Ein famoses Stück Wertarbeit zum Kampfpreis
Einleitung
Nun hat Viltrox 2020 mit einem AF-Objektiv für Nikons Z Mount überrascht. Es war und ist das erste und bis heute noch immer einzige AF-Objektiv eines Drittherstellers für diesen Anschluss. Respekt. Und es kostet etwa die Hälfte des originalen Nikkor 1:1,8/85mm. Ich wollte das Viltrox unbedingt mit dem Nikkor 1:1,8/85mm vergleichen. Als mir das Viltrox von Rollei über das Netzwerk Fotografie zum Test angeboten wurde, musste ich also zusagen, keine Frage. Ein paar gesundheitliche Probleme später komme ich nun endlich dazu, den Bericht zu schreiben. Weil zwischenzeitlich schon einige Tests und „Tests“ zu diesem Thema erschienen sind und ich nicht langweilen will, beschränke ich mich auf die Punkte, die mir in diesen Berichten gefehlt haben.Das Viltrox ist zwar minimal kürzer, wirkt aber neben dem Nikkor direkt korpulent.
Ich besitze das Nikkor 1:1,8/85mm schon seit langem. „Sauteuer, aber es wirkt.“ Eines meiner Lieblings-Objektive an den Nikon Z-Kameras. Scharf, kontrastreich, ohne sichtbare CAs, Green und Purple Fringing etc., dazu auch fast gegenlichtunempfindlich. Wie würde das Viltrox dagegen abschneiden? Der chinesische Hersteller Shenzhen Jueying Technology Co., Ltd., der auch LED-Leuchten, Blitzgeräte u.v.m. herstellt, fertigt unter der Marke Viltrox auch Objektive für diverse Anschlüsse verschiedener Hersteller. Preisgünstig, viele davon manuell. Das 85er für Nikon Z ist aber für einen recht neuen Dritthersteller doch ein großer Schritt in einen anderen Markt.
Was schreibt Rollei über Viltrox?
Dem letzten Satz kann ich voll zustimmen, wenn ich die beiden mir zur Verfügung stehenden Objektive in der Praxis vergleiche; nur wie sieht es mit den restlichen Eigenschaften aus? Ich habe mich in diesem Bericht darauf konzentriert, herauszuarbeiten, warum das Nikkor gegenüber dem Viltrox im Preis etwas abgehoben erscheint. Das liegt schon auch an der Herstellerphilosophie, aber eben nicht nur. Jede/r Fotograf/in muss selbst entscheiden, welche Objektiv-Eigenschaften ihm wie viel Geld wert sind. Für diese Entscheidung ist aber etwas mehr an Information nötig als in Prospekten und denen, die es noch werden wollen, zu finden ist.
Unboxing
Das „Unboxing“ (neudeutsch für „Auspacken“) verläuft undramatisch, zeigt aber bereits Sorgfalt, mit der leider nicht alle Hersteller preisgünstiger Produkte glänzen. Die stabile Box, in der sich Objektiv samt Zubehör finden, ist fast schon edel. Sauber bedruckt und mit mattem Finish. Das Objektiv steckt in ausgeformtem, robustem Schaumstoff, neben einem Objektivsäckchen liegen noch Garantiekarte und Anleitung bei. Ja, wirklich. Mehrsprachig, auch in Deutsch.Was fällt auf?
Das Objektiv, das ich nun in der Hand halte, wirkt wertig und solide gebaut. „Heavy Metal“ sozusagen. Das Design passt exakt zu dem der Nikkor Z Primes. Das Viltrox ist größer und schwerer als das Nikkor Z. Das ist die erste Überraschung. Bereits die Frontlinse zeigt eine breite Brust. Und Glas ist schwer. Das Viltrox 85mm liegt aber prächtig in der Hand, der Fokusring läuft trotz relativ hohen Drehwiderstands sauber, weich und trotzdem präzise; die Fokussierung erfolgt, wie heute üblich Drive by Wire.Der Filterdurchmesser ist gegenüber dem Nikkor Z auch gewachsen. Hat das Nikkor noch 67mm Filterdurchmesser, so bringt es das Viltrox auf 72mm, was z.B. dem des Nikkor 1:4/24-70mm entspricht.
Ein Feature, das mir erst auf den dritten Blick auffällt, verblüfft mich: Das Bajonett weist einen USB-Anschluss auf.
Erst auf den zweiten Blick bemerkt: Der USB-Anschluss.
Ja, Sigma & Co. kennen USB-Docks, mit denen die Firmware der Objektive nachgerüstet werden kann. Extra-Teil, braucht Platz, kostet extra. So elegant, wie das Viltrox angegangen ist, habe ich das bisher noch nirgends gesehen.
Ran an die Kamera! Da fällt auf, dass das Objektiv im Vergleich zum Nikkor Z nicht ganz so sanft ins Bajonett gleitet, fast ein wenig rau. Ähnliches gilt für die Sonnenblende. Der AF hingegen reagiert – nach dem Firmware-Update auf 1.1.4 – ähnlich schnell wie der des Nikkor.
Wie sieht es mit den Objektivdaten aus?
Ein Vergleich der technischen Unterschiede von Viltrox und Nikkor.
Ein Grund gegen einen Kauf wäre für mich früher gewesen, dass das Viltrox über keine speziellen Dichtungen gegen Spritzwasser und Staub verfügt. Heute sind meine wilden Tage vorbei, auch stehe ich nur mehr selten in der Gischt des Pazifiks. Für andere Fotografen kann das aber schon ein Kriterium sein. Mit einer wasserabweisenden Nano-Beschichtung der Linsen kann aber auch Viltrox dienen.
In der Praxis
Ich sag es gleich: Ich bin Fotograf, nicht Filmer. Ich sage das, weil das Viltrox bei Fotos sehr gute Ergebnisse liefert, bei Videoaufnahmen hingegen der Autofokus manchmal doch recht sprunghaft erscheint; die Übergänge sind nicht so weich fließend wie beim Nikkor. Der hohe Drehwiderstand beim manuellen Scharfstellen rettet dem Viltrox auch keinen Preis für die Videolinse des Jahres. Mir wurscht; ich fotografiere.Ein fettes Teil, das AF 1,8/85mm Z von Viltrox
Als Portraitlinse und für einige andere Anwendungen der Fotografie hingegen liefert das Viltrox sehr gute Qualität. Bereits ab Offenblende (1:1,8). Die Ergebnisse sind so gut, dass ich die Bilder für diesen Bericht ausschließlich mit voll offener Blende gemacht habe, sogar die, die weit weg von Portraits sind. Schärfe auf dem Motiv, gute Trennung vom Hintergrund mit sehr schönem Bokeh. Was verlangt Fotograf mehr? Ich wollte, ich hätte vor zehn Jahren bereits über Objektive mit annähernd ähnlicher Abbildungsqualität verfügen können. Preis und Leistung stehen beim 1:18/85mm von Viltrox jedenfalls in einem hervorragenden Verhältnis.
Die Farbcharakteristik passt wunderbar zu den Nikkoren für das Z-System. Recht neutral, in Vergleichsbildern sind kaum Farbabweichungen feststellbar, das Viltrox passt also perfekt in den Nikkor-Objektivpark.
Oh ja, es gibt schon auch Schwächen. Vor allem, wenn das Viltrox direkt mit dem Nikkor verglichen wird. Im Gegenlichtverhalten und bei den optischen Korrekturen (CA) wäre noch Luft nach oben.
Farbränder an den Kontrastkanten sind beim Nikkor nicht sichtbar, das Viltrox zeigt sie – im Vergleich mit anderen Linsen in meinen Fotokoffern – meist aber auch erst bei rasanter Vergrößerung. Für diesen Test habe ich nur Aufnahmen mit einer Z 7 auf bis zu 100% vergrößert, da ist diese Schwäche gerade noch erkennbar. Hier ein Extremfall: dünne Zweige gegen den Himmel. Da kannst du das Fringing bereits bei 100% sehen:
Zweige gegen den Himmel – das ist Brutalität. Bei normaler Ansicht gibt sich das Viltrox kaum Blößen.
Hier zeigt das Nikkor noch nicht so deutlich, warum es doch “etwas mehr” kostet als das Viltrox.
Viltrox: Bei 100% ist an den Zweigen links purpurner, rechts grüner Schimmer sichtbar.
Nikkor: Mit freiem Auge kein Fringing erkennbar, jetzt erklärt sich der Preisunterschied.
Kurzer Einwurf, auch wenn es dazu jetzt keine Fotos gibt: Blendenflecken und Überstrahlung bei Gegenlicht zeigt das Nikkor 1,8/85mm deutlich später als das Viltrox. In der Linsenbeschichtung hat Viltrox also noch Nachholbedarf.
An den oben gezeigten Farbrändern liegt es aber auch, dass das Viltrox bei pingeliger Betrachtung des Schärfeeindrucks minimal hinter dem Nikkor liegt. Die Kanten werden durch die zarten Ränder im Kontrast ein wenig gemildert, was dann zum Eindruck eines Schärfeverlustes führt. Nichts Dramatisches, die Schärfe würde ich in jedem Fall als wirklich gut bewerten.
Und jetzt zurück zum Boden der Realität: Das Nikkor kostet nicht einen Hunderter mehr als das Viltrox, sondern schlicht das Doppelte. Da muss jeder für sich entscheiden, wie viel ihm Perfektion an Aufpreis wert ist.
Das Bokeh, bei einer Portraitlinse wichtig, empfinde ich einerseits für angenehm ruhig und ausreichend cremig, auch wenn sich an den Rändern manchmal zarte Farbspuren zeigen, die aber auch erst bei übergroßer Darstellung sichtbar werden.
Angenehmes Bokeh, wohin das Auge blickt – so lange die Blende voll offenbleibt.
Angenehmes Bokeh, wenn auch an den Kotrastkanten leichte Farbsäume erkennbar werden (unter Kugel rechts unten).
Schönes, weiches Bokeh. Haken: Wirklich sehr geringen Schärfentiefe bei Offenblende. Hätte ich nicht vor allem das wunderschöne Bokeh zeigen wollen, hätte ich wohl auf 2,8-3,5 abgeblendet, um auch den Ast scharf zu bekommen.
Und ja, die Vignettierung. Großer Bajonettdurchmesser hin oder her – die Abdunklung der Bildecken bleibt bei allen Objektiven ein Problem. Wobei hier das Nikon schon konstruktive Vorteile hat: Es konnte direkt für das große Bajonett gerechnet werden; das Viltrox muss auch für kleine Objektivaufnahmen (z.B. Sony E oder Fuji X etc.) passen. Da wird die Vignette bei Offenblende deutlicher sichtbar.
Die Vignettierung des Viltrox bei Offenblende ist etwas stärker und härter im Verlauf als die des Nikkors.
Der Vignettenverlauf ist beim Nikkor etwas weicher, die Abdunklung in den Ecken etwas geringer.
Das allein ist’s aber nicht. Der Übergang dunkel zu hell ist bei Nikons 1:1,8/85mm etwas fließender als beim Viltrox, wo er erkennbar härter erfolgt. Schön zu erkennen ist das an den beiden unteren Ecken. Nun ist die Vignettierung immerhin einer der Mängel, die per EBV ziemlich unaufwändig korrigierbar sind. Und die Vignettierung wird beim Abblenden deutlich besser.
Zum Abschluss noch ein Bild mit plausibler Blende 1,8. “In der Nacht sind alle Katzen grau.”
Offenblende bei Nachtaufnahmen.
Objektiv-Firmware und Profil
Ich komme von einem zum anderen. EBV und Korrekturen: Ich arbeite mit Capture One als RAW Converter. Dort meldet sich das Viltrox sauber und im Klartext.Objektivdaten werden korrekt in die EXIFs eingebettet.
Auch sehe ich in Capture One Pro, dass für das Viltrox ein (vom Fotografen nicht beeinflussbares) „Manufacturer Profile“ hinterlegt sein dürfte, wie das auch bei anderen aktuellen Objektiven verschiedener Markenhersteller heute üblich ist.
Eingebettetes Manufacturer Profile
Für Lightroom und Photoshop (Camera RAW) gibt es dann noch eigene Profile zum Herunterladen. Wobei die Anmerkung
nicht überlesen werden sollte.
Und Firmware Updates findest du auch unter o.a. Link. Zum Updaten meldet sich das per USB angeschlossene Objektiv unter Windows als eigenes Laufwerk im Explorer. Watscheneinfach also. „Watscheneinfach“ ist dem Österreicher in mir entkommen. Der Deutsche würde „kinderleicht“ bevorzugen.
Fazit
Das getestete 1:1,8/85mm von Viltrox ist alles in Allem ein ganz famoses Stück Wertarbeit. Solide gefertigt mit wertiger Haptik führt es zu sehr guten Bildergebnissen. Wie heute verlangt, bereits bei Offenblende. Und das zum Kampfpreis. Hut ab! Ja, es hat auch leichte Schwächen gegenüber dem doppelt so teurer Nikkor, aber ich wäre noch vor wenigen Jahren glücklich über ein Objektiv mit dem hier gezeigten optischen Eigenschaften gewesen.Ich kann das Viltrox 1:1,8/85mm daher allen Fotografen, die ein günstiges Portrait-Objektiv suchen und nicht hauptsächlich filmen wollen, wirklich wärmstens empfehlen.
Nochmals herzlichen Dank an Rollei und das Netzwerk Fotografie für die Testmöglichkeit!
Weitere Produktinformationen
Auf der Webseite von Rollei
Jetzt kaufen
Bewertungen:
Mechanisch ****Optisch ***1/2
Preis/Leistung *****
© Ernst Weinzettl und Netzwerk Fotografie. Jedwede Art der Veröffentlichung, auch auszugsweise, bedarf der Genehmigung. Text: Ernst Weinzettl, Fotos: Ernst Weinzettl