Goldener Schnitt und "Spannung"

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Tinker

Guest
Mir fällt in den Beiträgen zur Diskussion von hier eingestellten Bildern eine Häufung der Schlagwörter "Goldener Schnitt" und "Spannung" auf. Ich empfinde den Gebrauch dieser Schlagwörter hier als inflationär. MMn wäre z. B. der "Goldene Schnitt" bei einer Vielzahl der hier immer wieder empfohlenen gutgemeinten Verbesserungen kein (All-) Heilmittel. Ich finde den gebetsmühlenhaften Vorschlag "komponiere das Bild das nächste Mal doch im GS" als zu einfach, abgedroschen und zu oft dem Motiv garnicht angemessen.

Zur Unterstützung meiner Meinung berufe ich mich auch auf einen mMn kompetenten Meister: Andreas Feininger, z. B. in seinem Buch "Kompositionskurs der Fotografie" (Econ, 1972) auf S. 19:

..."Der Goldene Schnitt ist, wenn er auch zu ausgewogenen Proportionen führt, kein Allheilmittel. Gerade seiner harmonischen Wirkung wegen führt er leicht zu spannungslosen, daher langweiligen Ergebnissen"...

MMn muss ein gutes Foto nicht so häufig wie hier gefordert "spannend" oder auch "harmonisch" sein. Zu vielen wichtigen Motiven passt das garnicht, z. B. wenn Entspannung oder aber auch Disharmonie ausgedrückt werden soll.

Tinker
 
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Ich sehe dies ebenso!
Zwar ist der GS sicher erst einmal kein Fehler und entspricht einer gewissen ästhetischen Erwartungshaltung,-
aber alle Bilder im GS zu gestalten,würde einfach zu der obenstehend erwähnten Vereinheitlichung des Feschmacks führen!
Golden oder nicht,-einigen Motiven oder Situationen kann dieses Kriterium einfach nicht gerecht werden,-glücklicherweise,wie man fast schon sagen muß!
Mit freundlichen Grüßen,-kumgang!:)
 
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Hallo Tinker,

Ich empfinde den Gebrauch dieser Schlagwörter hier als inflationär.
ich denke, man muss da zwei Sachen unterscheiden: Es gibt da einerseits Modeerscheinungen wie z. B. die Colorkey-Technik, oder zu einem gewissen Maß auch der HDR-Hype, aber auch andere Dinge, die sich bei allzu intensivem Gebrauch totlaufen, wie etwa Fisheye Aufnahmen. All das unterliegt dem Zeitgeist, ist meist gebunden an eine bestimmte Technologie oder und greift nicht fundamental an das Wesen einer Fotografie und der Ästhetiklehre.
Andererseits gibt es Dinge, die nicht erst mit der Fotografie erfunden wurden, sondern die sich über Jahrmilionen im Unterbewußten der Menschen entwickelt haben - letztendlich um das Individuum und die Art am Leben zu halten. Dazu gehört die Gewißheit, dass süße Beeren nicht giftig sind und dass "wohlproportionierte" Formen tendenziell eher "gesund" sind als Proportionen außerhalb der Norm. So platt das klingt, aber das waren die Argumente, die unseren Vorfahren gleichwohl bei der Nahrungssuche wie auch bei der Partnerwahl letztendlich das Leben und Überleben sicherten. Diagonalen im Bild sind nicht deshalb gut, weil das in Internet-Foren es gebetsmühlenartig gefordert werden, sondern weil dies dem natürlichen, menschlichen Sehen einer neuen Situation sehr entgegenkommt. Du kannst gerne mal damit experimentieren: Sogar Diagonalen, die von links nach rechts fallen haben eine andere Wirkung als Diagonalen die in dieser Richtung ansteigen. Spannung durch korrespondierende Punkte führen den Blick auf das Wesentliche in einer Szenerie. Die Evolution hat uns besonders sensible Sehzellen an den Rändern des Gesichtsfeldes außerhalb des Sehzentrums geschaffen, die eigentlich nur auf Bewegung (Kontraständerung) reagieren können, damit wir blitzartig ein möglichst breites Sichtfeld überwachen können um Konfliktsituationen zu erkennen. In Fotografien gibe es keine Bewegungen, statt dessen muss man den Blick auf die die Konflikt- (oder Harmonie-) Situation anders führen.

Was ich sagen will: Natürlich muss nicht in jedem Bild jedes Stilmittel pixelgenau einsetzen, im Zweifelsfall ist aber die Nutzung dieser Mittel besser als der allzu willkürlicher Aufbau eines Bildes, weil jeder Betrachter diese Dinge intuitiv versteht, genau so wie ein Kind intuitiv ein Märchen versteht, weil die Sensorik für dieses Verstehen ganz tief im Unterbewußten hat.

Ciao
HaPe
 
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Hallo,

was ich für viel bedenlicher halte ist, daß 80-90% der Leute hier im Forum den goldenen Schnitt ncht kennen und mit der rule of thirds gleichsetzen.

Robby
 
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was ich für viel bedenlicher halte ist, daß 80-90% der Leute hier im Forum den goldenen Schnitt ncht kennen und mit der rule of thirds gleichsetzen.

Das wiederum halte ich für überhaupt nicht bedenklich, da ja die Drittelregel eine vereinfachte Annäherung an den Goldenen Schnitt ist und die Abweichung zwischen den beiden nur bei sehr kleinen Objekten feststellbar wäre und zum anderen wage ich zu behaupten, dass jemand, der einen "fotografischen Blick" hat, sich automatisch bzw. intuitiv an den goldenen Schnitt hält, "soweit nicht durch eine Abweichung von der Regel ein besseres Foto entsteht".
 
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...und zum anderen wage ich zu behaupten, dass jemand, der einen "fotografischen Blick" hat, sich automatisch bzw. intuitiv an den goldenen Schnitt hält, "soweit nicht durch eine Abweichung von der Regel ein besseres Foto entsteht"...

...das sehe ich genauso. Andererseits ist´s ja bekannt, dass es eine der deutschen "Tugenden" ist, für Alles und Jedes ein Regelwerk beanspruchen zu müssen....

Gruss Saffetti
 
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Hallo,
was ich für viel bedenlicher halte ist, daß 80-90% der Leute hier im Forum den goldenen Schnitt ncht kennen und mit der rule of thirds gleichsetzen.
Robby

für alle die es nicht kennen - Zitat Wikipedia
in der Kunst:

Inwieweit die Verwendung des Goldenen Schnittes in der Kunst zu besonders ästhetischen Ergebnissen führt, ist letztlich eine Frage der jeweils herrschenden Kunstauffassung. Für die generelle These, dass diese Proportion besonders ansprechend und harmonisch empfunden wird, gibt es keine gesicherten Belege. Viele Künstler setzten den Goldenen Schnitt bewusst ein, bei vielen Werken wurden Kunsthistoriker erst im Nachhinein fündig. Diese Befunde sind jedoch angesichts der Fülle von Kandidaten für den Goldenen Schnitt, wie man sie beispielsweise in einem reich strukturierten Gemälde finden kann, oft umstritten.

So werden zahlreichen Skulpturen griechischer Bildhauer, wie der Apollo von Belvedere, der Leochares (um 325 v. Chr.) zugeschrieben wird, oder Werke von Phidias (5. Jahrhundert v. Chr.) als Beispiele für die Verwendung des Goldenen Schnittes angesehen. Auf letzteren bezieht sich auch die heute oft übliche Bezeichnung Φ für den Goldenen Schnitt, die von dem amerikanischen Mathematiker Mark Barr eingeführt wurde. Die ebenfalls gelegentlich verwendete Bezeichnung τ bezieht sich dagegen auf das griechische Wort „tome” für „Schnitt”.

Der Goldene Schnitt wird auch in vielen Gemälden der Renaissance vermutet, wie bei Raffael, Leonardo da Vinci und Albrecht Dürer, zum Beispiel bei Dürers Selbstbildnis von 1500 und seinem Kupferstich Melencolia I von 1514.

Künstler der Neuzeit, die den Goldenen Schnitt bewusst einsetzten, sind beispielsweise Mondrian, Paul Signac und Georges Seurat, Hergé oder auch die Künstler der Section d'Or.

Auch in der Fotografie wird der Goldene Schnitt zur Bildgestaltung eingesetzt, wie beispielsweise von dem französischen Fotograf Henri Cartier-Bresson. Als Faustformel verwendet man hier die Drittel-Regel.

meiner Meinung nach ist der "goldene Schnitt" ein kann, aber nicht ein muss :D
 
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...dass es eine der deutschen "Tugenden" ist, für Alles und Jedes ein Regelwerk beanspruchen zu müssen....

Wenn ich da mal Picasso draufsetzen dürfte? "Regeln sind die Grundlage jeden Handwerks. Erst wenn man sie beherrscht, kann man daran gehen, sie zu brechen, nicht umgekehrt."


MMn muss ein gutes Foto nicht so häufig wie hier gefordert "spannend" oder auch "harmonisch" sein.

Ich gehöre ja zu denen, die das Wort "Spannung" oft und gerne benutzen. "Spannung" drückt für mich nicht vorrangig "Stress" oder diagonal-technischen Overkill aus, sondern eine Intensität in Motiv oder Komposition, die den Betrachter fesselt und somit ein gutes von einem weniger guten Bild unterscheidet. Es ist also viel eher eine bildimmanente Qualität, als eine technische Regel.
 
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Wenn ich da mal Picasso draufsetzen dürfte? "Regeln sind die Grundlage jeden Handwerks. Erst wenn man sie beherrscht, kann man daran gehen, sie zu brechen, nicht umgekehrt."

David, ich kenne den Knigge. Du solltest mich aber mal in einem Restaurant erleben!:D:D:D

Gruss Saffetti
 
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Meine Lieben,

alles ist eine Sache des Geschmacks.

"Regeln" wie der Goldene Schnitt und die unterschiedlichen Farbkreise (Welche Farben harmonieren miteinander - es gibt nicjht nur einen Farbkreis) führen den Lernenden zum bewußten Sehen. - Sie bergen aber die Gefahr der Langweiligkeit.

Wenn man diese Leitpfosten kennt, kann man sich an spannende Kompositionen machen. Gewürze für das Sehen, das Empfinden.

Holgi
 
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