Per aspera ad astra .... durchs Raue zu den Sternen....

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sam25

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Am 5. April dieses Jahr bin ich seit 13 Jahren hier im NF-Forum. Es ist mir erst im Nachhinein aufgefallen. Ein Grund mehr, mich intensiv mit einem Thema zu befassen. Fotografie und Musik, ein Thema, welches mich nicht loslässt und hier, unvollkommen und umperfekt präsentieren darf. Die hohe Akzeptanz hier, lässt dies zu und ich würde dieser umfassende Text mit den Bilder so, in dieser Form auch nur hier zeigen.

Ich bitte darum, ausführliche Kommentare bis am Schluss aufzuschieben, da es dann besser lesbar wird für alle. Selbstverständlich könnt Ihr, innerhalb des einzelnen Beitrages kommentieren.

So beginne ich, es kann sein, dass ich das ganze Wochenende dazu brauche, bis der ganze Thread fertiggestellt habe. Aber nach 13 Jahren hier, erlaube ich mir, diese Zeit zu nehmen...


Prolog

Die Sinfonien von Beethoven lassen mich seit geraumer Zeit nicht mehr los. Immer und immer wieder höre ich die eine oder andere Sinfonie. Ich suche sie nicht aus, sie tritt irgendwann wieder an die Oberfläche und bleibt meistens für Tage oder Wochen präsent.

Die 9. Sinfonie von Beethoven ist seit Wochen präsent und an der Oberfläche. Fast täglich höre ich sie oder zumindest Ausschnitte davon. Und ich gehe der Geschichte nach, der Entstehung und in diesem Zusammenhang noch vertiefter dem Menschen Beethoven.

Die paar Tage hier im Tessin, an diesem Ort voller Energie aber auch Gegensätzlichem, schreibe ich nun über diese Sinfonie, über Beethoven, über mich und setze mich mit Fotografie und Musik auseinander. Entstanden sind Gedanken, welche nicht den Anspruch auf Recht haben wollen beanspruchen. Entstanden sind Bilder, welche nicht den Geist der 9. Sinfonie verkörpern. Sie sind entstanden in Gedanken und Emotionen dazu, als Untermalung letztlich meiner eigenen Gefühlswelt.

In dieser Woche hier, zuhinterst im Valle Verzasca, mit ein paar wenigen Ausflügen, entstanden unter minimalster technischer Voraussetzung Wort und Bild. Mit CS4 auf einem alten Macbook habe ich die Bilder leicht bearbeitet, der Zeitaufwand für ein Bild war das gefühlte zehnfache als zu Hause.

Dennoch, getragen hat mich dieses grosse Werk, welches einzigartig in der Musikwelt steht, gehasst, missbraucht und vergöttert seit der Uraufführung.

Und so beginne ich.




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Nun! „Oh Freunde, nicht diese Töne“, bin ich versucht zu sagen. Gefreut habe ich mich wie ein kleines Kind auf diese Ferien. Ein Ort, wo ich minutenschnell heruntergefahren bin, ein Ort, der den Alltag weit hinter sich lässt....

„Nicht diese Töne“, wohl ein Aufschrei des tauben Beethovens, für mich ebenfalls ein Aufschrei. Keiner weiss, warum er diese Worte in seiner letzten Sinfonie, im vierten Satz gewählt hat. Und doch sind sie so befreiend. Ich werde noch darauf zurückkommen.

Der Satz „per aspera ad astra“ ist der 3. Sinfonie von Beethoven gewidmet (die Eroica), der Satz ist nicht von mir, aber passend. Passend zur 9. Sinfonie von Beethoven sind wohl Victor Hugos Worte: „Dieser Taube hat die Unendlichkeit gehört“.... und ich bin versucht zu sagen, dass der „Blinde das Paradies gesehen hat“.

Tage vor meinen Ferien sind einmal mehr die Sinfonien von Beethoven aufgepoppt ...Im Verlaufe meines Lebens habe ich die Frage nach dem „Warum“ negiert, wenn sich etwas gemeldet hat.... Eine Bedeutung sind solche Zeichen allemal, nur schlüssig werden sie mir nicht immer.




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Und es ist die 9., welche mich an den Rand meiner Wahrnehmung bringen, und die sich hier, zuhinterst im Valle Verzasca so gut einfügen lässt. Versoffen, grantig und mürbe hat sich Beethoven in seinen letzten Jahren der Taubheit gezeigt. Das „Nicht-mehr-Hören“ hat ihn verändert. Die Wahrnehmung war eingeschränkt, ausgerechnet das Gehör, ausgerechnet das wichtigste Organ für einen Komponisten und Pianisten. Ausgerechnet jener Sinn, das wichtigste Organ, ist ausgestiegen. Für immer und unwiederrufbar. Ich kenne das nicht, nicht zu hören. Umso sorgsamer gehe ich mit meinem Gehör um, seit meine Frau, Claudia, sich Hörgeräte anschaffen musste.




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Es muss eine berührende Uraufführung der 9. gewesen sein, als sie Beethoven gehörlos dirigierte. Bei leisen Passagen soll er in die Knie gegangen sein, bei Fortissimo soll sich der kleine Mann in die Höhe gestreckt haben und über sich selbst gewachsen sein. Der Applaus des Publikums hat er nicht gehört, die Musiker mussten ihn darauf aufmerksam machen....




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„Rausch und Stille“ heisst das Buch von Karl-Heinz Ott, welcher sich Kapitel für Kapitel mit den neun Sinfonien von Beethoven beschäftigt. Und sei es wieder Zufall habe ich gelesen, dass es in Lugano ein Beethoven-Festival gibt diesen Sommer, welche unter anderem die 9. mit einem über 200köpfigen Chor aufführt.




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Es gibt in der Musikgeschichte wohl keine Komposition, welche dermassen für Eigenzwecke missbraucht wurde wie die 9. von Beethoven. Es gibt wohl niemand, der ohne die Musik zu hören, solch ein Werk geschrieben hat. Und vielleicht ist es der Gehörlosigkeit von Beethoven verschuldet, welche sich andere zu Nutzen machten und machen, um dieses Werk für sich zu beanspruchen, oder es für sich zu instrumentalisieren. Von Hitler über Stalin bis weiss ich nicht wem, haben sich diesem Werk bedient. Und hier liegt das grosse Missverständnis: Beethoven war nie eindeutig. Ein ewig Fragender, ein Zweifler, nicht wertend, aber immer auf der Suche nach dem (eigenen) Frieden ... Schon seine Kindheit liess ihm keine andere Wahl. Oder, vielleicht war er doch eindeutig. Nur suchen wir am falschen Ort.




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Hier im Valle Verzasca gibt es nichts zu beschönigen, wie in allen Nordtälern des Tessin nicht. Das Schöne bleibt das Schöne, das Wüste bleibt das Wüste. Man kann sich dafür interessieren oder nicht, man kann darüber sprechen oder nicht. Man kann Fragen stellen oder es sein lassen, man kann sein Leben lang auch ohne die Nordtäler des Tessins verbringen. Man kann problemlos Beethoven und seine Musik links liegen lassen.




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Man kann seine Sinfonien als Musik festhalten und sie vorwärts und rückwärts vergleichen mit Mozart und Haydn und anderen. Man kann, und das geht ebenfalls problemlos, die eigene Verwirrtheit dem Komponisten anhängen, die eigenen guten und unguten Gefühle nach dem Hören einer Sinfonie, Beethoven in die Schuhe schieben und man kann, ebenfalls problemlos, sich der Tiefe der Musik und ihrer Wirkung entziehen.




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Liebe und Hingabe. Wer das Dunkle nicht mag, schätzt das Helle nicht. Beethoven wird musikalisch gemessen, so wie jeder Komponist. Das was ich höre, mehr nicht. Und so geht das nicht. Es wird so gemacht und es werden die Noten auseinandergenommen und irgendwelche Phrasen und Partituren interpretiert. Partituren werden verglichen und darüber diskutiert. Und so geht das ebenfalls nicht.




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Wenn ich mich durch das Leben von Beethoven durchackere, dann gerate ich immer wieder in seine Kindheit und ich gerate auch in meine Kindheit. Das hat damit zu tun, dass ich immer wieder Menschen frage nach ihrer Kindheit, nach ihren Prägungen, nach ihren Erinnerungen. Oh nein, das alles ist es nicht. Und doch schon etwas.




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Seit Jahren gehe ich den Geschichten der Nordtäler im Tessin nach. Immer intensiver, nie wertend oder moralisierend. Und es immer das Gleiche: man gibt sich hin oder nicht. Irgendwann kommt man zum Schluss, dass es keinen Graubereich gibt. Und immer wieder der Versuch sich in Grautönen zu tummeln, diese als schmerzfreie Zone zu begehen.




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Beethovens Musik tut weh, erfreut, verwirrt und berührt; die Nordtäler des Tessins tun dies auch. Manchmal wird es mir übel, wenn ich Beethovens Sinfonien höre. Dann kommt alles hoch, jene missbräuchlichen Geschichten, jene Schreie nach seinem inneren Frieden, jene schmerzhafte Sehnsucht anerkannt und akzeptiert zu werden.




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Und ich kann jubeln über diese grossartigen Passagen, über die Hoffnung und auch über diese Glückseligkeit in dieser Musik. Beethovens sprunghafte Wechsel in Moll und Dur haben mich nie gestört. Die Andeutungen, der Wechsel von laut und leise, Themen anschneiden und sie weglassen, habe ich immer als Bereicherung empfunden. Beethoven reflektiert, wirft einem ungefragt auf sich selbst zurück, verwirrt und stellt Fragen und lässt einem nicht mehr los.




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Alle diese Geschichten, die ich im Alltag trage, werfen diese Fragen auch auf. Auch hier, zuhinterst im Verzascatal. Wenn Beethoven sagt, dass der grösste Komponist Händel sei, und dies mit dem Vergleich belegt, dass keiner aus dem Minimum an Noten maximale Wirkung erzielt, dann hat er wohl auch sich selbst gemeint. Die Sinfonien sind pompös, voller Überraschungen, mit neuen, unbekannten Instrumenten und Besetzungen. Melodien werden permanent unterbrochen, ebenso der Rhythmus, laut und leise wechseln sich ab und die Tonarten geben sich die Hand.




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Hier im Valle Verzasca geht es ähnlich zu und her. Die Stille gibt es kaum. Das Rauschen des Wassers begleitet einem in diesem Tal immer. Manchmal leise, manchmal laut. Verlässt man die Talwege und steigt noch höher in die Berge, überraschen einem immer wieder kleine oder grössere Bäche. Das Geräusch des Wassers ist wie ein Klangteppich, welcher sich durch das ganze Tal zieht. Nur in den Häusern ist es totenstill.




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Durchs Raue geht man heute kaum noch. Durch die Stille schon und zu den Sternen ebenfalls. Nur dass man heute die Sterne bewundert. Früher lag die Romantik hier weitgehend brauch, das gegenseitige Turteln um Freundschaft und Heirat war es dann schon.




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Ungefähr 90 Einwohner hat Sonogno noch heute, Einwohner, welche das ganze Jahr hier wohnen. Mehr nicht. Und die meisten von ihnen arbeiten im Grossraum Locarno, oder noch weiter, und kehren am Abend zurück. Die wenigen Bauern im Dorf bewirtschaften ihr karges Land mit Maschinen. Die Abhängigkeit von öffentlichen Subventionen ist hoch und existenziell.




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Schöne Rustici beeindrucken den Besucher, viele sind nur in der Hochsaison genutzt. Einige können sich das leisten, andere nicht. Die Unterschiede sieht man den Häusern an. Der Tourismus, zuhinterst im Tal, gehe zurück, hat uns die Lady im Ristorante gesagt. Und die Vermieterin unseres Rustico’s, mitten im Dorf meint, dass früher die Touristen für ein, zwei oder drei Wochen gebucht hätten. Heute würden sie am Mittwoch anrufen, um für Freitag bis Sonntag zu buchen. Und das sei ein immenser Aufwand.




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Die Abwanderung ist immer noch hoch, die Überalterung selbst für einen aufmerksamen Besucher sichtbar. Kinder sieht man wenige, junge Paare fast keine. Der neu errichtete Nebenbau des Museums des Valle Verzasca, vermag genau so wenig mehr Menschen anlocken, wie alle anderen getätigten Massnahmen auch. Und auch wenn Sonogno auf der Hompage ihre Langlaufstrecke im Winter lobt, dann finden sich im Winter keine Touristen hier. Wie auch.




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Es gibt im Winter noch genau eine Übernachtungsmöglichkeit im Dorf, sämtliche Einkaufsmöglichkeiten für den täglichen Bedarf (und davon gibt es nur eine), bis auf eine Beiz, sind geschlossen. Es sind nur schwerlich Vermieter zu finden, welche im Winter ihre Rustici zur Benutzung zur Verfügung stellen. Immerhin, der öffentliche Bus fährt ab morgens um 0630 Uhr stündlich bis 1830. Dann ist Schluss. Wer nach dieser Zeit nach Locarno in den Ausgang möchte, hat ein Auto, oder bleibt wo er ist.




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