Die besonderen Spezialisten
Mit der Neuauflage der klassischen Trioplan-Objektive in den Brennweiten 35, 50 und 100mm hat die Firma Meyer Optik Görlitz (OPC Optical Precision Components Europe GmbH, mit Sitz in Bad Kreuznach), eine neue Objektivserie präsentiert, die man auf Grund ihrer Eigenschaften durchaus als „speziell“ bezeichnen könnte. Ich hatte Gelegenheit, das 2.8/35mm und das 2.8/100mm für ein Review auszuprobieren.
Die neuen Objektive der Reihe werden in Deutschland, in einer neu etablierten Manufaktur in Hamburg, per Hand gefertigt.
Ein wenig Geschichte
Historisch betrachtet basieren die Trioplane auf dem Cooke-Triplet:
„Das Cooke-Triplet ist ein dreilinsiges Objektiv, das die chromatische Aberration für zwei Wellenlängen sowie zusätzlich den Astigmatismus korrigiert. Triplet steht engl. für Dreiergruppe, Drilling oder auch Dreilinser. Das Cooke-Triplet ist eine klassische Objektivkonstruktion. Sie wurde erstmals 1893 von Harold Dennis Taylor beschrieben und nach dessen Arbeitgeber, der Firma Thomas Cooke & Son, benannt. Allerdings meldete Ernst Abbe bereits 1890 ein Patent auf eine Triplet-Konstruktion an“. (Quelle: Wikipedia)
Die erste Version des aus drei unverkitteten Linsen bestehenden Objektivs wurde 1916 vorgestellt. Der Bildwinkel betrug rund 24°. Damit war eine gute optische Korrektur mit einem geringen Aufwand erreichbar. Auch die Lichtstärke war für damalige Verhältnisse relativ hoch. Die Baulänge des Objektivs entsprach in etwa der Brennweite.
Nach 1945 wurden die Meyer Görlitz Trioplan-Objektive in der DDR weiter gefertigt. Das 50er Trioplan war aufgrund des niedrigen Preises bei akzeptabler Qualität eines der beliebtesten Objektive von Meyer. Die bis 1963 hergestellten Objektive haben höchstens eine einfache Vergütung. Somit sind sie anfälliger für Gegenlicht, Streulicht und hohe Kontraste als heutige, mehrfach vergütete Objektive. Die zentrale Bildschärfe ist bereits bei offener Blende sehr gut. Trioplane waren bei fast gleicher Maximalblende und Brennweite etwa nur halb so teuer wie ein – allerdings vierlinsiges – Tessar. Das Besondere an den alten Trioplan-Objektiven ist das sogenannte „Seifenblasenbokeh“. Bei Offenblende werden Lichtreflektionen als Kreise mit deutlich hellerem Saum dargestellt, die tatsächlich wie Seifenblasen aussehen.
Nach der Wiedervereinigung erlebte Meyer Görlitz einen mehrfachen Eigentümerwechsel, der letztendlich in der Übernahme durch OPC vorerst endete.
Im Jahr 2015 wurde das Trioplan 2,8/100mm, basierend auf den Originalplänen vom Anfang des 20. Jahrhunderts und angepasst an heutige moderne Kameras, wieder neu aufgelegt Die Prototypen des neuen Objektivs wurden komplett in Görlitz (in Zusammenarbeit mit Wolf-Dieter Prenzel, ehemaliger leitender Ingenieur bei Meyer-Optik bis 1991) nach Originalbauplänen gefertigt. Bei der ersten Serie der Neuauflage wurde das Trioplan mit 15 Blendenlamellen aus Lamellenbandstahl ausgestattet. Diese Konstruktion begünstigt das durch Unterkorrektur der Linsen entstandene, für das Trioplan charakteristische Seifenblasenbokeh selbst bei leichtem Abblenden.
2021 wurde die Trioplan-Objektivserie komplett überarbeitet und neu aufgelegt. Die Entwicklung des neuen Trioplan 35+ wurde durch eine Crowdfunding-Kampagne finanziert. Allerdings sollte man wissen, dass es ein 35mm Trioplan früher nie gab, und das neue 35er von Meyer Optik Görlitz daher eine komplette Neuentwicklung darstellt. Das Objektiv sollte das legendäre Seifenblasenbokeh zum ersten Mal in den Weitwinkelbereich bringen. Um dies zu erreichen, wurde zwar die Triplet-Konstruktion als Vorbild genommen, jedoch um zwei weitere Elemente ergänzt. Deshalb trägt das Trioplan 35+ das „Plus“ im Namen. Die neue Optik arbeitet mit 12 Blendenlamellen.
Die Objektive
Wie heute üblich, werden auch die Objektive von der Firma Meyer Optik Görlitz in einer edlen Verpackung ausgeliefert. Die Objektive liegen, eingebettet in samtartigen Schaumstoff, in einem stabilen schwarzen Karton mit Klavierlack-Optik und Klappdeckel. Das macht nicht nur was her, sondern stellt auch einen optimalen Aufbewahrungsbehälter dar. Die manuellen Objektive sind hervorragend verarbeitet und fühlen sich sehr wertig an. Die Einstellringe laufen samtig weich und sehr präzise. Die Blendenringe sind ganz vorne an den Objektiven angeordnet und arbeiten ohne Rasterung stufenlos. Die Drehringe für die Schärfe haben einen sehr großen Weg und erlauben eine sehr genaue Einstellung. Das unterstreicht die Eignung auch für den Einsatz bei Videoaufnahmen. Für den Fotoeinsatz bedeutet dies aber auch einen Verlust an Performance beim Scharfstellen. Das macht ein Shooting mit bewegten Objekten leider etwas mühsam, da das Treffen des Schärfepunktes (z.B. mit der eingesetzten Nikon D750) häufig viel Drehweg am Einstellring erfordert. Das 35er hat 12-Blendenlamellen, das 100er deren 15. Diese hohe Anzahl an Blendenlamellen macht das immer wieder zitierte „besondere Bokeh“ u. a. erst möglich.
Zu meinem Praxistest
Alle meine persönlichen Aussagen und Anmerkungen in diesem Bericht beziehen sich ausschließlich auf die mir zum Test überlassenen Objektive. In meinem Review erwähne ich die reinen technischen Daten nur punktuell, hauptsächlich da, wo Neuerungen bzw. Herausstellungsmerkmale zur Sprache kommen. In diesem Zusammenhang möchte ich auch noch einmal darauf hinweisen, dass die spezifischen Leistungsdaten in der Regel immer an optimale (Labor-)Bedingungen geknüpft sind. In der Praxis wird man daher meistens nur Ergebnisse erzielen, die knapp unter 100% der „Papierform“ liegen.Ausprobiert habe ich die beiden Objektive von Meyer Optik Görlitz an einer Nikon D750. Da es sich um manuelle Objektive ohne jedwede Elektronik handelte, habe ich die kameraeigene Scharfstellhilfe benutzt, denn das Sucherbild / die Mattscheibe alleine ist meistens nicht aussagekräftig genug. Vorzugsweise verwende ich für meine Artikel die Kamera-JPGs, die bis auf einen eventuellen Beschnitt nicht weiterbearbeitet werden. Als Ergänzung mache ich zum Vergleich auch immer wieder RAW-Konvertierungen, um auszuprobieren ob so noch Verbesserungen zu erzielen sind.
Die Bilder
Auch hier wieder der obligatorische „rote Roller“, gemacht mit dem 100er.f/8.0; 1/40s; ISO 200
35mm; f/8.0; 1/100; ISO 100 (vom RAW)
Hier ein Ausschnitt dazu (linke Ecke oben). Deutlich kann man sehen, dass die Schärfe zu den Ecken hin deutlich abnimmt. Dazu gesellt sich eine unangenehme chromatische Aberration. Hier wird deutlich, dass die Neukonstruktion des 2.8/35+ abgeblendet deutliche Schwächen hat.
Hier das Gleiche mit dem 100mm (vom RAW) …
…und der Ausschnitt
Bei gleicher Zeit, Blende und ISO ist die Abbildungsleistung deutlich besser.
35mm; f/2.8; 1/1000s; ISO 200
Bei offener Blende, zum Freistellen, fällt das Randunschärfeproblem dagegen kaum auf, erst recht nicht bei einem Ausschnitt (s.u.)
100mm, f/2.8; 1/320s; ISO 1250
100mm; f/2.8; 1/125s; ISO 1250
Das 2.8/100mm macht einen deutlich besseren Eindruck, erst recht, wenn man den Freistellungseffekt in Verbindung mit den 15 Blendenlamellen für ein angenehmes (schönes) Bokeh nutzt.
100mm; f/2.8; 1/125s; ISO 1250.
Die vorhandenen Lichtquellen werden wirklich fast perfekt rund abgebildet. Um allerdings die legendären, fast dreidimensionalen „Seifenblasen-Effekte“ zu erzielen, braucht es einiges an Übung und Erfahrung.
Herstellerfoto
Eine SW-Ausarbeitung. 100mm; f/2.8; 1/125s; ISO 1250.
Fazit
Die beiden Objektive sind schon sehr speziell. Was mir bei beiden gefällt, ist die Bildanmutung, die mal nicht die übliche „Knackschärfe“ der aktuell für die Digitalkameras gerechneten Objektive aufweist. Die Objektive bieten viel, wenn man auf einen analogen Bildlook aus ist. Bei einer SW-Ausgabe kommt man schon sehr, sehr nahe an diesen analogen Bildlook heran. Bei der Verwendung dieser Objektive empfiehlt sich das Arbeiten mit RAW. Einerseits lassen sich so kleine Fehler korrigieren, die sich im manuellen Betrieb leichter einschleichen, und andererseits kann man das Optimum an Bildqualität erreichen.Natürlich kann man die Trioplan-Objektive nicht mit den gleichen Maßstäben betrachten, wie man das üblicherweise mit modernen Linsen tut. Aber die Abbildungsleistung beider Objektive habe ich mir selbstverständlich mit den üblichen Testreihen angesehen. Ein Lichtabfall in den Ecken bei offener Blende ist für ein Weitwinkelobjektiv normal. Wenn man das 35er zwei Blendenstufen abblendet, ist der sichtbare Lichtabfall dann auch weg. Dass die Schärfe bei Offenblende in den Ecken abnimmt, ist auch normal. Dass aber die Schärfeleistung bei F 8 zu den Rändern hin kaum besser wird ,zeigt uns, dass die optische Rechnung leider nicht zeitgemäß ist, obwohl die Konstrukteure hier fünf Linsen nutzen. Das 2.8/35+ ist also, was die allgemeinen Abbildungsleistungen angeht, deutlich schlechter als das 100er, und somit für klassische Streetfotografie mit Analog-Look nicht wirklich geeignet. Insgesamt betrachtet bietet sich diese Neukonstruktion des Trioplan, auch in Bezug auf das Preis/Leistungsverhältnis, nicht unbedingt als Alternative an.
Ganz anders das Trioplan 2.8/100mm. Dieses Objektiv macht in allen Belangen Spaß! Der Lichtabfall bei offener Blende fällt praktisch nicht ins Gewicht und verschwindet bei leichtem Abblenden völlig. Einen auffälligen Schärfeabfall zum Bildrand gibt es hier ebenso wenig wie stärkere chromatische Aberration. Natürlich ist die Arbeit mit diesem Objektiv langsamer und für sich permanent bewegende Objekte ist es nur bedingt einsatzbar – aber da, wo die Entschleunigung gewünscht ist, ist es ein Spezialist! Einzig der Blendenring, der ganz vorne am Objektiv sitzt, ist etwas gewöhnungsbedürftig und wohl der Videonutzung geschuldet.
Bleibt noch das Seifenblasenbokeh der Trioplane. Ja, das Bokeh ist überdurchschnittlich. Es erzeugt einen ruhigen, unscharfen Hintergrund mit wirklich runden Bubbles – das können die modernen Objektive nicht! Wer das mag/will/haben muss, findet sehr wenige Alternativen. Allerdings ist das Vergnügen, diese Spezialisten zu besitzen, nicht preisgünstig, zumal das 35er nur begrenzt auch allgemeintauglich ist. Das 100mm Objektiv dagegen ist schon etwas Besonderes, auch weil diese Brennweite, die sich hervorragend für die Portraitfotografie eignet, nicht oft zu finden ist. Ob man sich solch ein Objektiv zulegt, muss aber letztendlich jeder für sich entscheiden.
Bewertung
Preis (laut Hersteller)
Trioplan 2.8/35+ 899,00 €
Trioplan 2.8/100mm 999,00 €
© Dieter Doeblin. Jedwede Art der Veröffentlichung, auch auszugsweise, bedarf der Genehmigung. Text: Dieter Doeblin, Fotos: D. Doeblin, Hersteller, Wikipedia