Die "normale" Sehschärfe

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Pesch

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In der Fotografie wird bekanntlich in den verschiedensten Zusammenhängen auf die "Winkelsehschärfe" ("Minimum separabile") Bezug genommen (Druckauflösung, Schärfentiefe, Displayauflösung, optimale Betrachtungsabstände etc.) Als angeblicher "Normalwert" wird dann häufig eine Winkelsehschärfe von 1 Bogenminute – also Visus 1 oder Snellen 20/20 angegeben.

Mein persönlicher Eindruck ist nun der, dass es sich bei dem Wert "1 Bogenminute" - also Visus 1 bzw. Snellen 20/20 - lediglich um einen im Bereich der Fotografie tradierten Wert handelt, der dem aktuellen Wissensstand in den Humanwissenschaften nicht entspricht.

Hier nur einige beispielhafte Zitate (Hervorhebungen von mir):

"Welche Sehschärfe ist 'normal'?

Häufig wird eine Sehschärfe von 1,0 als normal angesehen, also das einer Bogenminute entsprechende Auflösungsvermögen. Die Wahl der Bogenminute als 'Standard' für die Sehschärfe hat historische Gründe: Bei Sehzeichen wie dem Landoltring führte sie zu Werten, die bei Normalpersonen um 1,0 lagen. Zu diesen Werten kam man allerdings nur, da man 100% richtige Antworten verlangte. Bei dem modernen Messverfahren mit forced choice und Definition der Schwelle an der steilsten Stelle der psychometrischen Funktion ergibt sich bei augengesunden, jungen Probanden eine Sehschärfe um 2,0 (Rassow et al. 1990).

Quelle: http://www.uniklinik-freiburg.de/augenklinik/live/homede/mit/bach/ops/visus98.html

"Bei den hier vorgelegten Messungen ergaben sich sowohl mit dem Freiburger-Visustest als auch mit der Landoltring-Tafel teilweise überraschend hohe Visuswerte. Wir hatten nicht damit gerechnet, dass so viele unserer Probanden auf eine Sehschärfe von über 2,0 kommen würden."

Quelle: http://www.hfak.de/download/Grenzen_der_Seh_teil_6.pdf

Zum Vergleich hier die Winkel-Sehschärfen (in Winkelminuten) für einige Tiere:
• Wanderfalke: 0,4′
• Mensch (Fovea): 0,4-1

Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Sehschärfe#Vergleichswerte

"As mean light levels increase, the peak of the contrast sensitivity function is now close to 0.5% contrast and the high spatial frequency cut off is at about 50 to 60 cycles per degree (~6/3 or 20/10)."

Quelle: http://webvision.med.utah.edu/book/part-viii-gabac-receptors/visual-acuity/

"The significance of the 20/20 standard can best be thought of as the lower limit of normal or as a screening cutoff. When used as a screening test subjects that reach this level need no further investigation, even though the average visual acuity of healthy eyes is 20/16 to 20/12."

https://en.wikipedia.org/wiki/Visual_acuity#Normal_vision

Die mir zu diesem Thema derzeit bekannten seriösen Quellen lassen nach meinem Verständnis also den Schluss zu, dass der "Normalwert" in Bezug auf die Gesamtbevölkerung eher in der Region zwischen Visus 1,25 und 1,6 liegen dürfte, und dass der "Normalwert" in Bezug auf die Altersgruppe der bis zu 40-jahrigen sogar eher bei Visus 2 liegt - also bei einer Winkelsehschärfe von 0,5 Bogenminuten:

"In der Altersgruppe von 20 bis 40 Jahren erhielt Hauser bei optimalen Lichtverhältnissen im Mittel einen Visus von 2,2"

Quelle: http://www.hfak.de/download/Grenzen_der_Seh_teil_6.pdf

Und laut der nachstehend verlinkten Quelle macht die Altersgruppe der bis zu 40-jährigen immerhin über 40% der Gesamtbevölkerung aus: http://www.bpb.de/nachschlagen/zahl...-situation-in-deutschland/61538/altersgruppen

Im Bereich der Fotografie – in welchen Zusammenhängen auch immer - von 1 Bogenminute als dem angeblichen "Normalwert" für die Winkelsehschärfe auszugehen, halte ich persönlich daher für eine eher fragwürdige Tradition, für die sich - zumindest nach meinem persönlichen Kenntnisstand - keine überzeugenden naturwissenschaftlich fundierten Belege finden lassen.
 
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Ich bin da eher konservativ unterwegs und halte den Ansatz der ... in Freiburg für mehr als fragwürdig. Die Verteilungskurve der Bevölkerung zeigt auf einen Visus von ca. 1,20 als Maximum - abhängig vom Alter.
 
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Die Verteilungskurve der Bevölkerung zeigt auf einen Visus von ca. 1,20 als Maximum - abhängig vom Alter.

Mir persönlich ist derzeit nicht eine einzige wissenschaftliche Studie (In- und Ausland) aus diesem Jahrhundert bekannt, in welcher in Bezug auf eine für alle Altersgruppen repräsentative Stichprobe augengesunder Probanden mit gegebenenfalls gut korrigierter Fehlsichtigkeit (Brille, Kontaktlinsen etc.) über alle Altersgruppen hinweg und für das beidäugige Sehen (beim Betrachten einer Fotografie setzt man in aller Regel ja weder die für die jeweilige Betrachtunsentfernung gegebenfalls notwendige Brille ab, noch hält man sich dabei ein Auge zu) ein Maximalwert von Visus 1,20 erhoben wurde.

Und da auch alle in meinem Eröffnungsbeitrag genannten und auch mir sonst derzeit bekannten und mir seriös erscheinenden Quellen Angaben machen, die Deiner Angabe (Maximum = 1,20) nach meinem Verständnis widersprechen, halte ich bis auf Weiteres an der in meinem Eröffungsbeitrag vertretenen Auffassung fest.
 
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Darfst Du nat. gern.
Aber da die Angabe nicht absolut zu nehmen ist (relativer Wert) und stark abhängig von den Bedingungen unter denen ermittelt wird, erübrigt m. E. eine Diskussion.
 
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dass du schärfentieferechner mit vorgegebenem zertreukreisdurchmesser und schärfentiefe-markierungen auf objektiven vergessen kannst? war eigentlich schon vorher klar.
 
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Ok, ich bin kein Optiker. Was hat das nun für praktische Auswirkungen auf die Fotografie?

Dass in all den Zusammenhängen, in welchen in der Fotografie bislang von der Annahme einer "normalen" Winkelsehschärfe von 1 Bogenminute ausgegangen wurde (Druckauflösung, Displayauflösung, Schärfentiefe etc.) nach meinem Verständnis der in meinem Eröffnungsbeitrag verlinkten Quellen eigentlich von einer Winkelsehschärfe von 0,5 Bogenminuten ausgegangen werden müsste, da diese Winkelsehschärfe nach meinem Verständnis dieser Quellen der zumindest für 40% der Gesamtbevölkerung geltende "Normalwert" ist - und nicht 1 Bogenminute.

An einem Beispiel:

schärfentieferechner mit vorgegebenen zertreukreisdurchmesser und schärfentiefe-markierungen auf objektiven

Ging man bei der Berechnung des Schärfentiefebereichs bislang zum Beispiel von der Winkelsehscharfe "1 Bogenminute" und einem auf dieser Annahme basierenden zulässigen Zerstreukreisdurchmesser aus, und möchte nun von einer Winkelsehschärfe von 0,5 Bogenminuten ausgehen, dann müsste man die Blende für einen identischen Schärfentiefebereich um jeweils 2 Blendenwerte weiter schließen, als aufgrund des auf der Annahme "1 Bogenminute" beruhenden zulässigen Zerstreukreisdurchmessers berechnet, also zum Beispiel von der Blende 4 auf die Blende 8.

Basiert der einer Schärfentiefeskala zugrunde liegende Zerstreukreisdurchmesser also auf der Annahme einer Winkelsehschärfe von 1 Bogenminute, und zeigt diese Skala für einen bestimmten Schärfentiefebereich auf dieser Grundlage die Blende 2,8 an, dann müsste man bei der Annahme einer Winkelsehschärfe von 0,5 Bogenminuten für einen identischen Schärfentiefebereich die Blende 5,6 einstellen.

Und zeigt zum Beispiel eine solche Schärfentiefeskala auf der Grundlage der Annahme einer Winkelsehschärfe von 1 Bogenminute für die Blende 5,6 einen bestimmten Schärfentiefebereich an, dann müsste man den sich auf Grundlage der Annahme einer Winkelsehschärfe von 0,5 Bogenminuten bei der Blende 5,6 ergebenden Schärfentiefebereich bei den Markierungen der Schärfentiefeskala für die Blende 2,8 ablesen.

Allgemein gilt in Bezug auf dieses Beispiel "Schärfentiefe": Der zulässige Zerstreukreisdurchmesser ist um den Faktor zu verringern, um welchen sich die ihm zugrunde liegende Winkelsehschärfe erhöht, also in Bogenminuten ausgedrückt verringert.

Edit:

Nach meinem Verständnis des nachstehenden Zitats basiert zum Beispiel der den Schärfentiefskalen für das KB-Format üblicherweise zugrund liegende Zerstreukreisdurchmesser nach der Auffassung von Zeiss auf der Annahme einer Winkelsehschärfe von 2 Bogenminuten:

"Ein … Zerstreuungskreis von 1/1500 der Diagonale, den man unter dem Sehwinkel von 2 Bogenminuten sieht … entspricht ungefähr dem oft benutzten 0.03 mm Zerstreuungskreis für das Kleinbildformat."

Quelle (Seite 19, "Zerstreukreisdurchmesser")

Möchte man also in Bezug auf das Kleinbildformat zum Beispiel von einer Winkelsehschärfe von 0,5 Bogenminuten ausgehen - und teilt die oben zitierte Auffassung von Zeiss, dann entspräche dies einer Verringerung der Angabe für die Winkelsehschärfe in Bogenminuten ausgedrückt um den Faktor 4 (2 : 0,5 = 4). Entsprechend wäre also der nach der oben zitierten Auffassung von Zeiss auf der Annahme einer Winkelsehschärfe von 2 Bogenminuten basierende Zerstreukreisfurchmesser ebenfalls um den Faktor 4 zu verringern (0,03 : 4 = 0,0075). Der Schärfentiefebereich für die Blende 11 wäre also zum Beispiel bei der Annahme einer Winkelsehschärfe von 0,5 Bogenminuten dann bei den Markierungen der Schärfentiefeskala für die Blende 2,8 abzulesen.

Sind also

a) der Zerstreukreisdurchmesser bekannt, auf welchem eine bestimmte Schärfentiefeskala beruht - beziehungsweise die Ergebnisse eines bestimmten Schärfentieferechners

und

b) die Winkelsehschärfe in Bogenminuten, auf welcher dieser Zerstreukreisdurchmesser beruht.

dann ist es meiner Meinung nach in der Praxis kein sonderliches Problem, die Anzeigen der Schärfentiefeskala oder des Schärfentieferechners mit aus meiner Sicht in der Praxis völlig ausreichender Näherung mit dem entsprechenden Faktor umzurechnen, wenn man von einer anderen Winkelsehschärfe ausgehen möchte.

Würde einem also zum Beispiel die oben zitierte Auffassung von Zeiss nicht einleuchten, sondern man wäre zum Beispiel der Ansicht, dass die oft genannte Formel zur Berechnung des für ein bestimmtes Aufnahmeformat zulässigen Zerstreukreisdurchmessers "Zulässiger Zerstreukreisdurchmesser für ein bestimmtes Aufnahmeformat = Formatdiagonale dieses Aufnahmeformats : 1500" auf der Annahme einer Winkelsehschärfe von 1 Bogenminute beruht - und nicht von 2 Bogenminuten - dann wäre der einer Winkelsehschärfe von 0,5 Bogenminuten entsprechedne zulässige Zerstreukreisdurchmesser eben nicht um den Faktor 4, sondern nur um den Faktor 2 kleiner anzusetzen als der sich aus der Formel "Diagonale des Aufnahmeformats : 1500" ergebende - etc.
 
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