Empfehlung Sam Amsler: Fotografie und Musik

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Sam Amsler

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Fotografie und Musik

von Sam Amsler

1. Einleitung

Schon als Kind liess ich mich von Musik berühren. Ich mag mich noch erinnern, dass ich auf dem alten Lenco-Plattenspieler Ausschnitte aus Mozarts Zauberflöte hörte, am Fenster stand und mit dirigierte. Irgendwann verinnerlichte ich diese Töne, diese Melodien und sie haben mich bis heute nicht losgelassen, im Gegenteil. Durch das Betreiben meiner intensiven Fotografie empfinde ich heute die Musik noch weit stärker als vorher.

Ich fand aber die Verbindung von Musik und Fotografie lange Zeit nicht. Und ich weiss nicht mehr, warum ich die Musik der Zauberflöte mit in die Ferien in den Vogesen nahm und ich mich intensiv mit ihr musikalisch und fotografisch beschäftigte. Seit dem Thread im Jahre 2012 „Ein Stück meiner zauberhaften Welt“ vergeht wohl keine Woche, wo nicht Musik und Fotografie in irgendeiner Form zu einander finden: gewollt oder ungewollt.

Irgendwann habe ich begonnen, mich mittels Biografien und andern Quellen dem Leben von Komponisten zu widmen. Das tue ich fast so intensiv, wie ich mich mit meinen Kameras beschäftige. Fragen wie, was für ein Mensch steht hinter dieser Musik, wann hat er das Werk geschrieben, aus welchem Grund, in welcher Lebensphase steckte er zu diesem Zeitpunkt als er das Werk schrieb, geben mir Informationen darüber, wer hinter der Musik steckt.

Die nachfolgenden Gedanken sollen – weil ich auch immer häufiger auf diese Verbindung von Menschen angesprochen werde – einen Erklärungsversuch wagen. Er ist persönlich, subjektiv und nicht wissenschaftlich erhärtet. Es fehlen mir Beweise und oft auch Begründungen, warum das so ist, warum ich dieses Motiv in den Zusammenhang dieser Musik bringe. Letztlich, das ist mir bewusst, stehen Fotografie und Musik für sich alleine da. Sie sind unabhängig, auch wenn ich sie mit meinen Bildern immer wieder als eine homogene Wahrnehmung darstelle.

Und doch muss eine Verbindung von Sehen und Hören da sein. Ein Bild kann mich genauso sprachlos machen wie ein Musikstück. Beides kann mich intensiv berühren und es sind dieselben Empfindungen. Und diese Feststellung beschäftigt mich. Und sie beschäftigt mich deshalb, weil Sehen und Hören und die Produkte daraus ausschliesslich mit mir zu tun haben.

2. Das Motiv als Motiv


Ich gehe davon aus, dass mein Innen immer auch mein Aussen ist. Oder anders ausgedrückt, spiegelt mein Innen das Aussen und das Aussen mein Innen. Zu dieser Erkenntnis gelangte ich aus folgender Beobachtung.

Eine Blume am Wegesrand interessiert mich (fotografisch) oder nicht. Ich habe zwei Möglichkeiten, sie als Motiv zu deklarieren. Die erste ist, dass ich bewusst die Entscheidung treffe, die Blume zu fotografieren. Ich nehme die Kamera, die entsprechende Optik, warte auf schönes Wetter und gehe zum geeigneten Lichtzeitpunkt die Blume fotografieren. Ich habe sie also bewusst zum Motiv gemacht. Das ist die eine Möglichkeit fotografisch tätig zu sein.

Die andere Methode ist, sich vom Motiv „rufen zu lassen“. Aufgefallen ist mir, dass ich hundert Mal an ein und derselben Blume vorbei spazierte, ohne ihr „fotografische Beachtung“ zu schenken. Und irgendwann „empfand“ ich sie als Motiv. Warum das so ist, ist mir bis heute ein Rätsel. Nur eines weiss ich, dass der Moment zwischen Motiv und mir ausschliesslich mit mir zu tun hat. Denn die Blume bewegt sich ja nicht, steht dort immer am gleichen Ort.

3. Musik und Motiv

Erst der Zusammenhang zwischen mir und dem Motiv wie in Punkt 2 beschrieben hat es mir ermöglicht, auch einen Zusammenhang zwischen Musik und Motiv anzustellen.

Irgendwann ist mir aufgefallen, dass mir eine Melodie in den Sinn kam, oder ich hörte eine am Radio. Und plötzlich sah ich in meiner Aussenwelt Motive, welche ich so nicht gesehen habe. Eine Art „akustischen Auslöser“ für meine „visuelle Wahrnehmung“. Diesem Satz ging ich nach und begann mich mit Komponisten intensiv zu beschäftigen. Wann und warum haben sie welche Werke geschrieben, in welcher Zeit lebten sie, was spielte die Umgebung für eine Rolle. Aber auch, was sind Komponisten für Menschen, wie fühlten sie, wie gingen sie an die Komposition heran, welche Techniken haben sie verwendet.

Irgendwann fiel mir auf, dass sie wohl ähnlich vorgehen, wie ein Maler oder ein Fotograf ein Bild komponiert. Und so wird eine Note, zum Beispiel ein C zum Motiv. Vielleicht ist es auch ein D oder ein A, aber irgendwann kommt einem Komponisten ein Ton entgegen, er summt ihn und er beginnt drum herum weitere Töne zu suchen, sie zusammen zu fügen. Und so entsteht eine Komposition. Und so entschied ich mich, auch Töne oder Melodien als Motiv zu betrachten, sie in meine Fotografie mit ein zu beziehen, es in meinen Dialog zwischen meinem Innen und Aussen als dritter und gleichwertiger Gesprächspartner einzubinden. Somit lebe ich in der Fotografie oft eine Dreieckbeziehung, aus dem dann ein Bild entsteht.

4. Ich als Motiv


Somit hätte ich also zwei Motive, welche mir in meiner Fotografie begegnen. Das visuelle Motiv und das akustische Motiv. Ich sprach in Punkt 3 von einer Dreiecksbeziehung. Welchen Part habe ich dann? Das Bild als Resultat eines Dialoges nicht nur zwischen mir, der Musik und „visuellen Motiv“ bedingt, dass ich meine Rolle auch definiere. Auch wenn ich „der Macher“ bin – Töne und Blumen können ja nicht fotografieren – definierte ich meine Rolle ebenfalls als Motiv. Das heisst, ich stelle mich auf die gleiche Ebene zu den beiden andern Motiven. Und das bedeutet, dass ich somit bewusst eine Gleichwertigkeit produziere. Und das bedeutet am Schluss, dass meine Bilder das Produkt eines Dialoges unter drei gleichwertigen Motiven sind.

5. Komposition

Musik wird komponiert, ein gemaltes wie ein fotografiertes Bild auch. In der Fotografie nennt man das Bildgestaltung. In der Musik gibt es analoge Begriffe dazu. Und doch spricht man in beiden Bereichen letztlich von Gestaltung und Komposition. Es sind akustische oder visuelle Motive welche ein Mensch zu etwas Ganzen zusammen fügt. Dieser Prozess ist meine zentrale Arbeit in meiner Fotografie. Und manchmal komme ich mir vor wie Ludwig van Beethoven, welcher mit einem Notizbuch stundenlang in Wien umherging und vor sich hin summte oder brummelte und zwischendurch einige Notizen machte. Nur das bei mir die Kamera den Notizblock ersetzt.

Es gäbe noch weitere Wahrnehmungsbereiche, welche ich für mich noch nicht erforscht habe. Da wäre zum Beispiel die taktile Wahrnehmung. Also welchen Einfluss auf den fotografischen Dialog hat es, wenn ich ein Motiv, zum Beispiel eine Blume, anfasse und sie taktil erforsche, bevor ich sie fotografiere. Oder der Geruch. Auch Gerüche kann man nicht fotografieren, aber man kann sie in eine Komposition einbinden.

6. Zusammenfassung und Beispiele

Ich stehe also weiterhin in einem Prozess der Erforschung meiner Wahrnehmung und deren Einfluss auf die Fotografie. Die Musik hilft mir als akustisches Motiv bei meiner Bildgestaltung. Natürlich nicht immer und überall. Aber ich Musik mittlerweile sehr bewusst als weiterer „Gesprächspartner“ bewusst in den Dialog mit einbeziehen. Manchmal kommt sie auch einfach, diese Musik und mischt sich ein. Und allzu oft weiss ich dann nicht, welches Produkt dabei herauskommt.



Zum Schluss drei Beispiele, bei welchen Musik als Motiv eine ganz zentrale Rolle spielte. Dazu passt natürlich auch Musik:

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Ein aktuelles Bild. Aus unserem Garten über den Zaun fotografiert. Das leuchtende Rot des japanischen Ahorns. Im Vordergrund anders farbige Herbstblätter. Da ich mich intensiv mit Antonio Vivaldi, seinem Leben und seiner Musik beschäftige kamen dachte ich nicht nur an seine roten Haare, sondern auch die ein ganz bestimmtes Werk, welcher er für die Mädchen im Ospedal dal Pietà geschrieben hat. Es ist dies das „Gloria“. Und als ich mir die Melodie holte, dann sah ich förmlich die Blätter als Mädchen, der Chor im Vordergrund, das Orchester im Hintergrund…

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Ein Bild aus dem Kloster Madonna del Sasso in Locarno. Ich sah nicht ihn, den Franz von Assisi. Sarastro aus der Zauberflöte von Mozart hat sich in unser Gespräch eingemischt. Und weil ich Sarastro schon als Kind emotional als ein ganz mächtiger Mann fühlte, wählte ich auch die Perspektive so.

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Ein Bild einer unserer jungen Enten im Bad, nachdem ich ihnen das Becken gereinigt habe und sie mit Wollust planschten und sich innig der Pflege hingaben.

Ich schaute sicher eine gute halbe Stunde zu. Und ich sah plötzlich keine Enten mehr sondern Figuren. Stolz und erhaben nahm ich sie wahr aber auch verspielt und virtuos. Und so spielte die Geige vom Violinkonzert von Beethoven mit, erst leise, dann immer dominanter.

Ich freue mich immer wieder auf Neue mit den drei Motiven fotografisch in Kontakt zu treten. Und es überrascht mich auch immer wieder aufs Neue, welche Resultate dabei heraus kommen.
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Sam Amsler

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Foto: Markus Grundmann

Sam ist ein aktiver und fantastischer Fotograf aus der Schweiz und seit vielen Jahren sehr aktives Mitglied in der Nikon-Community und im Nikon-Club.

Seine Schwerpunkte liegen auf Konzertfotografie und "Minimales maximal" in Bildern präsentieren.
 
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