Gelhof - eine Rezension

Thread Status
Hello, There was no answer in this thread for more than 30 days.
It can take a long time to get an up-to-date response or contact with relevant users.

sam25

NF-Community VIP Member
Registriert
Gelhof ist ein Roman von Sans Ear, Mitglied im NFF seit 2005. Sein Autorenname: Enno ter Vehn. Das Buch ist im Oldenburger Isensee-Verlag erschienen.


Einleitung

Die Geschichte von Gelhof und um Gelhof ist eine Geschichte des Schweigens. Ich habe gestaunt, wie wortreich und direkt mich Schweigen treffen kann. Wer das Buch liest, sollte sich auf die Kraft des Schweigens einstellen.
Eigentlich hat das Buch genau das ausgelöst, über das der Autor schrieb: Schweigen. Aber mit Schweigen über Schweigen würde ich das wiederholen, was so lange verschwiegen wurde. Und spende ich gerne ein paar Worte über mein Schweigen, obwohl ich eigentlich schweigen möchte. Vielleicht ist es aber nicht schweigen, sondern Stille, die sich in mir breit gemacht hat. Oder eine Betroffenheit. Und über Betroffenheit kann ich reden.
Ich schreibe als Ich, als Sam, nicht als «Man». Und so wird es persönlich. Aber Reden über Schweigen ist auch persönlich.

Rezension
Es trägt mich das Wort Schweigen über die ganzen hundertsechzig Seiten. Ich dachte immer, dass Schweigen lautlos und wortlos ist. Die Worte des Romans umhüllen das Schweigen obwohl mich das Schweigen immer wieder in eine innere Leere führt. Ich werde oft still um diese Worte. Dann höre ich das Schweigen wieder das laut und eindringlich in mir wirkt.
Ich habe ich die chronische Angewohnheit, dass ich beim Lesen immer noch das lese, was zwischen den Zeilen steht oder stehen könnte. Und das unabhängig vom Zeilenabstand und der Schriftgrösse. Und das ist Fluch und Segen zugleich und verstärkt oft die Wirkung des Geschriebenen.

Jugend im Norddeutschland der 70-er Jahre
«Gelhof» benennt das Schweigen und der Autor erhebt eine persönliche Stimme, eine Stimme eines Kindes, eines Jugendlichen. Fragen ersticken im Schweigen, wie Seifenblasen früher oder später in der Luft platzen. Die Worte um das Verschwiegene sind deutlich, präzise, unschön und manchmal nicht zu ertragen. Ich lege das Buch oft weg und gehe eine Weile auf und ab bevor ich weiterlese. Wenn ich mich dem Schweigen öffne, dann trifft es mich breitseitig und abgrundtief. Den Einen gehören die Tränen des Schmerzes, Anderen gehören die Tränen des Berührtseins.
Eigenwillig ist diese Sprache rund um das Schweigen. Schnell im Tempo mit abrupten Szenenwechseln. Eine gewisse Distanz des Autors ist fühlbar, welche aber für den Lesenden gleichzeitig eine intime Nähe zum Menschen schafft. Das Schweigen erzählt, das Schweigen spricht Bände, lange und wie beim Autor, ein Leben lang. Schweigen hat Folgen, Reden auch.
Und es stellt sich mir immer wieder die Frage, was dann wohl mehr schmerzt: Das Schweigen oder das Gesprochene im Roman? Schweigen beinhaltet auch Wörter und Geschichten. Schweigen erbt man mit all den Wörtern, die nicht mein sind und nie ausgesprochen wurden.

Zugfahrt in ein Kriegsgefangenenlager
Die wohl holprige Fahrt, das Schütteln der Waggons, die schwitzenden oder frierenden Männer, der Gestank, die menschlichen Laute oder eben auch das menschliche Schweigen führten mich zu einem mehrsinnlichen Lesen dieser Geschichte. Die Worte um das Schweigen hören, sie riechen und schmecken und fühlen und betrachten.
Schweigen kann nur der Schweigende brechen. Also nur derjenige, der sich entschlossen hat zu schweigen. Dem Gegenüber bleibt das Warten, das Aushalten, das Akzeptieren. Der Schweigende hat Gründe. Vielleicht findet er die Worte nicht, vielleicht würden Worte etwas auslösen, mit dem der Schweigende nicht umgehen kann.
Und so bricht der Autor nicht das Schweigen, sondern spricht darüber. Wortgewandt geht der Angeschwiegene mit dem Schweigen um. Eindringlich. Den Menschen, von denen er erzählt komme ich sehr nahe, auch wenn ich das manchmal nicht möchte. Aber diese innere Diskrepanz muss ich als Zuhörer aushalten. In solchen Momenten macht sich das Kontroverse des Schweigens bemerkbar und lässt es mich spüren.
Wer bereit ist, sich einer persönlichen Geschichte hinzugeben, der Geschichte eines Jungen, und eines Vaters und einer verstorbenen Mutter und der Geschichte von Gefangenen, einer Geschichte eines Landes, ein Stück weit einer Weltgeschichte, dem ist dieses Buch aufs Wärmste zu empfehlen. Wer die Worte um das Schweigen aushält, wer sich aber gleichzeitig dem Schweigen öffnet, wird berührt und betroffen sein. Man muss nicht, man darf. «Gelhof» lädt ein.

Der Ich-Erzähler erbt das Schweigen
«Gelhof» lädt ein zu reden. Reden, nicht Urteilen. Fragen stellen. Ich, Du und Wir. Fragen an unsere Eltern, Fragen an unsere Kinder und Fragen an sich selbst. Letzteres hat der Autor ebenfalls gemacht und das Schweigen mit Worten umhüllt. Eigene Worte, auf gleicher Höhe, gesagte, geschriebene und zu lesende Worte.
Und wenn Schweigen Worte beiseitegestellt werden, dann ist die geschwiegene Bürde nicht mehr so schwer. Und weil die Worte rund um das Schweigen nun von hoffentlich vielen Menschen gelesen wird, verliert die Bürde an Wirkung. Und das ist der einzige Weg für einen Angeschwiegenen, dem Schweigen die Kraft zu nehmen.
Geschichte kann ich nicht verändern. Wenn geschwiegen wird über die Geschichte, dann haben ich zu lernen, darüber zu reden. Der Autor ist Erbe von Schweigen. Für seine Entscheidung, eigene Worte für das Erbe zu finden und ein Buch darüber zu schreiben, bin ich dem Autor zutiefst dankbar.
 
Anzeigen
Und da wir hier in einem Fotoforum unterwegs sind:

full
 
Kommentar
Genau. 👍🏼
Mit welchem Objektiv hast du das Cover fotografiert?

Mit dem Z 85/1,8 S (zusammen mit dem Z 35/1,8 S der Knaller, wie ich finde). Ich habe vor Urzeiten mal die Frage nach dem Traumtrio gestellt, die beiden Objektive mit der der Z6II ergeben meine eigene Antwort. Ich habe noch tausend andere Sachen, die hier rumfliegen, aber wenn's drauf ankommt, nehme ich kaum was anderes zur Hand. Wobei ich mich eigentlich immer noch ärgere, dass ich irgendwann das AF-S 58/1,4 verkauft habe. Und dann gäb's da noch... das ist eine Geschichte, die wahrscheinlich niemals endet. :)

 
1 Kommentar
Lausert
Lausert kommentierte
Das AF-S 58/1,4 ist nicht wirklich weg, es ist nur wo anders und bereitet dort viel Spaß 😉
 
Schön, dass wir hier mit Dir einen weiteren Schriftsteller als aktives Mitglied haben. Auch von mir herzliche Glückwünsche zu Deiner Buchveröffentlichung.
 
1 Kommentar
N
Nicname kommentierte
Herzliches Dankeschön für Eure "Likes" hier. In diesem Zusammenhang fällt mir gerade auf, dass Christian Ditfurths Account mitsamt seinen Bildern anscheinend wieder gelöscht wurde. Das finde ich sehr schade! Ich mochte seine Bilder, gerade solche aus der Bretagne sehr.
 
Zuletzt bearbeitet:
Kaum zu glauben, gestern hat der Kölner Stadtanzeiger Gelhof mehr als eine halbe Zeitungsseite gewidmet.
 
2 Kommentare
sam25
sam25 kommentierte
Freut mich sehr .... :)
Link?
 
Sans Ear
Sans Ear kommentierte

Mal abwarten, bislang steht's "nur" in der gedruckten Ausgabe... aber Du bekommst gleich elektronische Post. :)
 
Gestern hatte ich es leibhaftig in der Hand. Habe es meinem Dad zum Geburtstag bestellt.

Was mich nun doch interessieren würde: was ist das auf dem Bild auf der Vorderseite???
 
2 Kommentare
Wuxi
Wuxi kommentierte
Eine Bahnschwelle als Symbol für den Abtransport in die Kriegsgefangenschaft?
 
hjklemenz
hjklemenz kommentierte
Schiene, nicht Schwelle.

(Buch ist bestellt.)
 
Zuletzt bearbeitet:
Gestern hatte ich es leibhaftig in der Hand. Habe es meinem Dad zum Geburtstag bestellt.

Was mich nun doch interessieren würde: was ist das auf dem Bild auf der Vorderseite???


Hey, @Thomas Ferber, es freut mich total, dass Du Gelhof verschenkst. Sehr schön!

Noch besser würde ich es mir gefallen, wenn Du es selbst lesen würdest. Den Kern der Geschichte erfassen dürfte vor allem die Generation, die einige der Jahre zwischen 1965 und 1985 als Jugendliche oder junge Erwachsene erlebt habt. Insofern ist Gelhof eher ein Buch für Dich - Du bist nur ein Jahr älter als ich.

Es geht um die großen Augen, mit der wir damals die (verrückte) Welt der Erwachsenen betrachtet haben.

Und die Kapitel spielen fast im Wechsel in kammerspielartigen Umgebungen: In einem eher schäbigen Badezimmer in den 70ern und in einem Waggon auf dem Weg in ein Gefangenenlager kurz nach dem Krieg. Das Bild greift das Zugmotiv auf. Die Gefangenen wissen nicht, wo die Schiene sie hinführt - und auch der Betrachter weiß es nicht.

Die Schiene auf dem Foto liegt übrigens im Niehler Hafen in Köln... aber das muss man ja niemandem verraten.
 
Kommentar
1 Kommentar
Sans Ear
Sans Ear kommentierte
...und wenn Du NWZ-Abonnent bist, schlag heute mal Seite 14 auf. ;)
 
.

Noch eine Besprechung:

.
 
Kommentar
.

Inzwischen habe ich "Gelhof" gelesen …
Und zwar aus zwei Gründen: weil mich das Thema resp. Buch interessierte
und weil ich den Autor nicht unbelesen für eine Lesung empfehlen wollte.

Letzteres kann ich nun mit absolut reinem Gewissen tun, weil dem Autor
(den ich deshalb so nenne, weil er sich hinter seinem Pseudonym verbirgt)
etwas gelungen ist, das ich hier einfach nur "Literatur" nennen möchte.

Die Sprache ist dicht und intensiv, ohne jemals elaboriert zu sein, und auch
die Bildhaftigkeit ist dem Thema stets angemessen – oft hart und plastisch.

Interessant ist auch der "Nachtrag", wo der Autor (da ist er schon Journalist)
"den Sack zumacht", indem er gewisse Motive erhellt.

Mein Fazit: Wer sich für Biofiction auf höchstem Niveau interessiert, wird von
"Gelhof" ebenso beeindruckt sein wie jeder, der ein schwieriges Kapitel der
deutschen Geschichte (wenigstens etwas) erklärt bekommen möchte.

Meine vielen Fragen, die offenblieben, behalte ich für mich – und werde sie
dann vielleicht bei dem Lese-Termin stellen, den ich nun Einstielen werde,

.
 
1 Kommentar
Sans Ear
Sans Ear kommentierte
Huh, Deine Zeilen berühren mich.
 
Nie hätte ich mir vorstellen können, dass dieses Buch (habe es gelesen) eine derart herbe Aktualität widerspiegeln kann, die sich nun durch die heutigen Ereignisse aufzwingt. Ich stand schon auf dem Boden, auf dem jetzt und heute Menschen sinnlos verrecken und das sprengt meine Vorstellungskraft. Die Dinge wiederholen sich anscheinend... Fassungslos!
 
Kommentar
-Anzeige-
Zurück
Oben Unten