einer Blume können wir kein Honorar bezahlen, sie hat keine Stimme für oder gegen die Veröffentlichung. Ena, unser Hund kann auch nichts dazu sagen, unsere Katzen auch nicht. Aber wenigsten kann ich Natur, Pflanzen und Tiere respektvoll begegnen, so entstehen auch respektvolle Fotos.
Ein Bild meiner Claudia würde ich ohne sie zu fragen nie veröffentlichen, Bilder unserer Pflegekinder kommen aus rechtlichen Gründen nicht ins Netz. Wenn Objekte wie der Eifelturm geschützt werden, dann hat das wohl seine Gründe. Ob ich es gut finde oder nicht, ich habe mich daran zu halten. Also veröffentliche ich auch keinen Eifelturm. Und wenn ich es trotzdem tue, dann werde ich vom Forumsbetreiber oder von Mitusern darauf hingewiesen, auch ohne Filter.

Das Tummelfeld Internet als Idee und Ikone der Freiheit ist es längst nicht mehr. Und letzthin kam mir Gedanke, ob ich alternativ zum Posten von Fotos in Foren, sie ausdrucken soll und ein paar netten Usern per Post zuschicken soll. Vielleicht erhalte ich dann auch eine Rückmeldung, ein Like, ein Blümchen, ein Däumchen (up oder down) oder ein paar Worte.

Ich gehöre zu dieser Generation, welche das, was wir heute haben, mit zu verantworten haben. Jede Generation verantwortet die eigenen Handlungen. Die nächste Generation dann die Folgen der vorhergehenden und die eigenen. Und ich gehöre zu jenen, die sich nicht gerne fremdbestimmen lassen möchten. Wenn ich nicht mehr nachvollziehen kann, was mit meinen Handlungen geschieht, welchen unsichtbaren Prüfungen sie unterzogen werden, dann lasse ich irgendwann die Finger davon. Und in all den Debatten, nicht nur in dieser, fehlt mir oft der Gedanke des Verzichtens. Ein Wort, welches aus dem heutigen Sprachschatz fast vergessen ist, weil alles jederzeit möglich ist. Schade, Verzicht hat mit Freiheitsentzug nichts zu tun, aber würde sich wohlwollend auf viele Lebensbereiche auswirken, auch auf die Fotografie.

Ich trau’ mir keinen Ausblick zu. Zu verwirrend ist es. Aber vielleicht löst sich das auch von selbst, irgendwann und irgendwie. Und nein, ich wünsche mir das Zeitalter der Liebesbriefe und Postkarten nicht zurück. Ich könnte sie, wenn ich wollte, ja noch heute nutzen.

Ich denke zurück an einen Abend von dieser Woche, als sich die ersten Fetzen dieses Textes in meinem Kopf bemerkbar machten. Nico, der Kater, lag einmal mehr auf der Kirchenbank. Ich habe ihn nicht gefragt, ob ich sein Bild veröffentlichen darf. Ich tue es trotzdem und freue mich über die kurzen, schönen fotografischen Momente mit ihm. Frei nach dem Schriftzug, welche unter der Kodakkamera steht: enjoy the little things ...

Notfalls mit dem Neuzugang der Kamera meiner Mutter, oder einer Z von Nikon, oder einer Leica, oder ....

In diesem Sinne: Ich wünsche allen ein filterfreies Wochenende....



 
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