Der wichtige Wohlfühlfaktor
Wer als engagierter Hobbyfotograf in die Aktfotografie einsteigen will, steht häufig vor vielen verschiedenen Fragen. Selbst wenn die Technik stimmt, die Location gefunden und das Model gebucht ist, bleibt oft die Unsicherheit: wird das Shooting funktionieren? Kann ich umsetzen, was ich mir vorgestellt habe? Wird das Model verstehen, was ich will?
Die folgenden Tipps und Beispielbilder helfen bei dem wichtigen Thema Umgang mit dem Model. Sie sind ein Auszug aus dem Buch „Professionelle Aktfotografie“ von Ralph Man, erschienen bei unserem Partner mitp-Verlag. Viel Spaß beim Lesen und Ausprobieren! Über Bilder deiner Ergebnisse freut sich die Netzwerk Fotografie Community in ihrem Bilderforum für Aktaufnahmen!
Was kann und sollte man zu diesem Thema schreiben? Zunächst gibt es in meinen Augen einige Selbstverständlichkeiten, die ich eigentlich bei jedem Menschen und bei jedem Fotografen voraussetze und über die ich normalerweise gar nicht zu schreiben bräuchte, wie zum Beispiel, dass man jedem Model, wie auch jedem anderen Menschen, immer mit Respekt und auf Augenhöhe begegnen sollte. Ich würde das nicht einmal erwähnen, wenn ich nicht wüsste, dass es einige unter den Fotografen gibt, die Models mit Bezeichnungen titulieren, die ich hier nicht wiedergeben möchte. Diese Leute haben in meinen Augen ganz klar den falschen Beruf und sollten überhaupt erst gar nicht mit Menschen arbeiten! Was mich zumindest aber etwas tröstet, ist, dass diese Leute oft nur sehr mittelmäßige Bilder produzieren, was meiner Meinung nach in direktem Zusammenhang steht. Nur was ich achte, bewundere und ernst nehme, kann ich auch gut auf einem Foto darstellen.
Das hängt allerdings auch noch von anderen Punkten ab. Wie wohl fühlt sich ein Model bei mir? Ich frage während eines Shootings immer mal wieder nach, ob alles in Ordnung ist, ob das Model Durst hat, die Raumtemperatur angenehm ist etc. und man sollte auch kleine Antennen dafür entwickeln, wenn sich ein Model mal nicht so wohlfühlt. Es passiert aber auch mir manchmal, dass ich Dinge im Eifer der Aktion nicht mitbekomme und das Model mir nach dem Shooting erzählt, dass es sich unwohl gefühlt hat, weil z.B. Zuschauer in die Location sehen konnten, was ich nicht bemerkt hatte, oder dass ihr der Assistent nicht sympathisch war. Das kann auch mir mal entgehen, aber ich bemühe mich immer, solche Situationen so gut wie möglich zu erkennen.
Oft ist es so, dass sich das Model in einer Ausnahme-Situation befindet. Sie steht mehr oder weniger nackt vor oft mehreren Menschen, die sie oftmals gar nicht kennt. All das wird man auf dem Bild sehen, wenn man es nicht richtig macht. Ich habe auch schon oft erlebt, dass Models eingeschüchtert waren, weil sie meine anderen Bilder gesehen hatten und sie die Models darauf so hübsch fanden. Man sieht ja die eigenen »Fehler« immer deutlicher als die der anderen. Ich beruhige die Models dann immer, indem ich ihnen klarmache, dass ich mich ja nun für sie entschieden habe, und das würde ich schließlich nicht machen, wenn ich denken würde, dass sie nicht mindestens genauso hübsch oder geeignet wären. Aber auch eine gewisse Souveränität beim Auftreten oder beim Shooting ist sicherlich wichtig. Das Model selbst ist oft schon unsicher genug, wenn der Fotograf jetzt auch noch Unsicherheit ausstrahlt, wird es sehr schwierig, eine lockere Atmosphäre zu erzeugen und somit auch vernünftige Bilder zu machen. Wenn du also einmal unsicher bist, dann lass es das Model auf keinen Fall merken.
Ein Tipp wäre hier zum Beispiel, wenn du mal nicht sicher bist, ob ein Lichtaufbau oder eine Bildidee funktioniert, sag dem Model einfach, dass du mal etwas ausprobieren möchtest, und wenn es dann nicht funktioniert, sagst du einfach: »Es war mal ein Versuch.«
Eine lockere Stimmung, wo auch mal ein Scherz gemacht wird und nicht alles so ernst genommen wird, ist für ein gutes Shooting optimal, auch wenn dann zwischendurch wieder ernst gearbeitet wird. Abbildung 3.10 ist ein Beispiel dafür.
Abbildung 3.10 Kamera: DSLR, Objektiv: 1,8 85 mm, f 1,8, 1/45 s, ISO 500, Licht: Dauerlicht (500-W-Einstelllicht von Profoto Acute2 Heads) mit Profoto Softlite und einer Profoto-Softbox 3×4 zur Aufhellung von der Seite. Location: Hotel, Model: Nadine, MUA + Styling: Ralf Breinlinger . In diesem Shooting haben wir viel rumgealbert, aber das entstandene Foto war, auch wenn es nicht so aussieht, genau geplant und wir haben es ein paar Mal wiederholt, bis alles passte. In einer lockeren Atmosphäre, wo eh viel gelacht wird, ist das, wie man an dem Bild sieht, kein Problem.
Ein anderer Punkt ist die »Sicherheit«! Gelegentlich gibt es größere Herausforderungen hinsichtlich des Motivs. Das Model soll z.B. in einen schlammigen See oder auf einen hohen Baum klettern. Hier spielt natürlich die Sicherheit für das Leben und die Gesundheit die größte Rolle. Auch wenn man sicher ist, dass diese Punkte geklärt sind, ist natürlich trotzdem die Frage, ob das Model sich dabei gut fühlt. Szenen wie bei »Germany’s Next Topmodel«, wo man weinenden Models erklärt, dass sie so etwas machen müssen, wenn sie Erfolg haben möchten, hat es bei mir noch nie gegeben und wird es auch nie. Das hat meiner Ansicht nach etwas mit dem zuvor genannten Punkt Respekt und Achtung vor dem Model zu tun. Wenn ich ein besonderes Shooting plane, weiß ich oft schon, welches Model da eher »hart im Nehmen ist« und viele Situationen, die bei anderen Unsicherheit auslösen würden, gelassen angeht. Abbildung 3.11 zeigt eine solche Situation.
Abbildung 3.11 Kamera: Mamiya RZ 67 (analoge Mittelformat-Kamera), Objektiv: 2,8/ 110 mm (110 mm 6×7 cm Mittelformat sind die Normalbrennweite für 6×7-Kameras). Mittlere Blende f 8–11, Licht: Sonne ohne Aufhellung. Model: Sarah, MUA + Styling: no. Hier hatte ich die Idee, dass ein Model im Wasser steht und die alten Baumstümpfe und das Model sich im Wasser spiegeln. Der Untergrund war sehr morastig und es waren sehr viele Tiere von Insekten über Fische bis hin zu Bibern anwesend. Dieser Umstand reicht eigentlich schon, um einige Models direkt von diesem Shooting gedanklich auszuschließen. Zumindest Fische im Wasser haben schon in der Vergangenheit dazu geführt, dass ich Shootings abbrechen musste, und wir sprechen von einheimischen und nicht von Haifischen.
Ein anderes Mal war ich wieder einmal im Duisburger Landschaftspark Nord und hatte die Idee, das Model auf eines dieser dicken Leitungsrohre zu legen (Abbildung 3.12). Das Rohr war nicht sehr hoch, aber Model Nina musste trotzdem dorthin balancieren und hätte sich, wenn sie ausgerutscht wäre, schon, wenn auch nur leicht, verletzen können. Außerdem waren die Rohre durch die sehr starke Sonneneinstrahlung sehr warm bis heiß. Ich wusste aber von ihr, dass sie mit den Anforderungen überhaupt keine Probleme hat. Grundsätzlich gilt aber bei allen Shootings dieser Art: Wenn das Model sich nicht wohlfühlt, mache ich es nicht! Ich versuche auch nicht, es zu überreden (außer wenn die Fische sehr klein sind!). Wenn das Model es nicht machen möchte, machen wir es gar nicht. Das ist das Risiko bei dieser Art von Shooting.
Abbildung 3.12 Kamera: Mamiya RZ 67 (analoge Mittelformat-Kamera), Objektiv: 2,8/ 110 mm (11 mm 6×7 cm Mittelformat sind die Normalbrennweite für 6×7-Kameras). Mittlere Blende f 8–11, Licht: Sonne ohne Aufhellung. Model: Nina, MUA + Styling: no. Man sieht es dem Bild nicht an, aber das Rohr war so durch die Sonne aufgeheizt, dass Nina die Pose nur kurze Zeit durchhalten konnte, ohne dass sie Schmerzen bekam.
Es ist also nicht nur unter menschlichen Aspekten wichtig, wie ich mit einem Model umgehe, sondern es hat auch immer Einfluss auf die Qualität der Bilder. Unabhängig davon macht es allen Beteiligten auch viel mehr Spaß, wenn man zusammen ein schönes Shooting in einer lockeren und manchmal auch lustigen Stimmung hat.
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Dies ist ein Auszug aus „Professionelle Aktfotografie“ von Ralph Man aus dem Kapitel 3.3 (ISBN: 9783958451872, mitp-Verlag). In unserer Rezension, die du hier findest, haben wir das Buch mit 4,5 von 5 Sternen bewertet. Wenn du nun auf den Geschmack gekommen bist, lohnt sich die Anschaffung des Buchs unbedingt.
Bilder und Texte mit freundlicher Genehmigung des mitp-Verlags. Dafür ganz herzlichen Dank!