Autor und Darsteller sein – Geschichten in einem Bild erzählen
Unsere Denk- und Fühlweise ist in den letzten Jahren sehr ichbezogen geworden. Blogger, Influenzer und überall Selfies. Häufig oberflächlich und inhaltsleer, einfach langweilig und öde.
Auch wenn dieses im Rheinwerk Verlag erschienene Buch mit „Das eigene Ich fotografisch in Szene setzen“ untertitelt ist, hat es damit nun rein gar nichts zu tun. Sicher machen sich die vier hier vorgestellten Fotografen zu Hauptdarstellern ihrer Bilder, die übrigens alle mit Untertiteln, kurzen Erläuterungen und Exif Daten versehen sind, aber eitel oder gar narzisstisch sind sie sicher nicht.
Nach einer sehr interessanten Einführung in die Welt der Selbstportäts durch die Berliner Kunsthistorikerin Dr. Katharina Hausel beschreiben die Autoren ausführlich und intim, was sie antreibt, wie sie Ideen und Konzepte entwickeln und geben Auskunft zur Technik und Bildgestaltung.
In dem Kapitel „Jeder Mensch ist schön“ entblößt sich Katja Heinemann. Nicht nur äußerlich. Sie gibt auch tiefe Einblicke in ihr Seelenleben. Diese junge attraktive Frau berichtet mutig über Wahrnehmungsstörungen auf ihren eigenen Körper durch vorgegebene Schönheitsideale und wie sie durch die Fotografie neues Selbstbewusstsein erlangt hat. Ihre Fotos spielen mit Licht und Schatten, dabei experimentiert sie mit Körperpositionen, die sie durch die unterschiedlichsten Verrenkungen erlangt.
Als Sohn eines Metzgers und einer Rechtsmedizinerin, betreut von einer skurrilen Nanny beschäftigte sich Frank Linders schon sehr früh mit dem Thema Tod. In „Dramaturgie des unbewussten Seins“ zeigt er analoge, in Mittel- und Großformat aufgenommene Bilder, jenseits jeglichen Mainstreams. Die cineastischen Fotos wirken morbide. Sind teilweise schon recht abgedreht, so abgedreht, dass Frank Linders bei einer Ausstellung von einem Junkie gefragt wurde, welche Drogen er denn nimmt.
Ähnliches denken mitunter bestimmt auch die Nachbarn von Marlena Wels, wenn sie mit Flügeln aus Zweigen und Gardinen durch ihr Dorf läuft. Angetrieben von einer intensiven Selbstreflexion berichtet sie in „Traum, Fantasie und Wirklichkeit“ über ihr virtuelles Tagebuch und zeigt märchenhafte Composings, die ihr helfen, sich Dingen zu stellen, die sie sonst eher verdrängen würde.
Ihre Nähe zu Film und Bühne zeigt Charlotte Wulf in dem letzten Kapitel „Die vielen Seiten meines Selbst“. Sie lädt zu einer künstlerischen Entdeckungsreise zu ihr selbst ein. Zeigt tiefe Einblicke in ihre Kindheit und erforscht durch die Art zu fotografieren ihre unterschiedlichsten Facetten, verortet sich damit, setzt sich Ziele und lotet Grenzen aus.
Fazit
Dies ist ein außergewöhnlich gutes Buch, in dem vier junge introvertierte Fotografen es zulassen, dass Außenstehende tief in ihr Innerstes schauen können. Nicht aus Selbstverliebtheit, eher als Teil einer Therapie nutzen sie den großen Vorteil, als Fotograf und Protagonist spontan sein zu können und Raum zum Ausprobieren zu haben. Denn wenn es mal nicht klappt, ist niemand außer sie selbst enttäuscht.Die Daten
Das Selbstporträt. Das eigene Ich fotografisch in Szene setzen erschien am 30. Juni 2021 im Rheinwerk Verlag. 287 Seiten, gebunden, mit Lesebändchen, in hochwertiger Fadenheftung. Großes Bildbuchformat 21 x 24 cm. In Farbe gedruckt auf matt gestrichenem Bilderdruckpapier (135 g). Lesefreundliche Schrift. Mit zahlreichen Originalfotos und inspirierenden Bildstrecken. Auch als E-Book erhältlich (51 MB).ISBN 978-3-8362-8038-9
Preis: 34,90 €
Hier geht es zur Leseprobe (PDF)
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Rezension: Uli Rhein
Bewertung
© Uli Rhein und Netzwerk Fotografie. Jedwede Art der Veröffentlichung, auch auszugsweise, bedarf der Genehmigung. Text: Uli Rhein, Bildnachweis: © Rheinwerk Verlag