Familienreise zum Fuß der Buddhas von Bamiyan

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Lydian

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Familienurlaub in Afghanistan? Unmöglich, ja. Seit dem Militärputsch 1978 bzw. dem Einmarsch der Sowjettruppen im Dezember 1979 nicht zu verantworten. In den Jahren zuvor jedoch war das "Land am Hindukusch", wie man sehr unscharf hierzulande spätestens seit Peter Struck sagt, Traumziel der Globetrotter und Hippies. Von diesem Afghanistan, dem untergegangenen - vermeintlichen - Paradies, will ich berichten.

Ähnlich wie in meinem Reisebericht über den Iran "Auf der Achse des Bösen" möchte ich Fotos und Erlebnisse von mehreren Reisen nach Afghanistan mischen. Wer meinem Bericht damals gefolgt ist, kennt auch meine Eigenheit, dass ich mich nicht auf eine Aneinanderreihung von Fotos beschränke, sondern versuche, mit Hintergrundinformationen manches verständlicher zu machen. In diesem Bericht wird es gehen um

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ein archaisches Land,


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ein Land mit stolzen Menschen

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und großartigen Landschaften.

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Die Buddhas von Bamiyan werden auch zu sehen sein. Hier schon einmal ein Fuß des kleinen Buddhas.​


Fotografische Anmerkungen: Die Fotos stammen mit wenigen Ausnahmen (in denen ich als Kind mit den Apparaten hantieren durfte) von meinen Eltern. Die Farbfotos wurden mit der Zeiss Ikon Contarex, die SW-Fotos mit der zweiäugigen Rolleiflex aufgenommen. Gescannt wurden die Farb-Dias mit dem Nikon Coolscan 5000 ED, die SW-Negative wurden mit der D700 und dem 105er Micro abfotografiert, einzelne Papierabzüge wurden gescannt.
 
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Wie kommt man auf die Idee, mit 4 Kindern nach Afghanistan zu fahren? Wenn man in Tehran wohnt, der Vater und die Kinder an der dortigen DST (Deutschen Schule Tehran) lehren bzw. lernen und dann im Sommer wegen der großen Hitze 12 Wochen Ferien haben, ist das naheliegend. Afghanistan ist nicht weit - in 1,5 Tagesfahrten zu erreichen -, exotisch, aufregend, spannend. Reisetipps holte man sich damals im Kollegenkreis, andere Quellen gab es kaum. An der DST mit 1500 Schülern waren viele reise- und abenteuerlustige Lehrer. Und so war meinen Eltern bald klar, dass die erste große Fahrt von Tehran aus ins östliche Nachbarland gehen musste. Buchen, Hotels aussuchen? Nein, wie auch? Kinder und Campingsachen einpacken, losfahren. Kinder - das hieß bei uns: 4 an der Zahl im Alter von (bei der 1. Reise nach Afghanistan 1974, von der die weitaus meisten Fotos stammen) 10, 9, 8 und 6.

Unsere Reiseausrüstung: VW 412 Variant, luftgekühlter (keine gute Idee!) Heckmotor mit 68 PS, dahinter ein "Faltwohnwagen". In diesem war fast alles notwendige verstaut, weil man an den Heckmotor immer mal wieder ran musste. Hitze mochte er nicht so. Am Zeltanhänger erkennt man, dass er schon strapaziert war - im Vorjahr begleitete er uns auf der Fahrt von Deutschland nach Tehran. Auf einer Fahrt ans Kaspische Meer wenige Wochen vor der Afghanistan-Reise erlitt er zudem einen Auffahrunfall und wurde notdürftig geflickt. In ihm schliefen wir zu sechst, auch unsere Küche war er.

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Am ersten Tag mussten wir Kinder eine lange, etwa 900 km weite Fahrt erdulden bis Maschad erreicht war. Dort gab es sogar einen Campingplatz, schließlich pilgerten damals viele Hippies gen Osten. Am nächsten Tag dann Weiterfahrt nach Herat, nur knappe 400 km, aber eine Grenze, die es in sich hatte. Einen halben Tag musste man einplanen, alles ausräumen, vorzeigen. Auf iranischer Seite war ein regelrechtes Museum eingerichtet, mit einer umfangreichen Ausstellung, wo überall die Zöllner Haschisch, Opium, Heroin und ähnliches gefunden hatten. Afghanistan, das Land der billigen Drogen! Ich weiß noch, wie ich sehr ratlos vor den Exponaten stand.


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Direkt an der Grenze fiel schon auf: Die motorisierten Transportmittel im Land sind knapp. Die wenigen werden voll ausgenutzt. Dieses Foto machte ich an der Grenze, während meine Elteren mit Formalitäten beschäftigt waren. Ich nutzte die Contarex mit dem Sonnar 135/4 und hatte keine Ahnung, dass man dann auf eine kurze Belichtungszeit achten sollte. Immerhin wusste ich, wie man die Belichtung misst.

Dann war bald Herat erreicht. Unser "Campingplatz" war der schöne Innenhof eines Hotels im Kolonialstil, dessen sanitäre Einrichtungen wir benutzen konnten. Ich erinnere mich an viele Tauben in den Bäumen des Parks sowie einen ständigen Wind, der die Hitze gut erträglich machte.
 
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Laut Robert Byron (in seinem Buch: "Reise nach Oxiana“) beginnt der Orient in Herat. Nach einem Jahr im Iran können wir das durchaus bestätigen. Zwar ist die zweitgrößte Stadt Afghanistans sehr persisch geprägt und die Einwohner sprechen alle farsi (persisch), aber das Land Afghanistan hat sich eben nicht wie der Iran seit den Kadjaren (seit dem Ende des 19. Jahrhunderts) Richtung Westen orientiert. Obwohl wir von der Sprache kaum einen Unterschied zu Tehran bemerken, gibt es keinen Zweifel, dass wir nun in einer viel archaischeren, ursprünglicheren, wilderen Stadt sind.


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Die Freitagsmoschee unterscheidet sich kaum von iranischen Moscheen, die Kleidung der Menschen doch sehr von der üblichen im Nachbarland.
Im Mittelalter war Herat eine bedeutende Stadt in Chorasan, der historischen, vorwiegend persischsprachigen Region in Zentralasien. Chorasan leitet sich ab vom persischen Wort خر chor (Sonne); Chorasan bedeutet soviel wie "Sonnenaufgang" oder auch "Lauf der Sonne".


Bevorzugtes Transportmittel in der Stadt sind die Pferde-Taxis.

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Mein Vater beim Bezahlen.​
 
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Annähernd 100% der Bevölkerung Afghanistans sind Muslime, davon etwa vier Fünftel Sunniten und ein Fünftel Schiiten. Der Islam ist über die Jahrhunderte von den Afghanen – den Paschtunen, dazu später mehr, - sehr konservativ ausgelegt worden, wobei man diese Rezeption nicht vom Stammesrecht der Paschtunen trennen kann.

Nach wie vor spielen vorislamische, zoroastrische, Bräuche wie zum Beispiel das altiranische Neujahr (Nouruz) oder der Glaube an segenbringenden Weihrauch (Espand) eine bedeutende Rolle im Alltag der Menschen.

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Minarett von Gauhar Schads Madrasa. Gauhar Schad, Frau des Timuriden-Herrschers Schah-Ruch, der bis 1447 regierte, ist als große Förderin der persischen Literatur, Kunst und Architektur bekannt. An ihrem Hof wirkten ca. 100 Dichter, deren bedeutendster sicherlich Dschami, auch als Maulana bekannt, war. Auch der Bau der Freitagsmoschee geht auf Gouhar Schad zurück.
 
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Am bekanntesten war Herat jedoch für seine Kunsthandwerker bzw. Händler, die kunsthandwerkliche Erzeugnisse verkauften.

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Glasbläser bei der Arbeit. Noch heute sind bei uns in der Familie hellblaue Gläser aus Herat in Gebrauch.


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Afghanische Knüpferzeugnisse zeichnen sich durch die markante Verwendung dunkelroter und brauner Farbtöne aus. Sie sind "erdiger" als die berühmteren Perserteppiche.
 
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Land der Afghanen

Babur der Große, Nachkomme von Tamerlan (Timur Leng) und Gründer des Mogul-Reichs in Nordindien, erwähnte in seinen zu Beginn des 16. Jahrhunderts verfassten Memoiren Nomadenstämme im heutigen pakistanisch-afghanischen Raum, die er „Afghanen“ nannte. Möglicherweise leitete Babur diese Bezeichnung vom altiranischen Wort „Avaghana“ ab, was so viel wie „Gottlose“ bedeutete. In der sassanidischen Zeit bedeutete diese Zuschreibung, dass jene Stämme nicht an Ahuramazda und seinen Propheten Zarathustra glaubten. Noch heute werden die Paschtunen im persischsprachigen Bereich oft als „Afghanen“ bezeichnet. Sie selbst ziehen jedoch den Terminus „Paschtunen“ vor.

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Nomaden vom paschtunischen Stamm der Kuchi​

Schon hier wird deutlich, wie schwierig die Bezeichnung „Afghanistan“ ist, ein Name, der sich für dieses Land erst nach der Unabhängigkeit von Großbritannien 1919 etablierte. Afghanistan bedeutet wörtlich Land der Afghanen, also eigentlich „Land der Paschtunen“. Zwar wird heute in der Verfassung Afghanistans ausdrücklich per Gesetz geregelt, dass unabhängig von der jeweiligen Ethnie alle Staatsbürger Afghanistans Afghanen sind, dennoch fühlen sich viele Tadschiken, Hazara, Usbeken und Turkmenen zumindest nicht primär als Afghanen.
 
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Ethnien

Wie eigentlich alle zentralasiatischen Länder ist Afghanistan ein Schmelztiegel. Die Bevölkerung fühlt sich einer Vielzahl ethnischer Gruppen und Stämme zugehörig, wobei die Kategorisierung in Ethnien oft nicht eindeutig ist, da sich Selbstidentifikation und Fremdzuschreibung oft unterscheiden. Dazu kommt noch, dass vielen ihre Stammeszugehörigkeit wichtiger ist als die zugeschriebene Ethnie. Die größten Gruppen stellen die Paschtunen (~42%), die Tadschiken (~27%), die Hazara und die Usbeken mit jeweils ca. 9%. Es gibt einen signifikanten Unterschied in der Lebensweise: Während die Paschtunen traditionell Nomaden sind / waren und von der Viehhaltung leb(t)en, sind insbesondere die persisch sprechenden Bewohner Afghanistans, die Tadschiken, Hazara und Aimaken, überwiegend sesshafte Bauern bzw. Handwerker und Händler.


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tadschikischer Obsthändler


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paschtunischer Hirte mit Zahnschmerzen
Aspirin war häufiger gefragt.​
 
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Sprachen

Viele Völker sprechen viele Sprachen. Jedoch dominieren zwei Sprachen in Afghanistan: Die Sprache der Mehrheits-Ethnie ist Paschto, eine ost-iranische Sprache. Lingua franca ist Dari, die afghanische Form des Persischen (Farsi) und damit eine indo-germanische Sprache. Farsi- und Dari-Sprecher können in etwa so problemlos miteinander kommunizieren wie Österreicher und Deutsche, der Unterschied zwischen Paschto und Dari ist jedoch enorm. Aufgrund der Bedeutung von Dari und auch wegen der relativ leichten Erlernbarkeit sprechen viele Paschtunen und Usbeken auch Dari. Beide Sprachen fungieren als Amtssprache, daneben spielen Turksprachen (usbekisch, turkmenisch) insbesondere im nordwestlichen Afghanistan eine bedeutende Rolle.

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Tadschike im Verkaufsgespräch mit Paschtunen


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Ein Tadschike rasiert einen Paschtunen​
 
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Danke für die positiven Rückmeldungen. Es wird ganz sicher weitergehen, ich bin ja erst in Herat, kurz hinter der iranisch-afghanischen Grenze. Zu den Buddhas ist es noch weit. Ihr werdet euch aber auch auf noch einiges an Text gefasst machen müssen. Aber keine Angst, wesentlich mehr als bisher wird es nicht werden. Wobei - mein Iran-Thread ist dann ja auch etwas ausgeufert ....
 
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Ganz großes Kino! Herzlichen Dank dafür! :applause:


Ich erlaube mir eine Anmerkung hierzu:

… An ihrem Hof wirkten ca. 100 Dichter, deren bedeutendster sicherlich Dschami, auch als Maulana bekannt, war. …


Der Maulana heißt komplet Nur od-Din Abd or-Raḥmān Dschāmi
und sollte nicht mit dem viel berühmteren, ebenfalls als "Maulana"
bekannten Dschalāl ad-Dīn Muhammad ar-Rūmī (kurz Rumi)
verwechselt werden.

Maulana ist nur ein religiöser Titel wie z.B. Rabbi.


 
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Vorweg: Ich bin mir nicht sicher, habe aber dazu keine Informationen gefunden. Darf ich hier einen Screenshot von Google Maps einbinden? Falls nicht, bitte ich um einen entsprechenden Hinweis.

Unsere Route führte uns 1974 über Herat, Kandahar, Kabul nach Bamiyan und weiter an die Seen von Band-i-Amir, dann über eine andere Strecke (ist eine eigene Geschichte ...) zurück nach Kabul und nach einem kurzen Zwangsaufenthalt (s. o.) auf der schon bekannten Strecke wieder nach Tehran. Jede andere Route hätte damals enorme Strapazen für Material und Mensch bedeutet, gab es zu der Zeit doch kaum befestigte Straßen in diesem recht unwegsamen Land.

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Die dargestellte Route beginnt hier nahe der iranisch/afghanischen Grenze. Zur Lage: Afghanistan grenzte damals an folgende Länder: Iran, Sowjetunion (heute: Turkmenistan, Usbekistan, Tadschikistan), China, Pakistan.
 
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Geografie, Klima und Landwirtschaft

Afghanistan ist ein gebirgiges Land, über 90% der Fläche liegt auf Höhen von über 600 m. Zentrales Gebirge ist nicht etwa der bekannte Hindukusch, sondern dessen Ausläufer in mehreren Gebirgszügen, deren höchster der Koh-e Baba mit Höhen bis zu 5048 m ist. Der zentrale Hindukusch mit mehreren Gipfeln über 7000m liegt in der nordöstlichen Grenzregion zu Tadschikistan, China und Pakistan. Der höchste Berg des Landes liegt an der Grenze zu Pakistan. Der Noshaq (7485 m) ist Luftlinie weniger als 300 km vom Nanga Parbat entfernt. Den Südwesten Afghanistans bildet eine große abflusslose Ebene mit dem Hilmendsee an der Grenze zum Iran.

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Anmerkung: Soweit ich mich entsinne, zeigt das Foto die Straße von Kabul in Richtung Khyber-Pass, also an die pakistanische Grenze. Demnach ist es 1976 während unserer Reise nach Indien und Nepal entstanden. Die Straße zwischen Herat und Kabul bestand damals, so meine Erinnerung, überwiegend aus Betonplatten, nicht Asphalt.

Im Land herrscht ein kontinentales Klima mit heißen Sommern und – aufgrund der Höhenlage - sehr kalten Wintern. Niederschläge sind rar und fallen von November bis März meist als Schnee. Nur etwa 6 % der Fläche ist landwirtschaftlich nutzbar und auch hier geht es meist nicht ohne künstliche Bewässerung. Die Versorgung des Landes mit landwirtschaftlichen Produkten war immer schon empfindlich gegenüber Dürren und anderen Naturkatastrophen. Oft sind Ernten durch Dürren bedroht, große Teile der Bevölkerung sind auf Nahrungsmittelhilfen angewiesen.

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Afghanistan ist der größte Opiumproduzent der Welt. Während des Taliban-Regimes wurde der Anbau von Schlafmohn verboten, worauf die Opiumproduktion fast auf null sank. Nach dem US-geführten Krieg stieg die Produktion wieder an und ist derzeit höher zuvor. Ohne Hilfen von außen ist nur der Schlafmohnanbau für die Landwirte lohnend.
 
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