NF-Rezension Katja Snozzi "Jahrhundertmenschen"

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Virgil Kane

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Jahrhundertmenschen ist ein Bildband mit den Portraits von 100 Schweizer Hundertjährigen.
Titel, Vorwort und Texte sind in vier Sprachen gehalten (Deutsch, Italienisch, Französisch und Spanisch), wobei mit den Sprachen recht wahllos umgegangen wird. Nur das Vorwort ist in allen Sprachen abgedruckt.

Über die Autorin/Fotografin Katja Snozzi, Jahrgang 1947, heißt es im Umschlagtext (Zitat):

„Die Tessiner Fotografin Katja Snozzi portraitierte hundert hundertjährige und ältere Menschen aus allen Teilen der Schweiz. Ihre konsequent bei Tageslicht aufgenommenen Schwarz-Weiß-Bilder zeigen hundert Facetten des Alters zwischen Schönheit, Freude, Weisheit und gelebten Lebens. Alex Campus, Iso Camartin, Alberto Nessi und Amélie Plume verfassten je einen persönlichen Beitrag über das Thema Alter, die die beeindruckenden Aufnahmen begleiten.“

Die begleitenden Texte sind schnell abgehandelt. Das Vorwort stammt von der ehemaligen Schweizer Bundespräsidentin Ruth Dreifuss und ist auf der Doppelseite 4/5 in vier Spalten und genau so vielen Sprachen abgedruckt. Frau Dreifuss gelingt in dem knappen und klugen Text sowohl eine Würdigung der Künstlerin und deren Schaffens als auch die Herstellung eines persönlichen Bezugs beim Betrachten der Portraits zur aktuellen Gegenwart. Ruth Dreifuss versucht uns klar zu machen, was wir in Wahrheit in diesem Buch zu sehen bekommen: Portraits von Menschen, hinter denen hundert Mal ein ganzes Jahrhundert individuelle Geschichte steckt. Gesichter, Gesten, Blicke, die in hundert Jahren gewachsen, geformt, entwickelt wurden. Und zwar aus allem was diesen Menschen in ihrem Leben widerfahren ist. Und Frau Dreifuss regt an, in diesen Gesichtern nach Spuren des Erlebten zu suchen. In aller Ruhe und ohne Scheu - denn das, so Dreifuss, sei der Vorteil eines Fotos an sich: der Portraitierte bemerkt unsere neugierigen Blicke nicht.

Vier weitere Zwischentexte der o.g. Autoren wurden auf Doppelseiten scheinbar wahllos zwischen die Fotos gestellt. Ein jeder davon ist in einer anderen Sprache gedruckt. Der Text von Alex Campus macht den Anfang und er ist auf Deutsch. Es handelt sich dabei um den Dialog zweier Großväter über das zu erwartende Leben eines Neugeborenen. Die darin enthaltenen Aussagen über Vergangenheit und Zukunft sind allerdings so trivial, dass es eher stört als bereichert, den Text zu lesen. Sollten die drei anderen Texte auf ähnlichem Niveau sein (was ich mangels entsprechender Sprachkenntnisse nicht prüfen konnte und auch nicht der Mühe wert erachtete, Google zu bemühen - schließlich geht es um die Fotos), kann man sie getrost vergessen.

Zu den Portraits. Alle Fotos sind technisch perfekt. Im einheitlichen Stil sehen wir Köpfe mit mal mehr mal weniger Schulterbereich vor dunklem Hintergrund in seitlichem Streiflicht, das bei einigen Motiven von links, bei anderen von rechts kommt. Der Schärfebereich reicht in der Regel von der Kinnspitze bis zu den Nackenhaaren, die Augen befinden sich stets im Fokus. Aus dem Vorwort von Ruth Dreifuss erfahren wir, dass die Aufnahmen während des Gesprächs mit der Fotografin entstanden sind und dass diese keinerlei Vorgaben zur Pose der Portraitierten gemacht hat. Ihr Augenmerk galt dem entscheidenden Augenblick, jenem Moment, in dem die Person besonders sie selbst gewesen ist. Authentizität und Achtung vor dem Menschen waren nach Dreifuss die maßgeblichen Kriterien für den Druck auf den Auslöser. Wie es Katja Snozzi möglich war, ein persönliches Gespräch zu führen und gleichzeitig noch auf diesen besonderen Moment zu achten, bleibt ihr Geheimnis. Sicher ist es auf ihre langjährige Erfahrung beim Fotografieren von Menschen zurückzuführen. Und genauso sicher ist es ihr einhundert Mal gelungen, eine Gesprächsatmosphäre zu schaffen, in der die Portraitierten genug von sich preisgaben, um ein gutes Foto möglich zu machen. Alle Portraits - im Layout offenbar willkürlich mal als Doppelseite, mal als halbe Seite angeordnet - sind absolut gelungen!

Bleibt die Frage der Zielgruppe…

Für wen ist dieses Buch geeignet?
  • Für Hundertjährige - um sich mit dem Fitnessgrad und Kleidungsstil der Abgebildeten zu messen.
  • Für Angehörige betagter Verwandten - um es als Ansporn zum 90. Geburtstag zu schenken.
  • Für Portraitfotografen - um sich weiterzubilden und zu sehen, wie es andere machen.
  • Für Altersheime - zur Bereicherung der Bibliotheken und Aufenthaltsräume
  • Für Philanthropen - die im Sinne von Ruth Dreifuss Freude daran haben, Menschen zu betrachten und darüber zu sinnieren, was ihnen wohl widerfahren sein mag in ihrem langen Leben. Konkrete Hinweise hierzu finden wir übrigens nicht. Außer Name, Alter und Wohnort erfahren wir nichts über die abgebildeten Personen - eine Spielwiese für phantasiebegabte Betrachter.
  • Für Portraitfans - wer Herrn Newtons Portraits und Herrn Schoellers Close Ups schon im Regal hat, findet sicher noch Platz für dieses Buch
.

Fazit:
Ein schnörkelloses, klassisches Fotoalbum 100 Hundertjähriger. Nicht weniger - aber auch nicht mehr. Bilder und Vorwort 5 Punkte, Texte und Informationsgehalt 3 Punkte. Insgesamt 4 von 5 Punkten mit dem ausdrücklichen Hinweis für Fans.

Die Daten
Katja Snozzi. Jahrhundertmenschen erschien am 20. Oktober 2016 im Verlag Scheidegger & Spiess. 1. Auflage, 2016. Gebunden, Text in Deutsch, Französisch, Italienisch, Rätoromanisch, 152 Seiten, 100 sw Abbildungen, 23 x 30 cm
ISBN 978-3-85881-518-7
Preis CHF 69,00 | EUR 68, 00

Bewertung:
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ISBN: 3858815187

 
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