Warum können Fotos "räumlich" wirken?

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Pesch

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Von Zeit zu Zeit kommt in diesem Forum das Thema auf, ob, inwiefern, inwieweit, und unter welchen Bedingungen etc. Fotos "räumlich" wirken können.

Dass Fotos also zumindest gelegentlich eine räumliche Wirkung auf zumindest einige ihrer Betrachter ausüben, ergibt sich also schon alleine aus der Tatsache, dass dieses Thema hier gelegentlich Diskussionsgegenstand wird. Und aus der Tatsache, dass dieses Thema Diskussionsstoff liefert, ergibt sich ja auch bereits, dass offensichtlich nicht jedes Foto auf jeden seiner Betrachter eine "räumliche" Wirkung ausübt.

Woran liegt es also, dass zwar wohl zumindest manche aber offensichtlich nicht alle Fotos bei ihrer Betrachtung eine "räumliche" Wirkung ausüben?

Die Gründe dafür sind nach meinem Verständnis aus der Sicht der Humanwissenschaften folgende:

Beim räumlichen Sehen zieht unser visuelles System sogenannte "Tiefenkriterien" heran: http://filmlexikon.uni-kiel.de/index.php?action=lexikon&tag=det&id=6315

Dabei unterschiedet man in den Humanwissenschaften in der Regel:


Fotografien liefern nun in der Regel ja keine bewegungsinduzierten Tiefenkriterien. Daher lasse ich sie im weiteren Fortgang unberücksichtigt.


Bei der Betrachtung von Fotografien liefern die monokularen, binokularen und okolomotorischen Tiefenkriterien unserem visuellen System nun in aller Regel widersprüchliche Informationen:

Der Muskeltonus der jeweiligen Konvergenz und Akkomodation sowie auch die Querdisparation signalisieren zum Beispiel: "Alles auf dem Foto ist ca. 40 cm weit entfernt". Die monokularen Tiefenkriterien signalisieren hingegen: "Die Person im Vordergrund ist etwa 10 m entfernt und die Zugspitze im Hintergrund ca. 10 km."

Bei der Betrachtung einer Fotografie ist ein räumlicher Eindruck nach meinem Verständnis daher also umso wahrscheinlicher und auch umso stärker, je mehr eine Fotografie die Wirkung entfaltet, dass das visuelle System ihres Betrachters nur die monokularen Tiefenkriterien zur "Entfernungsberechnung" heranzieht. In diesem "Idealfall" entspräche der räumliche Eindruck bei Betrachtung einer Fotografie vom Grundsatz her dem räumlichen Eindruck beim einäugigen Blick durch ein Fenster (= äußere Begrenzung der Fotografie) auf das jeweilige Motiv.

Die in der Literatur zu findenden praktischen Ratschläge zu der Frage, wie sich beim Betrachter einer Fotografie ein bestimmter räumlicher Eindruck hervorrufen lässt, laufen daher auch oft auf Vorgehensweisen zur gezielten Akzentuierung genau dieser aus den Humanwissenschaften bekannten monokularen Tiefenkriterien hinaus.

Um dies zu verdeutlichen, habe ich im Folgenden die diesbezüglichen Empfehlungen von Andreas Feiniger in seinem Buch "Die Hohe Schule der Fotografie" den in der nachstehend verlinkten Quelle genannten monokularen Tiefenkriterien gegenübergestellt: http://filmlexikon.uni-kiel.de/index.php?action=lexikon&tag=det&id=6318

Die folgenden Zitate von Andreas Feininger sind alle den Seiten 276 bis 284 der Taschenbuchausgabe von 2002 entnommen:

"Die folgende Aufzählung zählt sieben Symbole der Raumdarstellung und die Art ihrer Verwendung auf".
"1. Perspektive. Dabei handelt es sich um jene bekannte "optische Täuschung", dass vom Betrachter wegführende Linien, die in Wirklichkeit parallel verlaufen, scheinbar zusammenstreben."
Das entsprechende monokulare Tiefenkriterium nennt man in den Humanwissenschaften "lineare Perspektive".

"2. Verjüngung. Bei dieser Art der Perspektive haben wir es mit einer optischen Täuschung zu tun, die ein Objekt mit zunehmender Entfernung zum Betrachter immer kleiner erscheinen lässt und umgekehrt."
Die entsprechenden monokularen Tiefenkriterien nennt man in den Humanwissenschaften "lineare Perspektive", "relative Größe im Blickfeld" und "gewohnte Größe von Gegenständen".

"3. Verkürzung. Hier haben wir es mit der dritten Art der Perspektive zu tun.die sich in Form einer Verzeichnung kundtut."
Die entsprechenden monokularen Tiefenkriterien nennt man in den Humanwissenschaften "lineare Perspektive", "relative Größe im Blickfeld" und "gewohnte Größe von Gegenständen".

"4. Überdeckung. Wenn ein Objekt das andere teilweise verdeckt, dann befindet sich das verdeckte Objekt hinter dem Objekt von dem es verdeckt wird, und ist also weiter entfernt."
Das entsprechende monokulare Tiefenkriterium nennt man in den Humanwissenschaften "Verdecken von Objekten".

"5. Die Stellung des Objekts im Rahmen des Bildes. Je höher der Bildhorizont liegt, desto stärker wird der Eindruck der Tiefe."
Das entsprechende monokulare Tiefenkriterium nennt man in den Humanwissenschaften "relative Höhe im Blickfeld".

"6. Der Gegensatz zwischen scharf und unscharf."
Das entsprechende monokulare Tiefenkriterium nennt man in den Humanwissenschaften "Texturgradient".

"7. Der Gegensatz zwischen hell und dunkel. Durch die Zerstreuung des Lichts in der Atmosphäre sehen Gegenstände heller aus, je weiter sie vom Betrachter entfernt sind."
Das entsprechende monokulare Tiefenkriterium nennt man in den Humanwissenschaften "atmosphärische Perspektive".

Andreas Feininger:

"Jedes dieser Symbole kann sowohl für sich allein als auch in Verbindung mit einem oder mehreren anderen verwendet werden. Jedes hat der Fotograf weitgehend in seiner Gewalt und kann es bestimmten Erfordernissen anpassen. Infolgedessen hat man unendlich viele Möglichkeiten, fotografisch den Eindruck von Raum zu erzeugen, und ein Fotograf, der mit diesen Symbolen umzugehen weiß, kann "Raum" in jeder gewünschten Weise darstellen."
Ob eine Fotografie bei ihrer Betrachtung einen räumlichen Eindruck hervorruft, und wenn ja, einen wie starken und welchen genau, ist also nach meinem Verständnis zunächst einmal davon abhängig, in welchem Maße es dem jeweiligen Fotografen gelungen ist, die monokularen Tiefenkriterien entsprechend der von ihm jeweils beabsichtigten räumlichen Wirkung gestalterisch zu akzentuieren.


Ob sich der vom Fotografen intendierte räumliche Eindruck auch beim jeweiligen Betrachter einstellt, ist nach meinem Verständnis weiter von den "Sehgewohnheiten" des jeweiligen Betrachters abhängig. Wie nämlich Studienergebnisse aus der jüngeren Vergangenheit nahe legen, scheint die räumliche Wahrnehmung das Ergebnis eines Lernprozesses (im Unterschied zu: genetisch bedingt) zu sein. Hier ein beispielhafter Link: http://dasgehirn.info/aktuell/kurznachrichten/raeumliches-sehen-ist-erlernt?searchterm=sehen+erlernt

Und daher ist es nach meinem Verständnis wahrscheinlicher, dass der räumliche Eindruck, welchen eine Fotografie bei verschiedenen Betrachtern auslöst, mehr oder weniger verschieden sein wird, als dass er gleich sein wird.
 
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Also etwa so, oder?

Nein. Genau so. :) Also vielen Dank für diese treffliche Veranschaulichung der monokularen Tiefenkriterien und der Möglichkeiten ihrer gestalterischen Berücksichtigung in der Fotografie.

Ergänzung zu Herrn Feiniger: Tiefenwirkung durch Licht/Schatten Wirkung
Das entsprechende monokulare Tiefenkriterium nennt man in der Wahrnehmungsforschung meist schlicht und ergreifend "Schatten": http://www.psychologie.uni-heidelberg.de/ae/allg/lehre/wct/w/w6_raum/w620_monokulare_tk.htm

die von Dir verlinkte Tafel 15 und meine Einlassung in Beitrag #6 zur Nummer 5 beschreiben nach meiner Ansicht genau das Gleiche. Insofern sehe ich keinen Widerspruch den es aufzulösen gelte.
So ist es.

Gemeint hatte ich nicht, dass jenseits des Sehnervs keine physikalisch-chemischen Prozesse ablaufen, sondern dass das Wesen der visuellen Wahrnehmung vor allem mit Hilfe anderer humanwissenschaftlicher Disziplinen wie etwa der Psychologie erfassbar wird. Ohne chemischen Prozess wird es wohl nicht gehen, aber mit Ihnen erfasst man den Wahrnehmungsprozess einfach nur unzureichend ... insbesondere was die "spannenden" Themen betrifft. Die Biophysik existiert. Keine Frage. Es ist aber bezeichnend, dass beispielsweise in dem verlinkten Wikipedia-Artikel kein einziges Mal der Begriff "Wahrnehmung" auftaucht. Das eine lässt sich durch das andere nicht erklären.

Deine oben zitierte persönliche Meinung in Ehren, aber mit dem derzeitigen Stand der Forschung und Diskussion in den Humanwissenschaften zum Thema "visuelle Wahrnehmung" hat zum Beispiel Deine Auffassung, dass man die visuelle Wahrnehmung ("das eine") nicht mit dem Instrumentarium der Biophysik ("das andere") erklären könne, meines Wissens eher wenig zu tun. Vielleicht überzeugt Dich ja in dieser Hinsicht der Inhalt dieses Videos eines Instituts für Zelluläre Biophysik:

http://www.hyperraum.tv/tag/biophysik/

Wenn nicht, dann könnte man ja diesbezüglich auch einfach in gegenseitigem Respekt unterschiedlicher Meinung bleiben. :)
 
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Wenn nicht, dann könnte man ja diesbezüglich auch einfach in gegenseitigem Respekt unterschiedlicher Meinung bleiben. :)

Das solltet Ihr!

Ich kann ja auch meine Meinung noch mal ausführen...:wippe:

Vor dem Foto steht die physikalische Welt, deren Perspektive und die ganze Technik um das ganze platt auf ein Blatt zu printen.

Auf dem Blatt gibt es nur 2D aber ggf immerhin Geometrie, die der Betrachter interpretieren kann.

Dann kommt der Betrachter. Ja, auch seine Wahrnehmung basiert schlussendlich vermutlich auf Biochemie und Physik. Aber das ist ja eine andere Ebene! Das ist die Ebene die beschreibt wie der "Computer" funktioniert.

Der eigentliche Inhalt des Bildes wird IMO umgesetzt von
1) Echte Welt -> (technisch/physikalisch/3D)
auf...
2) Print mit Information -> (bildlich/ geometrisch/ 2D)
auf...
3) Menschliche Wahrnehmung -> (virtuell/ subjektiv)


Und das alles schreibe ich ohne einschlägiges Studium einfach so wie es mir gerade einfällt
:fahne:
 
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Rührte die ursprüngliche "3D Effekt"/Räumlichkeits Diskussion nicht daher, dass es dabei um eine angenommene spezielle Zeichnungsweisedurch ein Objektiv ging (häufig dem Hersteller Zeiss nachgesagt)?

Ich frage, da mir die bisher hier genannten Kriterien weit weniger feinstofflich und auch weitgehend unabhängig vom eingesetzten Equipment erscheinen.
Wie passt da dieser spezielle legendäre "Zeiss 3D Effekt" in das Bild?

Herr Zörkendörfer (www.zoerk.de) soll sich z.B. dahingehend geäußert haben, dass Objektive nicht plastisch abbilden, wenn sie nicht alle Grauwerte übertragen können. (?)
Ich könnte mir noch am ehesten vorstellen, dass möglichst hohe Mikrokontraste für einen stofflichen/plastischen Eindruck förderlich sind.
Geht es hierbei nicht ohnehin mehr um einen stofflichen und nicht grob räumlichen Bildeindruck?

Und könnte man diesen Effekt auch ersatzweise per EBV erzeugen, so dass der Objektiv Hersteller nebensächlich wird?

MfG
Jürgen
 
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Der eigentliche Inhalt des Bildes wird IMO umgesetzt von 1) Echte Welt -> (technisch/physikalisch/3D) auf... 2) Print mit Information -> (bildlich/ geometrisch/ 2D) auf... 3) Menschliche Wahrnehmung -> (virtuell/ subjektiv)

So verhält es sich soweit ich weiß auch aus der Sicht der Naturwissenschaften. Und daher untersucht man in den Naturwissenschften durchaus auch bildgebende Gesamtsysteme – beginnend mit den vom Motiv ausgehenden elektromagnetischen Wellen bis hin zur bewussten Wahrnehmung "Elfriede vor dem Matterhorn". Beispiel (Motiv > Perzept): ftp://saturn.cis.rit.edu/mcsl/jaf/tenure/courses/1051-452_ISA_II/lectures/0109_introduction.pdf

In der Neurologie vermutet man heute zum Beispiel, dass "Elfriede" mit sehr großer Wahrscheinlichkeit nur von einem einzelnen spezifischen "Elfriede-Neuron" repräsentiert wird, das feuert, wenn man sich "Elfriede" visuell vorstellt, beziehungsweise auf einem Foto oder in der Realität visuell wahrnimmt:

"Koch: Mein Labor arbeitet seit über zehn Jahren mit Neurochirurgen zusammen. Diese implantieren Epileptikern manchmal Elektroden ins Hirn, um die Herde der Anfälle zu finden. Solange die Elektroden im Kopf sind, können wir mit ihnen experimentieren; die Patienten haben ihren Spaß dabei. Beispielsweise zeigen wir ihnen Bilder und sehen, wie die kontaktierten Neuronen reagieren. Oft sind es Fotos von Filmschauspielern, denn von der Klinik sind es nur fünf Meilen nach Hollywood. Einmal hatten wir eine Frau, die in den Studios arbeitete und Jennifer Aniston persönlich kannte. Wenn wir ihr nun ein Bild dieses Filmstars vorlegten, ging immer dasselbe Neuron los. Erstaunlicherweise antwortete es nur auf Aniston, weder auf andere Schauspieler noch auf andere Blondinen. In anderen Hirnen wiederum fanden wir Neuronen, die nur auf Halle Berry oder Bill Clinton reagieren."

Quelle: http://www.zeit.de/2013/44/christof-koch-bewusstsein-hirnforschung/seite-3


Rührte die ursprüngliche "3D Effekt"/Räumlichkeits Diskussion nicht daher, dass es dabei um eine angenommene spezielle Zeichnungsweisedurch ein Objektiv ging (häufig dem Hersteller Zeiss nachgesagt)?

Die "urprüngliche" Befassung mit dem Thema des Hervorrufens eines von zweidimensionalen Abbildungen ausgehenden "räumlichen Eindrucks" fand soweit ich weiß ja bereits lange vor den Anfängen der Fotografie in der bildenden Kunst statt.

Und spätestens mit Hubert und Jan van Eyck begann die bildende Kunst in Europa im 15.Jahrhundert ein nahezu explosionsartig anwachsendes Geschick darin zu zeigen, beim Betrachter eine "räumliche Wirkung" hervorzurufen.

1420: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/a/a3/Master_of_Holy_Kinship,_the_Elder.jpg

1434: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/3/33/Van_Eyck_-_Arnolfini_Portrait.jpg

1730: http://uploads0.wikipaintings.org/images/canaletto/riva-degli-schiavoni-looking-east-1730.jpg

Und die Fotografie griff dann später nach meinem Verständnis die meisten der in der bildenden Kunst zum Einsatz kommenden Mittel zur Hervorrufung eines räumlichen Eindrucks auf. Dabei machte sie zum Beispiel aus der folgenden Not die folgende Tugend:

Aus der Not, dass es in der Fotografie nicht ganz so ohne jeden Umstand wie in der bildenden Kunst möglich ist, den Texturgradienten beliebig zu skalieren - eine Fotografie bildet streng genommen ja immer nur eine einzige Einstellebene scharf ab, machte sie die Tugend des Spiels mit Schärfe und Unschärfe.

Der Fotografie stehen also weder bessere noch schlechtere Mittel zur Erzielung eines räumlichen Eindrucks zur Verfügung als der bildenden Kunst, sondern einfach nur andere.

Und zu diesen anderen Mitteln gehört nun nach meinem Verständnis auch, dass sich die Fotografie die Abbildungsfehler der fotografischen Objektive gestalterisch zu Nutze machen kann, die jedem Objektiv seinen individuellen Abbildungscharakter verleihen. Denn ideale bei jeder Blende allein beugungsbegrenzte Objektive ohne Restfehler und mit 100% Transmission bei jeder Wellenlänge würden sich nach meinem Verständnis ja nicht durch unterschiedliche Abbildungseigenschaften auszeichnen.

Und dass in der Fotografie vor diesem Hintergrund zum Thema werden kann, ob sich die monokularen Tiefenkriterien der räumlichen Wahrnehmung mit bestimmten Abbildungscharakteristiken in besonderem Maße adressieren lassen, halte ich daher für genauso wenig verwunderlich, wie die Tatsache, dass es in der bildenden Kunst zum Thema wird, mit welcher Maltechnik sich ein Sfumato zur Adressierung des monokularen Tiefenkriteriums "atmosphärische Perspektive" am wirkungsvollsten auf die Leinwand oder Tafel bringen lässt: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/b/bb/Leonardo_da_Vinci_024.jpg

Und könnte man diesen Effekt auch ersatzweise per EBV erzeugen, so dass der Objektiv Hersteller nebensächlich wird?

Aus meiner Sicht vom Grundsatz her ja, denn die Parameter, die einem bestimmten Objektiv seinen Abbildungscharakter verleihen, sind ja zumindest seinen Konstrukteuren bekannt. Ob sie damit herausrücken, ist natürlich eine andere Frage.

Kennt man aber seine Parameter, dann kann man nach meinem Verständnis vom Grundsatz her auch ein Objektiv rechnerisch modellieren, ganz so wie vom Grundsatz her ja auch jedes andere Gerät zur Signalübertragung - also warum nicht auch ein Objektiv?

In der professionell betriebenen Computergrafik und in der Filmindustrie ist die Benutzung virtueller Objektive daher meines Wissens auch schon recht weit verbreitet. Das ist für diese beiden Branchen nach meinem Verständnis insbesondere aus den folgenden Gründen von Bedeutung:

In der Computergrafik fiel nach meinem Verständnis auf, dass 200 Jahre Fotografie die Sehgewohnheiten inzwischen in einer Weise beeinflusst haben, dass CGI-Ergebnisse, die keinerlei Ähnlichkeit mit Fotografien aufweisen – weil sie zum Beispiel von vorne bis hinten scharf sind – nicht selten als "unrealistisch" wahrgenommen werden. Daher sind die in der Computergrafik eingesetzten virtuellen Kameras heute bei entsprechendem Bedarf keine Lochkameras mehr, sondern verfügen über ein virtuelles Objektiv mit virtuellen Blenden, virtuellen Abbildungsfehlern und virtuellem Bokeh etc..

Außerdem werden heute im sogenannten "Compositing" oft computergenerierte Bildteile mit fotografierten Bildteilen zusammengefügt. Daher sollte nach meinem Verständnis zur Erzielung eines konsistenten "Looks" das virtuelle Objektiv der für den computergenerierten Teil verwendeten virtuellen Kamera im Idealfall die identische Abbildungscharakteristik aufweisen wie das reale Objektiv der für den fotografierten Teil verwendeten realen Kamera.
 
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Nein. Genau so. :) Also vielen Dank für diese treffliche Veranschaulichung der monokularen Tiefenkriterien und der Möglichkeiten ihrer gestalterischen Berücksichtigung in der Fotografie.
...

Danke.
Nix gegen Dich und Herrn Feininger, aber wie theoretisch das ganze ist, siehst Du daran, dass ich ohne Probleme 6 mal dieses Bild hätte hochladen können und es hätte zu jedem einzelnen Punkt gepasst:


picture.php



Ich selbst habe während meiner Ausbildung Gestaltungslehre gehabt und habe mich auch noch einige Zeit danach damit beschäftigt, aber ich bin schnell darauf gekommen, dass Bildgestaltung nicht mit Regeln oder Gesetzmäßigkeiten zu fassen ist. Deswegen halte ich die - nennen wir es mal - wissenschaftliche Aufschlüsselung der dreidimensionalen Wirkung eines Fotos auch nur für bedingt hilfreich.
Eine Bach-Sonate ist mehr als das fehlerfreie Abspielen der Noten und ebenso ist die Wirkung, die ein Foto auf den Betrachter hat, mehr als das, was sich technisch aufdröseln lässt.

PS - Der dozent, bei dem wir Gestaltungslehre hatten, hat gerne gesagt "wer bei der Bildgestaltung nachdenken muss, ist noch kein Gestalter"
 
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Danke. Nix gegen Dich und Herrn Feininger, aber wie theoretisch das ganze ist, siehst Du daran, dass ich ohne Probleme 6 mal dieses Bild hätte hochladen können und es hätte zu jedem einzelnen Punkt gepasst

Das sehe ich anders. Die folgenden monokularen Tiefenkriterien treten in diesem Bild meines Erachtens nicht besonders akzentuiert hervor, und werden meines Erachtens daher auch in diesem Bild nicht besonders gut veranschaulicht:

Atmosphärische Perspektive: Die Bühne im Hintergrund ist einer der dunkelsten Bereiche.

Texturgardient: Es liegt keine besonders ausgeprägte Differenz zwischen den Texturen im Vordergrund und denen im Hintergrund vor.

Im Übrigen ist es selbstverständlich so, dass von unserem visuellen System bei der monokularen räumlichen Wahrnehmung in aller Regel alle oder zumindest mehrere monokulare Tiefenkriterien zur "Entfernungsberechnung" herangezogen werden. Und entsprechend wird man auch mit Sicherheit kein einziges Foto finden, dessen räumlicher Eindruck nur auf einem monokularen Tiefenkriterium basiert.

Die Humanwissenschaften erklären eben in grundlegender Art und Weise, inwiefern und wieso räumliche Wahrnehmung Dank dieser monokularen Tiefenkriterien auch ohne die Benutzung beider Augen möglich ist. Und sie unterscheiden dabei diese Tiefenkriterien, weil jedes von Ihnen eine unterschiedliche Art von Beitrag zum monokularen räumlichen Sehen leistet, an welchem sie jedoch im Alltag in der Regel alle beteiligt sind.

Und durch diese unterschiedlichen Beiträge jedes dieser Tiefenkriterien wird dann zum Beispiel verständlich, dass zum Beispiel eine Person, die zwar noch gut hell und dunkel unterscheiden kann, aber ansonsten sehr schlecht sieht, und daher das Tiefenkriterium "Texturgradient" kaum mehr nutzen kann, einen anderen räumlichen Eindruck haben wird, als jemand, der sehr gut sieht.

Und da die unterschiedlichen Beiträge der unterschiedlichen monokularien Tiefenkriterien bekannt sind, kann man soweit ich weiß dann zum Beispiel nach dem Verlust eines Auges durch einen Unfall oder auch bei Sehstörungen nach einem Schlaganfall etc., ein Rehabilitatstionsprogramm entwickeln, das eventuelle Defizite bei der Nutzung eines oder mehrerer der monokularen Tiefenkriterien durch ein entsprechendes Training auszugleichen versucht.

Deswegen halte ich die - nennen wir es mal - wissenschaftliche Aufschlüsselung der dreidimensionalen Wirkung eines Fotos auch nur für bedingt hilfreich.
So ist das nun einmal mit "Grundlagen". Ein mit einem Doktortitel in Physik zertifiziertes grundlegendes Verständnis der Prozesse in einem Staubsauger führt ja bekanntlich auch nicht mit Notwendigkeit zum saubersten Teppich, da der Doktortitel in Physik ja kein Zertifkat für ein besonderes Geschick bei der Bedienung eines Staubsaugers ist. Und Sebastian Vettel fährt glaube ich auch ziemlich viel schneller um jede beliebige Ecke als Adrian Newey, und zwar obwohl der den Red Bull konstruiert hat, und daher sicherlich auch sehr viel besser als Sebastian Vettel physikalisch erklären könnte, warum genau Vettel damit schneller um die Ecken fahren kann als Alonso im Ferrari.

Warum man solche meiner Meinung nach völligen Selbstverständlichkeiten überhaupt einer Erwähnung wert findet, erschließt sich mir persönlich also angesichts ihrer Selbstverständlichkeit sowieso nicht so recht - und erst recht nicht im Bereich diese Forums für "Physikalisch-technische Grundlagen der Fotografie".
 
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Nix gegen Dich und Herrn Feininger, aber wie theoretisch das ganze ist, .....

Dieser Satz ("Nichts gegen Dich....ABER wie theoretisch..." lässt eine bei Dir vorhandene Aversion gegen Theorie durchblicken. :fahne:

Im gesunden Ausmaß finde ich Theorie schon hilfreich, weil Sie dann auch in der Praxis umgesetzt werden kann.

In so fern möchte ich den Praktiker Feininger sehr in Schutz nehmen! Das Lesen seiner Bücher in jungen Jahren (*) hat mir sehr viel gebracht. Grundlagen, von denen ich heute noch zehre.

Ich empfehle Feininger.




Der geschätzte User Pesch hat die Feiniger-Theorie nun deutlich ausgeweitet und dadurch etwas schwerer verdaulich gemacht.

Ich empfehle Pesch nur für Leser mit Freude an Theorie. :hehe::hehe:



*) OT: In jüngeren Jahren. Bin ja auch heute noch jung. Nur nicht mehr so.
 
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...Und Sebastian Vettel fährt glaube ich auch ziemlich viel schneller um jede beliebige Ecke als Adrian Newey, und zwar obwohl der den Red Bull konstruiert hat, und daher sicherlich auch sehr viel besser als Sebastian Vettel physikalisch erklären könnte, warum genau Vettel damit schneller um die Ecken fahren kann als Alonso im Ferrari...

Und wer meinst Du könnte einem Fahranfänger die wertvolleren Tipps mit auf den Weg geben…? ;)
 
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Und wer meinst Du könnte einem Fahranfänger die wertvolleren Tipps mit auf den Weg geben…?

Meines Erachtens haben wir unsere unterschiedlichen Ansichten zu diesem Thema bereits in ausreichender Deutlichkeit und Ausführlichkeit ausgetauscht. Daher bitte ich um Verständnis dafür, dass ich von weiteren Wiederholungen bereits ausgetauschter Argumente meinerseits nun Abstand nehme.
 
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Nichts scheint schwieriger, als Kommunikation!
Wahrscheinlich, weil die Wahrnehmung eine sehr bedeutsame Rolle dabei spielt!
Insofern fand ich die Hinweise von Hans-Peter bislang recht wertvoll!
 
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Mir auch, aber die ... [Pesch: Schatten] ... war ja nicht Bestandteil von Herrn Feinigers Liste… :nixweiss:

Nach meinem Verständnis liegt das vermutlich daran, dass er die Bedeutung von Licht und Schatten für die Räumlichkeit einer Fotografie bereits auf den Seiten 185 bis 195 meiner Taschenbuchausgabe von 2002 in großer Ausführlichkeit erläutert und auch in zahlreichen Bildern veranschaulicht hat.
 
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Irgendwie musste ich heute etwas schmunzeln, als ich die neue Ausgabe der Nikon-Pro las :fahne:

Zitat von Zubar Kiknadze (Nikon Produktmanager) zum neuen 1.4/58mm "...Als erstes wollten wir erreichen, dass Motive trotz der Zweidimensionalität des Mediums Fotografie eine dreidimensionale Wirkung erhielten. Dazu mussten unsere Techniker die Übergänge des Bokhes optimieren - also die natürlichen Grenzen zwischen Schärfe und Unschärfe, die das menschliche Sehen nachahmen."

VG
 
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Ergänzung zum Punkt "Atmosphärische Perspektive"

  1. Je weiter weg, nicht unbedingt umso heller, aber jedenfalls umso kontrastärmer.
  2. Die (flug-)meteorlogische Norm-Sichtweite z.B. ist dadurch definiert, dass der wahrgenommende Kontrast zwischen "weiß" und "schwarz" unter 5% sinkt (gemessen, wie hier definiert).
  3. Je weiter weg umso "blauer", weil der kurzwellige Anteil des Lichtes durch Rayleigh-Streuung an Molekülen und in geringerem Umfang durch Mie-Streung an Staubpartikeln, Tröpfchen, ... stärker gestreut wird als der langwellige Anteil. Daher ist der Himmel blau und die untergehende Sonne rot (vereinfacht gesagt)
  4. Unter bestimmten Bedingungen kann die atmosphärische Trübung die Hauptfunktion bei der Entfernungsschätzung abgeben
  5. z.B. beim Flug über Gelände ohne Gegenstände mit vertrauter Größe: Wüste, Hochgebirge, Tundra, große Eis- und Schneeflächen
  6. Besonders gute Sichtweite lässt dabei die Entfernungen unterschätzen, schlechte unter Umständen überschätzen
  7. Besonders gemein: falsche Maßstäbe: zwergwüchsige Bäume im Hochgebirge, etc ...

Das nur recht wahllos zur Ergänzung.

Die Verblauung des Hintergrundes wird aber spätestens seit der Renaissance als perspektivisches Gestaltungsmittel eingesetzt.
 
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