Wie ich Grizzlybaeren fotografiere

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Calgary617

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Moin,

long time no see, hoffe es geht allen gut. Momentan komm ich kaum noch dazu hier reinzuschauen, aber leider auch kaum zum Fotografieren, und das, wo die Baeren los sind. Mittlerweile verstehen die Videokamera und ich uns auch ganz gut und ich schaffe es die Aufnahmen durch youtube nicht mehr gnadenlos Matsch zu komprimieren, deswegen gibt es heute mal bewegte Bilder zum Thema: Wie mach ich meine Baerenfotos :)

Dienstag hab ich endlich mal einen Tag frei bekommen und um 4Uhr ging es raus, nach 4 Stunden und 300km ergebnisloser Suche befand ich mich im Banff NP an einer Strasse die von einem ganz besonderem Grizzly gern genutzt wird, Nummer 64.

Das letzte Mal habe ich 64 im Juli letzten Jahres gesehen als sie mit drei Kleinen aus dem vorigen Winter an eben dieser Strasse von Touristen und Fotografen belagert wurde. Da ich gestresste-Baeren-Aufnahmen nicht mag haute ich gleich wieder ab und gab es keine Bilder. Davor hatte ich sie erst ein mal gesehen, dafuer aber auch ausgiebig fotografieren koennen wie ich hier schon mal beschrieben habe.

64 war der erste Grizzly den ich je in Kanada gesehen habe. Damals hatte sie aus pragmatischen Gruenden die #116 im Ohr, die 64 hatte sie verloren und zwischendurch gab es dann eben eine Ersatznummer. http://www.nikon-fotografie.de/vbulletin/nf-f-bilderforum/135375-ursus-arctos-horribilis.html

Mittlerweile ist sie 23 Jahre alt und hat wie gesagt drei Kleine, vor kurzem hat man sie kurz betaeubt und ihre Nummer ausgetauscht, jetzt heisst sie wieder 64 und hat ein neues GPS-Halsband und einen Funksender ins Ohr getackert. Das hat keinen weiteren Zweck als PR fuer die Geldverbrennungsaktion "Bear Protection Plan" der Eisenbahngesellschaft CN und Parks Canada, die fuer $1Mio CAD Grizzlies besendern statt das Geld zu nutzen und den Baeren den Zugang auf die Eisenbahngleise zu erschweren auf denen sie immer wieder sterben. Oder dem Trans Canada Highway, der wie die Eisenbahnstrecke einer der Hauptgruende fuer die schwindende Grizzlypopulation in Banff ist. Auf jeden Fall betonen sie jetzt immer in den Nachrichten wie wichtig die Sender um den Hals sind wenn die Grizzlies im Verkehr sterben, auch dieses Jahr bereits wieder.

Viele Leute die ich kenne leben ihr ganzen Leben hier und haben noch keinen Grizzly gesehen, ich allein dieses Jahr bereits ueber 20 verschiedene. Da kommt immer die Frage auf, wie ich das mache und wie ich meine Bilder bekomme, ob das nicht gefaehrlich ist, ob ich doof bin oder keine Lust zum Leben mehr habe.

Grizzlybaeren sind fuer mich die faszinierendsten Tiere die es gibt. Gross, stark, Menschen in eigentlich allem ueberlegen und auf Grund ihrer schieren Masse, Kraft und Intelligenz fuer Menschen gefaehrlich.
Grizzlybaeren sind aber auch nur Menschen :winkgrin:

Das Allerwichtigste um gute Aufnahmen von Baeren zu bekommen, viel wichtiger als High ISO, Brennweite oder 12Bilder/Sekunde ist bedingungsloser Respekt vor dem individuellen Tier. Gute Aufnahmen bekommt man von ungestressten Tieren die ihrem Tagesablauf nachgehen ohne auf die Praesenz des Menschen zu achten. Dafuer muss ich Baeren verstehen koennen, nicht im Hippiesinne von "Baeren sind ganz liebe Tiere und wir haben eine Verbindung im Geiste und die Baeren sprechen mit mir und ich versteh sie auch" oder solchem Bloedsinn. Aber Baeren senden pausenlos Signale aus die ueber ihren Gemuetszustand Auskunft geben. Ohren, Gesicht, Koerperhaltung, es gibt unzaehlige Dinge an denen man erkennen kann, ob ein Tier gestresst ist, wie bei Hunden kann ein einfaches Gaehnen Unwohlsein oder eine Verschlechterung der Stimmung anzeigen.

Wenn man sich die Muehe gibt Informationen zu sammeln und diese Signale zu deuten, und zwar so, dass man sich auch eingestehen muss, dass ein Tier trotz allerschoenstem Licht auf der gruensten Wiese mit dem schoensten Hintergrund keinen Bock darauf hat fotografiert zu werden und man weiter fahren muss. Baeren haben wie Menschen unterschiedliche Charaktaere, Beduerfnisse und Interessen, die ich beim Fotografieren beachten muss. Spazier ich durch die Stadt in der Fussgaengerzone, halte ich einen groesseren Abstand zu Menschen die mir aus welchen Gruenden auch immer unsympathisch oder berohlich wirken, bei alten Omis oder kleinen Kindern hab ich dagegen kein Problem damit in naechster Naehe dran vorbeizulaufen oder 'Hallo' zu sagen. Geht sicherlich jedem hier so.

So wie ich eine Toleranzgrenze fuer die Naehe von anderen Individuen habe, hat jeder Baer, abhaengig von verschiedensten Faktoren eine Toleranzgrenze die zwischen Akzeptanz und Feindseligkeit/Verteidigung unterscheidet. Die Grauzone ist ebenfalls von Tier zu Tier und Tagesstimmung abhaengig. Daher nehme ich mir die Zeit den Baeren zu beobachten bevor ich anhalte oder mich ihnen naehere. Und wenn das Tier Gelassenheit signalisiert, ueberlasse ich dem Tier die Toleranzgrenze des Abstands zwischen ihm und mir zu setzen. Selbst wenn das Tier mich als Mensch im Auto nicht als Lebewesen einordnet im Vergleich zu einer Begegnung zu Fuss, versuche ich ihm zu zeigen, dass ich es respektiere und auf Signale reagiere. Um Stress zu vermeiden und einen Konflikt zu Verursachen.

Dienstag habe ich dann tatsaechlich 64 gesehen, mit ihren Kleinen wuselte sie rechts von der Fahrbahn durch eine Kiefernschonung und ich rollte im Schritttempo mit dem Fuss vom Gas an ihr vorbei und beobachtete wie sie und die Kleinen reagierten. Ein kurzer Blick und sie gingen ihrem Treiben nach. 100m weiter dann einen u turn gemacht und vorsichtig wieder an ihnen vorbeigerollt und ca. 50m weiter angehalten und wieder beobachtet. Nach etwa 15 Minuten dann war klar, dass die Strassenbreite als Abstand zwischen ihnen und mir ausreichend war, keine Reaktionen und ich fing an zu fotografieren und zu filmen. Ueber drei Stunden begleitete ich die Tiere und konnte jede Menge Informationen sammeln, filmen und nebenbei noch 1609 Aufnahmen machen, die fuer mich Aufnahmen sind, die ich wahrscheinlich so nie wieder machen werde. Das Licht wechselte von grellem Sonnenschein ueber Bewoelkung zu Regen, koennte zum Fotografieren besser sein, aber es war fuer mich die gluecklichste Zeit meines Lebens. Ein Wiedersehen mit meinem ersten Grizzly in Kanada und ihren drei Kleinen, ueber die gesamte Zeit nie weiter als 50m entfernt und aller intimsten Einblicken in den Tagesablauf einer Grizzlyfamiliel.

Es wurde geschlafen, gefressen, getobt und nach ueber zwei Stunden konnte ich mein Glueck kaum fassen, als 64 sich hinlegte und ihren Nachwuchs saeugte, nur knapp 30m von mir entfernt. Waeren die Tiere mit meinem Verhalten nicht einverstanden gewesen, waere es unmoeglich diesen Momenten beizuwohnen. Mit Respekt ist jedoch vieles machbar, was man selber nicht fuer moeglich halten wuerde oder fuer verrueckt ansehen. Hier ein paar Minuten Film die zeigen, wie entspannt die Tiere sind, trotz meiner Anwesenheit im Auto. Trotz der interessanten Geraeusche vom Hund (von den noch interessanteren Dueften will ich gar nicht erst anfangen :D ), meinem Standortwechsel im Auto gibt es allerhoechstens Mal ein paar Blicke. Damit koennt ihr einen Eindruck bekommen wie gross der Abstand ist und wie die Tiere sich verhalten. Am Ende hab ich aus diesem Zweck mal weggezoomt, so dass man sehen kann wie nah wir uns sind und wie ich mit bean bag im Fenster meine Bilder bekomme. Und wie unheimlich aufregend die Beobachtung fuer alle Autoinsassen ist :winkgrin:

Koennt ihr Dank hippem HD auch vergroessern und in besserer Qualitaet sehen, unten clicken, Bilder kommen dann im gesonderten Thread.

 
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Bei uns in den oestlichen Rockies besteht die Nahrung der Baeren zu 90% aus Pflanzen (jetzt im Fruehling Loewenzahn, Wurzeln, dann spaeter in den hoeheren Lagen Lilien, ab August dann verschiedenste Sorten beeren), die restlichen 10% Fleisch sind entweder im Fruehling wehrlose Hirschkaelber auf die sich manche Grizzlies spezialisiert habeb (#64 zB kann jeden Fruehling in den Wiesen in denen Hirschkuehe gebaeren gefunden werden), Beute die von anderen Tieren (Wolf oder Puma) gerissen wurde und dann in Besitz genommen wird, Roadkill (Kadaver von auf Strasse/Schiene getoeteten Tieren) oder ausgebuddelte Hoernchen.

Gerade im Fruehling sind Wegraender vielbesuchte Orte von Wildtieren, da sie nach dem Winter zuerst ergruenen. Die Grizzlies fressen Unmengen von Loewenzahn und laufen dabei auch auf Lichtungen und Gebirgswiesen wie ueberdimensionierte Schafe nach einer Anabolikakur friedlich grasend durch die Gegend.

Weiter westlich dann wird die Nahrung fleischlastiger, in erster Linie Lachse, aber auch dort noch Pflanzen. Baeren sind Omnivoren wie Schweine oder Menschen. Durch das vorhandensein an Unmengen von Proteinen (Fisch) ist auch die Groesse der Baeren westlich und nordwestlich von uns groesser. Bei uns gilt ein Maennchen mit 400lbs gross, Ausreisser bis 800lbs sind Ausnahmen. In BC wiegt ein Maennchen ohne Probleme 700-800lbs, in Alaska geht es dann richtig hoch bis locker 1300lbs und groesser.
 
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Tolle Aufnahmen, Hendrik!
Und vielen Dank für deine Informationen drumrum!

Bei mir geht es nächste Woche los und ich hoffe, auch ein paar Teddies fürs Weitwinkel zu finden ;-)
Leider fehlt mir gänzlich ein Auto zur Tarnung, ein grünes T-Shirt muss reichen ...

Hoffentlich verpasse ich deine Grizzly-Fotos nicht, ich bin gespannt drauf!

Viele Grüße,
Sylvia
 
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Ich danke für die herrlichen Bilder und den Text dazu:

Als ich in den 80ern in den Rocky lebte und arbeitete, sah ich manchen Grizzly. Leider hatte ich dazumal nicht die Ausrüstung um "gescheite" Bilder zu machen. Die Bemerkung, dass viele Leute seit Jahren dort wohnen, und noch nie einen Grizzly sahen, wundert mich nicht. Diese Aussagen habe ich schon zu meiner Zeit gehört.

Und dann wäre ja noch diese Story, welche mir mein Gastvater erzählt hat, welcher dazumal für das Departement für Forst- und Waldwirtschaft gearbeitet hat:

Ein Vater wollte unbedingt seine Tochter mit eine Bären fotografieren und schmierte der Tochter einen Arm mit Honig ein. Der Bär kam und nahm den Honig samt Arm mit. Der Vater versuchte dann Anklage zu machen. Er kam selbst in Amerika mit der Anklage nicht durch.

Ich bin gespannt auf deine Bilder und freue mich darauf.
 
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