Spiegel Online schrieb:Die "Tapferen 50" an der Strahlenfront
Von Hendrik Ternieden
Es ist ein Kampf unter Extrembedingungen, mit höchstem Risiko für Leben und Gesundheit: Im AKW Fukushima versuchen ein paar Dutzend Techniker, den GAU zu verhindern. Im Internet werden sie als Helden gefeiert.
Immer wieder Explosionen, weitere Brände, immer wieder Ausfälle von Kühlsystemen - die Betreiber des Atomkraftwerks Fukushima I, dieser Eindruck verfestigt sich seit Tagen, sind längst nicht mehr Herren der Lage, sondern betreiben nur noch hastiges Katastrophenmanagement.
Evakuiert wurde bisher eine Zone von 20 Kilometern um das Kraftwerk herum, im Umkreis von 30 Kilometern sollen alle Menschen auf Anordnung der Regierung in ihren Häusern bleiben. "Bitte schließen Sie die Fenster, und schließen Sie ihr Haus luftdicht ab", sagte Regierungssprecher Yukio Edano. Die Strahlung habe ein "gesundheitsgefährdendes Maß" erreicht. 750 Fukushima-Mitarbeiter haben das Gelände des Kernkraftwerks mittlerweile verlassen - nur 50 Mann bleiben zurück. Auf ihnen ruht nun die Hoffnung von Millionen Japanern. Die Techniker und Ingenieure riskieren die eigene Gesundheit, um das Leben Tausender zu retten.
Die 50 Mitarbeiter in ihren weißen Strahlenschutzanzügen arbeiten den Behörden zufolge noch in Fukushima I. Sie bewegen sich nach dem Stromausfall in völliger Dunkelheit, tragen Sauerstofftanks auf dem Rücken, Masken vor dem Gesicht. Sie versuchen, den Wasserkreislauf in den Reaktoren aufrecht zu erhalten, immer wieder wird ihre Arbeit durch Feuer und Explosionen unterbrochen, am Mittwoch mussten sie zeitweise ihren Arbeitsplatz verlassen - das unmittelbare Risiko wurde als zu hoch eingestuft.
Die Gesundheit der Männer steht dabei hinten an: Nach einem Bericht der größten japanischen Tageszeitung "Asahi" hat die Regierung die Obergrenze für zulässige Strahlenwerte bei den Arbeitern von 100 Millisievert auf insgesamt 250 Millisievert (mSv) angehoben, damit die Techniker und Ingenieure im AKW weiterarbeiten können. "Angesichts der Gesundhet der Arbeiter ist es ist undenkbar, die Werte noch weiter anzuheben", sagte Gesundheitsministerin Yoko Komiyama laut der "New York Times".
Fünf Arbeiter starben, 22 sind verletzt
Das Gesundheitsministerium und das Wirtschaftsministerium haben die Maßnahme demnach mit dem Nuklearfachrat abgestimmt. Doch noch ist völlig unklar, wie hoch die Gefahr ist, der die Männer ausgesetzt sind. Es gibt nur spärliche Informationen, die Angaben schwanken. Am Mittwoch sei die Strahlung bereits deutlich gesunken, bemühte sich die Regierung um Beruhigung. Allerdings hatte die Strahlung am havarierten AKW zeitweise deutlich höher gelegen - siehe Grafik:
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Seit dem Beben sind fünf Arbeiter gestorben, 22 weitere erlitten Verletzungen, zwei gelten noch immer als vermisst, schreibt die "New York Times". Von den Verletzten habe ein Mann in eine Klinik eingeliefert werden müssen, nachdem er plötzlich Schmerzen im Brustkorb hatte. Ein weiterer wurde bei einer Explosion direkt radioaktiver Strahlung ausgesetzt.
Zu den 50, die jetzt noch im AKW arbeiten, gibt die Betreiberfirma Tokyo Electric Power Company (Tepco) keine Informationen heraus - und schweigt sich auch darüber aus, wie lange jeder Einzelne noch vor Ort bleiben soll.
Michael Friedlander arbeitete 13 Jahre lang in verschiedenen Kraftwerken in den USA. Seine Erfahrungen schilderte er der "New York Times". "Man macht sich Sorgen um die Gesundheit und Sicherheit der Familie, aber man spürt auch die Verpflichtung, im Werk zu bleiben", sagte er. Demnach sei oberste Priorität, die Familie zu warnen und zur Flucht zu animieren, bevor man die Arbeit im AKW fortsetze. Und weiter: "Es gibt eine starke Loyalität und Kameradschaft unter den Kollegen, mit denen man viele Schichten und unter Umständen Jahre verbracht hat."
Im Minutentakt werden auf Twitter Beiträge zu den "Tapferen 50" veröffentlicht. "Wir denken an die 50 Arbeiter, die im AKW Fukushima ihr Leben riskieren, um die Situation unter Kontrolle zu bringen. VIELEN DANK", schreibt der User Tokyodandy. "Sie sind wahre Helden", schreibt StephanieJBlock.
Auch der Anti-Atomkraft-Aktivist Philip White vom Citizens Nuclear Information Center in Tokio würdigte die Leistung der Arbeiter in Fukushima. Sie setzten sich hohen Strahlendosen aus und riskierten ihr Leben, sagte White der britischen BBC. Der Unwillen der Behörden, in der Vergangenheit auf Ratschläge bezüglich der Gefahren von Erdbeben und Tsunamis zu hören, habe zu der bedrohlichen Situation geführt.
"Aus technischer Sicht das Richtige"
Die tiefe Dankbarkeit spiegelt die Hilflosigkeit der Bevölkerung wider. Auf den Technikern ruht die Hoffnung der Menschen. Die "Tapferen 50" harren an dem radioaktiv verstrahlten Ort aus - aus dessen Gefahrenzone zunächst 200.000 Menschen in Sicherheit gebracht worden waren, am Mittwoch wurde die Evakuierung weiterer 28.000 Bewohner angeordnet - siehe auch Liveticker.
Die Männer am AKW opfern womöglich ihr Leben, um ihre Landsleute zu retten - sie kämpfen gegen eine drohende Katastrophe, die sich im schlimmsten Fall ohnehin nicht mehr stoppen lässt.
Henrik Paulitz von der atomkritischen Ärzteorganisation IPPNW betont, aus der Ferne seien nur vage Einschätzungen des Geschehens möglich. "Doch aus technischer Sicht scheint dort das Richtige getan zu werden, um die Schäden zu begrenzen."
In Fukushima versuchten die letzten AKW-Mitarbeiter in Zusammenarbeit mit Einsatzkräften von Polizei und Feuerwehr, die Brennstäbe im Abklingbecken von Block 4 vom Boden aus zu kühlen. Dann wurden Hubschrauber eingesetzt, die jedoch gestoppt werden mussten, der Einsatz war zu gefährlich.
"Situationen wie in Fukushima werden bei Katastophen-Planspielen immer wieder simuliert", sagt Ortwin Renn, Risikoforscher von der Universität Stuttgart. Ein Beispiel: Terroristen entführen ein Flugzeug und drohen, es über einer Stadt zum Absturz zu bringen. Der Pilot könnte Tausende Leben retten, indem er sich und die Passagiere opfert und die Maschine über einer unbewohnten Gegend zum Absturz bringt. Doch was ist in einer solchen Situation die richtige Entscheidung? Letztlich, so Renn, gebe es keine eindeutige Regel. "Man muss in jedem Einzelfall neu abwägen, ob es noch eine Chance gibt, die Katastrophe zu verhindern."
Mitarbeit: Yasuko Mimuro
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