Svalbard - Eine Irrfahrt auf der Suche nach Eisbären (Teil 1: Longyearbyen)

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Stephan Fürnrohr

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Servus, zusammen!

Im letzten Jahr hab meinen ersten zweiwöchigen Urlaub seit 13 Jahren gemacht. Hey, es waren sogar 16 Tage. Es lebe die Selbstständigkeit! ;-)
Nachdem ich bei den Naturfototagen 2008 gesehen hatte, dass Norbert Rosing die fotografische Leitung einer speziellen Fotografen-Schiffsreise um Spitzbergen übernimmt, sah ich die einzigartige Möglichkeit für mich, auch mal eine Pauschalreise zu buchen. Kleines Schiff, spezielle Ausrichtung - das klang gut. Ich hatte von Rosing 2 der besten Diashows meines Lebens gesehen (mit standing Ovations) und war auch von seiner Art, die Bilder zu präsentieren, begeistert.
So ganz pauschal wurde die Reise dann doch nicht da ich aufgrund einer von mir gewünschten früheren Anreise dann bis auf die Schiffsreise selbst alles privat gebucht hatte.

Ich kam nach einer Nacht in Oslo dann also am 25.08. in Longyearbyen an. 78° Nord.
http://de.wikipedia.org/wiki/Longyearbyen
Longyearbyen ist der einzige "richtige" Ort auf Spitzbergen, das eigentlich ein von Norwegen verwaltetes Niemandsland ist. Hier wohnen etwa 1900 der 2400 (Angaben schwankend) Einwohner von Svalbard. Der erste Eindruck was "Mann, ist der Ort hässlich" :)
Die Hässlichkeit wird dann durch etliche bunte Häuser etwas relativiert, trotz allem kann der Ort einen gewissen Aussenpostencharakter und seine Geschichte als reine Zweck-Siedlung der Bergbaugesellschaft nicht verhehlen. Was aber natürlich auch einen unheimlichen Charme mit sich bringt - faszinierend.

Aus meinem geplanten Ausflug in die russische Geisterstadt Pyramiden wurde leider nix - das Schiff hatte am Vortag einen Unfall, es wurde von einem anderen Schiff angefahren. Ersatz gibts hier nicht so schnell, also musste ich mich in Verzicht üben. Naja. man braucht ja Gründe zum wiederkommen.
http://de.wikipedia.org/wiki/Pyramiden_(Svalbard)

Zunächst mal einige Impressionen aus Longyearbyen selbst.....ich bin so frei und mische Dokumentarfotos und solche mit künstlerischem Anspruch munter durch. Das war quasi meine Zeit zum "einschießen" vor der Schifferlfahrt. Es dominieren eindeutig die Dokumentarfotos.

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Longyearbyen, wie es so im Adventfjord liegt. Im Hintergrund der große Isfjord.
Beim Herumwandern am Ortsrand ist Vorsicht angebracht. Das Siedlungsgebiet ohne Waffe zu verlassen ist nicht empfehlenswert und soweit ich gehört habe sogar untersagt. Erst in den neunziger Jahren wurden auf einem direkt an Longyearbyen angrenzenden Tafelberg zwei junge Norwegerinnen von einem nicht ausgewachsenen Eisbären attackiert. Eine konnte sich durch einen Sprung vom Berg retten, für die andere gab es kein Entkommen - denn Eisbären greifen (wenn sie angreifen) sehr schnell und mit kompromissloser Tötungsabsicht an.

Die Berge in der Ferne haben mich in den ersten Tagen richtiggehend hypnotisiert. Ich musste ständig an H.P. Lovecrafts "Berge des Wahnsinns" denken, auch wenn diese in der Antarktis angesiedelt sind.

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So wohnt man in Longyearbyen. Die wahllos abgestellten Motorschlitten sind omnipräsent, angeblich gibt es in Longyearbyen mehr Motorschlitten als Einwohner. Im Hintergrund sieht man das neue Kohlekraftwert und, wie eine Spinne auf der Anhöhe thronend, die historische Kreuzungsstelle der Bergwerks-Seilbahnen.

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Das Bild zeigt die Bedeutung von Autos im Verhältnis zu Motorschlitten. Auf Spitzbergen gibt es, ausser in Longyearbyen, praktisch keine Straßen. Auch keine unbefestigten. Das schränkt die Verwendung des Autos als Transportmittel natürlich schon etwas ein. :)

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Das Farbschema der Häuser wurde vor Jahrzehnten von einer Architektin speziell für Longyearbyen entworfen und ist preisgekrönt.
Im Hintergrund der Berg "Sukkertoppen" mit dem Eingang zur seit 1941 nicht mehr betriebenen (Kohle-)Mine 2a. Sie wurde im 2. Weltkrieg 1943 vom deutschen Schlachtschiff "Scharnhorst" mit Granaten in Brand geschossen. Das Kohleflöz brannte und schwelte daraufhin fast 20 Jahre lang weiter.

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Ein verheißungsvoller Ausblick über den alten Kohlehafen in Richtung der nördlichen Berge.

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Living Lonely. Zwischendurch mal ein Schwarzweißbild vom gegenüberliegenden Ufer des Adventfjords.
Hier gibt es vor allem Ferienhäuser von Longyearbyerern, die es in Ihrer Freizeit erwas ruhiger mögen.

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Die Flaniermeile von Longyearbyen ist geprägt von sachlicher Zweckmäßigkeit.

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Nochmal schön zu sehen: das Farbschema.
Im Hintergrund der Tafelberg "Operafjellet". An ihm zerschellte 1996 eine russische Maschine im Landeanflug. Alle 143 Passagiere verloren dabei Ihr Leben.

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Das Trinkwasserreservoir.

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Etwas Hausschmuck.
Apropos: Auf Spitzbergen gibt es keinerlei einheimische Urbevölkerung. Ist wohl zu abgelegen.

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Kanister (1)

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Kanister (2)

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Kanister (3)

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Berge, Kohleseilbahn, Kraftwerk

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Blick unter der alten Seilbahnkreuzung hindurch auf die City.

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Wellblech-Studie (1)

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Wellblech-Studie (2)

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Das alte Kraftwerk.

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Eines meiner Lieblings-Sujets. Ich mag es einfach, wenn der Lack ab ist

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Hier nochmal der "Sukkertoppen" mit den Resten der lange brennenden Mine.
Im Vordergrund einige Exponate, die vor dem Luftfahrtmuseum Spitzbergen drappiert sind. Ja, die Luftfahrt hat hier einst ne interessante Rolle gespielt - von hier aus starteten mehrere Zeppelins und Ballons Richtung Nordpol. Das Museum erzählt Geschichten von viel Scheitern und wenig Erfolg. Zu oft mit tödlichem Ausgang.

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Grube 2b, schön im Western-Style.

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Ein wilder Motorschlitten-Parkplatz, dahinter die Reste der Bergarbeitersiedlung Sverdrupbyen. Auch hier besiegelte praktisches Denken das Schicksal der Bauten: nachdem die Siedlung keinen Zweck mehr hatte (die dazugehörige Grube 1b wurde 1958 geschlossen) entfernte man den Ortsteil in Rahmen einer großen Feuerwehrübung.

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Blick in den Adventfjord vom Berg Breinosa aus. Hier befindet sich Grube 7, die einzige in Longyearbyen noch in Betrieb befindliche Mine. Weniger als 20 Leute fördern hier noch bis 2010 in einer Schicht Kohle, vorwiegend für das örtliche Blockheizkraftwerk. Die Straße endet hier - in einer extrem steilen Schotterpiste. Erst als wir oben waren fiel mir auf, das der Kleinbus der "Stadtrundfahrt" hinten Zwillingsreifen hatte, der Allradantrieb machte sich schon beim hochrasen bemerkbar.

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Selber Berg, andere Firma. Hier sieht man eine der beiden Schüsseln von EISCAT, neben SVALSAT einer der beiden Forschungs-Großanlagen in Longyearbyen.
http://www.eiscat.com/
Überhaupt liegt in der Forschung wohl eines der großen Standbeine der Zukunft von Spitzbergen. In Longyearbyen hält sich an der kleinen örtlichen Universität ein international geprägtes Häuflein Studenten auf, ehemalige Funktionärswohnbauten wurden in Studentenwohnheime umgewandelt.
Weitere Forschungshighlights auf Spitzbergen sind Ny Ålesund und das Svalbard Global Seed Vault, eine weltweite Pflanzen-Samenbank im Permafrostboden.
http://de.wikipedia.org/wiki/Ny-Ålesund
http://de.wikipedia.org/wiki/Svalbard_Global_Seed_Vault

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Zum Schluss der Serie aus Longyearbyen noch ein Spitzbergen-"Pflichtmotiv".
Das Schild soll einem dann wohl endgültig klar machen, dass Zivilisation, Mobilfunknetz und Versicherungsschutz hier unweigerlich enden.

Irgendwie dämmerte mir langsam, dass das Ende der Welt (räumlich, nicht zeitlich) irgendwo hier nicht weit entfernt sein musste.
Ein Gefühl, welches sich in den folgenden Tagen wiederholt verstärken sollte.
Abweisend, menschenfeindlich und erhaben, das sind meine ersten Assoziationen aus Spitzbergen gewesen. Kein Vergleich mit Lappland, welches im Gegensatz zu Spitzbergen trotz in aller Einsamkeit und Wildheit geradezu lieblich und überlaufen wirkt.

Wer mich kennt weiss, dass ich ein Faible für alles habe, mit dem man Paddeln kann.
Also lag es nahe, eine Kajaktour zu buchen. :)

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Es ging zusammen mit einer norwegischen Führererin (mit Gewehr, selbstverständlich - ein sonderbaren Gefühl, so ein bewaffneter Spaziergang) und 3 Paläontologie-Doktorandinnen aus Großbritannien auf die andere Seite des Adventfjords hinüber. Dort überkam mich der Gedanke "hier ist das Ende der Welt" zum ersten Mal mit Wucht. Es stehen dort ein paar einsame Ferienhütten (wir haben aber keine Menschenseele gesehen) und einige alte Gebilde. Die dunklen Häuser stehen alle leer, sie wurden lt. unserer Führerin schon vor dem Krieg zusammen mit der Kohlenmine auf dieser Seite des Fjords aufgegeben. Die Förderung lohne sich kaum, da die Bergleute dieser Minen traditionell fordernder und rebellischer waren, als Ihre Kollegen in Longyearbyen. Der Chef soll bisweilen hart an einer Lynchung vorbei geschrammt sein.

Da auf Spitzbergen pauschal alles, was vor 1945 gebaut oder fallen gelassen wurde sowieso automatisch unter Denkmalschutz steht, ist der ganze Müll auf den Bildern "cultural heritage" und darf nicht verändert werden. Das Treibholz kommt aus Sibirien (auf Svalbard endet die Vegetation 15 cm über dem Boden) und der neuere (Plastik-)Müll ist der Schmuck, den unsere Zivilisation den Weltmeeren verpasst. Das von einem Spaßvogel drappierte Rentierskelett steht symbolisch für das Dilemma der Spitzbergen-Rentiere. Es kommt immer wieder vor dass welche verhungern, da sie sich an den im Übermaß zwischen den Pflanzen liegenden Steinen die Zähne ausgebissen haben. Tja, und ein Selbstportrait ist auch dabei. :)

Bei Interesse.......to be continued.....

Ciao,
Stephan

http://www.time-for-inspiration.de
http://www.twitter.com/stephansd
 
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Vielen Dank für den wunderschönen Reisebericht!
Für mich kommt die Stimmung vom räumlichen Ende der Welt sehr gut rüber.
 
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Hej Stephan!

Interessanter Bericht und klasse Bilder!
Vieles davon erinnert mich an Ost-/Nordgrönland.
Zeig doch bitte noch gaaaanz viele Fotos von deiner Reise!

Gruß, Sylvia
 
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Seeeehr schön bis jetzt - ich freue mich schon auf die nächsten Teile!
 
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ich kann mich nur anschliessen, sehr schöner Reisebericht, auf jeden Fall weitermachen ...

Ralf
 
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Sehr coole Reportage. Mach bitte bald weiter! Mein Faltboot wackelt schon ganz unruhig in seiner Hülle- ich glaube, es möchte auch da hin.
 
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:up: Sehr schön, nur weiter so! :up:
(Warum sitze ich eigentlich noch hier... ach ja, ich muss ja leider noch irgendwie meine Familie ernähren.....:fahne:)

Grüße

Stefan
 
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Hi, zusammen!

Dank Euch erstmal für das nette Feedback. Fortsetzung folgt in Kürze... :)

Ciao & viele Grüße,
Stephan
 
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Hi Stephan,

verrätst Du uns auch, welche Megaausrüstung Du dafür an das Ende der Welt geschleppt hast?

Grüße

Stefan

PS: Wahrscheinlich verkaufe ich dann meine :rolleyes:!
 
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Hallo, Stefan!

verrätst Du uns auch, welche Megaausrüstung Du dafür an das Ende der Welt geschleppt hast?

Kein Problem: ich hatte meine D3x mit 14-24, 24-70 und 70-300 VR dabei.
Dazu hatte ich mir für die Reise ne D300s als Backup und ein 2,8/300 VR mit 1,4fach Konverter gemietet.
Plus Stativ und (wenig) Kleinkram. Der Krempel hat in den Photo-Trekker gepasst, war also gar nicht so viel ;-)

Ciao,
Stephan
 
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Hallo, Stefan!



Kein Problem: ich hatte meine D3x mit 14-24, 24-70 und 70-300 VR dabei.
Dazu hatte ich mir für die Reise ne D300s als Backup und ein 2,8/300 VR mit 1,4fach Konverter gemietet.
Plus Stativ und (wenig) Kleinkram. Der Krempel hat in den Photo-Trekker gepasst, war also gar nicht so viel ;-)

Ciao,
Stephan

Hallo Stephan,

deutlich mehr als ich erwartet habe, aber irgendwie doch befürchtet... :)

Aber gut zu wissen, da muß ich wohl neben der Reise noch auf die Ausrüstung sparen :D (Jetzt habe ich wenigstens eine Ausrede nicht so gute Aufnahmen zu haben :hehe:)

Grüße
Stefan
 
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deutlich mehr als ich erwartet habe, aber irgendwie doch befürchtet... :)

Von den insgesamt um die 20 Passagieren auf dem Schiffchen war ich von der Ausrüstungsmenge her etwa im Mittelfeld. Da wurden auch 4/600er und 500er incl. der passenden Stative mitgeschleppt. Brennweite konnte man zwar einerseits nie genug haben, andererseits bekam man dann enorme Probleme mit dem Rollen und den Vibrationen des Schiffs. Das war auch bei 300mm oder 300mm x 1.4 schon richtig schwierig, vor allem bei schlechten Lichtbedingungen. Mein Rezept war: Einbein vorne auf den Schuh, Ferse auf den Boden und Fuß vorne etwas in die Höhe gehen den tuckernden Schiffsdiesel, dann für den Rest auf den VR hoffen. ;-)

Ciao,
Stephan
 
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Danke für den Bericht,
ich war 2008 zweimal mit Norbert da oben.
Das erste mal ohne Sonnenfinsternis und ohne Eisbären, das zweite mal dafür Bären pur!
Ich zehre heute noch davon, bei dem bericht kommt wieder die Erinnerung hoch (und etwas Neid, aber nur ganz wenig, ehrlich!)
Gruß aus FFM
Torsten
 
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