Politisch motiviert oder Freude am Vandalismus?
Ob es mit Kenntnis der Bedeutung des Werks der jüdischen Fotografin geschah oder aus reiner Lust an der Zerstörung – es ist eine Schande. Wie die Veranstalter des Festivals für Fotografie f/stop berichten, wurden in der Nacht vom 3. auf den 4. August die 21 Tafeln des Displays für Gerda Taro in der Straße des 18. Oktober in Leipzig von Unbekannten mit schwarzer Teerfarbe überstrichen.
Man muss ja kein Fotofreund sein oder Kunst im öffentlichen Raum lieben. Diese jedoch mutwillig zu zerstören, aus welchen Gründen auch immer, ist absolut unverständlich und schockierend. Es zeugt von einer Geringschätzung und Herabwürdigung nicht nur der Arbeiten von Gerda Taro. Auch das erhebliche finanzielle, organisatorische und ideelle Engagement des Ausstellers wird mit Füßen getreten. Wir sind beinahe geneigt zu hoffen, es sei eine Bande junger Vandalen gewesen, die außer Rand und Band geriet – nach dem Motto „sie waren jung und wussten es nicht besser“. Allein die Durchführung und die benutzten Utensilien lassen leider auf eine sehr bewusst geplante Aktion schließen. Der Verein Zentrum für Zeitgenössische Fotografie Leipzig e.V. äußert sich dazu in einer Pressemitteilung:
Die Installation war eines der In-Situ-Projekte des 7. Festivals für Fotografie f/stop. Die Kuratoren des Festivals Anne König und Jan Wenzel wollten mit dieser Installation im öffentlichen Raum an die jüdische Fotografin Gerda Taro erinnern, die 1933 – damals hieß sie noch Gerta Pohorylle – von Leipzig aus nach Paris geflohen war, wo sie im September 1934 den jungen ungarischen Fotografen André Friedmann kennenlernte.
Die beiden Flüchtlinge erfanden sich im Exil neu. Sie gaben sich neue Namen: Er nannte sich Robert Capa, sie Gerda Taro. 1936 gingen sie zusammen als Fotografen nach Spanien, um die Gräuel des Spanischen Bürgerkriegs zu dokumentieren. Beide revolutionierten das mediale Bild von Krieg und Flucht. Ihre Fotos wurden in vielen internationalen Illustrierten gedruckt, sie gelten heute als Vorreiter der modernen Kriegsfotografie. Am 26. Juli 1937 verlor Gerda Taro ihr Leben durch einen tragischen Unfall: Um aus einem Gefechtsgebiet bei Villanueva de la Cañada, in der Nähe von Madrid, zu flüchten, das von der deutschen Legion Condor bombardiert wurde, war sie auf das Trittbrett eines LKWs gesprungen. Ein Panzer streifte den Wagen, riss sie herunter und überrollte sie.
Gerda Taro war die erste Bildreporterin, die im Krieg starb. Sie ist heute in New York, Paris oder Madrid bekannter als in der Stadt, von der aus sie ins Exil aufbrach. Ihr Werk auch in Leipzig bekannt zu machen, war die Intention der Installation. Die Arbeit erfuhr eine starke Resonanz, weshalb sie über den Zeitraum des Festivals hinaus gezeigt werden konnte. Dass jene Bilder, die Situationen von Krieg und Flucht zeigen, nun auf eine beispiellose Weise ausgestrichen wurden, hat viele Menschen, für die diese Tafeln mittlerweile zum Alltag gehörten, schockiert.
Der Verein Zentrum für Zeitgenössische Fotografie Leipzig e.V. als Veranstalter hat Anzeige erstattet, die polizeilichen Ermittlungen laufen. Auch wenn es über die Täter noch keine konkreten Erkenntnisse gibt, lässt die Art ihres Vorgehens darauf schließen, dass die Tat politisch motiviert ist. Ausgestrichen werden soll das Andenken an eine jüdische Fotografin, mit Teer unkenntlich gemacht wurden Bilder, die Flüchtlinge zeigen; Menschen, die durch einen Krieg aus ihrem Alltag herausgerissen worden.
Der Umgang mit einem Kunstwerk im öffentlichen Raum ist immer auch ein Lackmus-Test für den Zustand eines Gemeinwesens, denn anders als im „geschützten Raum“ eines Museums oder einer Galerie ist ein Kunstwerk im öffentlichen Raum der Gesellschaft – das heißt dem Schutz durch uns allen – übergeben. Das Display für Gerda Taro, dessen Errichtung auch durch die Unterstützung eines Crowdfundings, an dem sich über hundert Menschen beteiligt hatten, möglich war, ist eine res publica, eine öffentliche Sache.
Die Veranstalter sind mit dem International Center of Photography in New York, das den Nachlass von Gerda Taro betreut, im Gespräch. Der große Wunsch: die Bilder von Gerda Taro in den Stadtraum zurückzubringen. Die Geschichte von Flucht und Kriegsgewalt lässt sich nicht ausstreichen. Die Bilder müssen sichtbar bleiben. Die Wiederherstellung des Displays kann nicht ohne einen öffentlichen Diskussionsprozess gelingen. Es braucht eine Debatte über diesen Gewaltakt gegen Bilder. Es braucht eine Stadtgesellschaft, die die Bilder der Fotografin Gerda Taro schützt.
Quelle: Pressemitteilung des Vereins Zentrum für Zeitgenössische Fotografie Leipzig e.V.