Wie roh ist RAW?
Ein Artikel von Dieter Doeblin
Keine Sorge, in den folgenden Ausführungen geht es nicht um gesunde Ernährung, sondern um das Roh- (RAW-)Datenformat in der Fotografie. Da es immer wieder aufs Neue Verständnisfragen zu diesem Datenformat gibt und sich darüber hinaus das klassische RAW-Datenformat in den letzten Jahren tatsächlich verändert hat, möchte ich hier noch einmal einige Basisinformationen und Hinweise auf die Veränderungen in der Be- oder Verarbeitungsweise in der Bildbearbeitung zusammenfassen. Leider gibt es zum Thema RAW nur sehr wenige bis gar keine Informationen seitens der Hersteller. So kann dieser Artikel, gerade was den Datenaufbau der RAW-Dateien und den Datenfluss innerhalb der Kameras bzw. Bildprozessoren angeht, nicht vollständig sein. Auch die Grafiken sind immer nur allgemeine und vereinfachte Darstellungen zum besseren Verständnis!
Unterschiedliche Datenformate
Wir müssen grundsätzlich zwischen Datei- und Grafikformaten unterscheiden. Ein parametrisches Datei-Format ist eine RAW-Datei, meistens ein herstellereigenes proprietäres Datei-Format, welches nicht ohne zusätzliche Software (Interpreter) dargestellt werden kann. In der Kamera selbst erledigt das der Bildprozessor. Systemkameras, aber auch hochwertige Smartphones, bieten die Möglichkeit, beide Formate abzuspeichern und als Datei auszugeben.
Ein Grafikformat dagegen beschreibt (schon als Datei) den Bildaufbau. Es gibt pixel- und vektorbasierte Formate. Dabei stellen die Pixel- oder Rasterbasierten, dazu gehören z.B. TIFF, JPEG, DNG, GIF und BMG, die wichtigste Gruppe für den Fotografen dar. Vektorbasierte Grafikformate finden wir im grafischen Bereich, meist in Bearbeitungsprogrammen wie z.B. Adobe Ilustrator, Affinity Designer oder auch Corel-Draw sowie in CAD- und 3D-Programmen. Darüber hinaus erzeugen 3D-Scanner derartige Datenformate. Auf unseren Anzeigegeräten und auch für den Druck können wir nur softwareerzeugte Grafikformate nutzen. Kameras erzeugen sowohl parametrische Dateiformate als auch pixelbasierte Grafik-Dateien (JPGs).
Eine RAW-Datei dagegen, die in allen Digitalkameras (einschließlich Smartphones) erzeugt wird, ist eine reine Datendatei und beschreibt alleine noch keinen Bildaufbau. Vereinfacht gesagt legt die Kameraelektronik eine umfangreiche Tabelle mit Messwerten an. Die Lichtsensoren auf dem Kamera-Chip zählen die auftreffenden Photonen (Lichtmenge), und die nachgeordnete Auswertungselektronik erzeugt für jedes Pixel entsprechende Zahlenwerte für die Messwerttabelle. Dazu gehören die Lichtintensität für jeden einzelnen Bildpunkt, die Farbinformationen, und vieles andere mehr. Bei z.B. 24 MP kommen da schon sehr große Datenmengen zusammen, die allerdings noch kein Bild darstellen. Ein sichtbares Bild produziert erst der Kameraprozessor, der aus den Daten ein JPEG erzeugt, welches auf dem Kameramonitor, bei DSLM-Kameras auch im elektronischen Sucher, betrachtet und als Datei abgespeichert werden kann. Zusätzlich erzeugt der Kamera-Prozessor ein Mini-JPEG, welches zusammen mit den übrigen Metadaten mit in der RAW-Datei abgespeichert wird. RAW-Dateien müssen in einem RAW-Konverter „ausentwickelt“, bzw. in pixelbasierte Grafikformate umgewandelt werden.
Die sogenannte RAW- oder (Roh-)Datei ist also immer Grundlage für die Erzeugung von digitalen Fotos. Da diese in den Kameras erzeugte Datei von den Herstellern als „Geschäftsgeheimnis“ betrachtet wird, kann sie nicht einfach von Dritten ausgelesen werden, sondern wird als „proprietäres Datei-Format“ herstellerseitig verschlüsselt.
Hier mit einem HEX-Editor sichtbare gemachte JPG-Datei (oben), und eine DNG- Datei (unten). Man kann zwar mit einem entsprechenden Editor in die Datei schauen, aber bis auf wenige Ausnahmen, zum Beispiel die Exif-Daten, nichts in Klarschrift lesen! Um die Daten zu lesen, braucht es ein RAW-Entwicklungsprogramm, entweder intern als Bildprozessor oder extern als RAW-Konverter.
RAW-Entwickler (Konverter)
RAW-Entwickler arbeiten als “parametrische Bildbearbeitung“, die die originalen Parameter der Kamerahersteller allerdings nur mit eigenen Algorithmen interpretieren können, da sie i.d.R. keinen Zugriff auf die herstellereigenen Dateisysteme haben. Diesen Zugriff haben, wenn überhaupt, nur die von den Kameraherstellern mitgelieferten Entwicklungstools. Die Drittanbieter müssen i.d.R. ihre Programm-Algorithmen mittels „reverse engineering“ der originalen RAW-Daten schreiben, da die Hersteller ihre Daten nicht freigeben. Daher fallen auch die Ergebnisse der verschiedenen RAW-Konverter immer etwas unterschiedlich aus, und die Daten sind untereinander auch nicht kompatibel. Beim Entwicklungsprozess kann die jeweilige Software auf (fast) alle abgespeicherten Messwerte (der Tabelle) zugreifen und diese auch beliebig innerhalb des eigenen Programms verändern (interpretieren). Im RAW-Entwickler wird das eingebetteten JPG als Bild als Bearbeitungsgrundlage angezeigt. Da die entsprechenden RAW-Konverter die Ausgangsdateien (das Abbild der aufgenommenen Parameter) beim Abspeichern als Grafikformat in ein Archiv nicht verändern, spricht man hier von der nichtdestruktiven Bearbeitung. Als sichtbares und weiternutzbares Bild gibt das RAW-Programm z.B. ein TIFF oder JPG aus. Zusätzlich zu der originalen Datendatei speichert ein RAW-Konverter zusätzlich die vorgenommenen Bearbeitungsvorgänge als lesbare Sidecar-Datei mit ab oder bettet sie (z.B. bei DNGs) in die parametrische Datei ein, so dass jederzeit wieder auf die original Roh-Daten zugegriffen werden kann.
Wichtig: RAW-Konverter (zumindest von Drittanbietern) können und sollen grundsätzlich nichts in die originale parametrische Datendatei, die in der Kamera erstellt wurde, schreiben.
Darüber hinaus speichern sie ihre Bearbeitungsschritte in der Regel nicht ebenenbasiert, sondern nur als parametrische Bearbeitungstabelle ab. Allerdings scheint absehbar, dass auch RAW-Konverter zukünftig ebenenbasierte Zusatzmodule erhalten und man mit diesen RAW-Entwicklern dann auf zusätzliche Bildbearbeitungsprogramme verzichten kann, zumindest dann, wenn man nicht all zu tief in das Composing einsteigen will.
Roh vorgekocht
Leider hat sich seit einigen Jahren die eigentliche Roh-Datei verändert. Die Hersteller sind dazu übergegangen, die RAW-Dateien zu manipulieren. Auf Herstellerseite heißt das dann „Optimierung“. Was passiert da? Auf Grund der weiter voranschreitenden Entwicklung bei den Kameraprozessoren, die vor allem dazu diente, das stark komprimierte JPG-Bild aufzuhübschen, stellte sich heraus, dass die entwickelten Algorithmen es auch ermöglichten, konstruktionsbedingte Schwächen der Bildsensoren wie Rauschen, ISO-Empfindlichkeit oder Schärfe zu kaschieren. Auch die Serienbildfunktion lässt sich durch interne Eingriffe bei der RAW-Kompression merklich verbessern, ohne dass dem User dies angezeigt würde. Darüber hinaus lassen sich Kosten bei der Objektiventwicklung sparen, wenn man nach der Aufnahme die optischen Fehler direkt intern korrigiert, was im nächsten Schritt zur elektronischen Objektivkorrektur führte.
Die hier sicher nicht vollständig erfassten und beschriebenen Software-Eingriffe entsprechen im wesentlichem denjenigen der aktuellen Smartphone-Generation mit ihrer „Computational Photography“ und implizieren so nebenbei auch eine neue (automatisierte) Bildsprache.
Vor allem mit der Einführung der DSLM (spiegellose Systemkamera) haben auch die Marktführer bei den Spiegelreflexkameras, Canon und Nikon, diese Praxis übernommen. Da es für das RAW-Format keinen allgemeingültigen Standard gibt, können die Hersteller natürlich alle ihr eigenes Süppchen kochen, was noch zusätzlichen Antrieb dadurch bekommt, dass der Markt der Bildsensor-Hersteller sehr überschaubar geworden ist. Das faktische Oligopol bei der Sensorherstellung für System-Kameras mit APS-C- und FX- (Vollformat) Sensoren beschränkt sich heute auf vier große Firmen: Sony, Canon, Fuji und TowerJazz. Der Status bei Nikon ist unklar, bekannt ist aber, dass man dort eng mit Sony und der israelischen Firma TowerJazz zusammenarbeitet. Der kontinuierlich und drastisch schrumpfende Markt in diesem Bereich ist so eng und derart hart umkämpft, dass es sich heute kein Sensor- bzw. Kamerahersteller mehr leisten kann, diese Tricks der RAW-Manipulation nicht anzubieten und zu verwenden.
Schlussbemerkung
Wenn man bedenkt, dass es seit 20 Jahren eine immer wiederkehrende und sehr lebhafte, kontroverse Diskussion zwischen den Anhängern des RAW-Formates, die sich bisher auch oft als Elite der Fotoszene verstanden haben, und den als „Knipser“ verschrienen JPG-Nutzern gab, muss man nun wohl alles neu auf den Prüfstand stellen.
Objektiv betrachtet musste man schon vor dem Erscheinen der D850 einräumen, dass die JPG-Qualität der Fotos, die direkt aus der Kamera kamen, sehr, sehr gut waren, und zumindest in den Einsatzbereichen, die keine großen Bildformate brauchten, völlig ausreichten. Dies wurde von der tatsächlichen Nutzung des JPG-Formats für Sport-, Journalismus- und Dokumentarfotografie auch auf breiter Basis bestätigt. Allerdings mussten dem User die Grenzen des auf 8-Bit komprimierten JPGs hinsichtlich des Kontrastumfangs und der Farbdarstellung bewusst und der persönliche Workflow entsprechend angepasst sein. Außerdem gab es bis zur Einführung der nichtdestruktiven Bildbearbeitung eine Reihe von Nachteilen bei der Nach- und Weiterverarbeitung der JPGs.
Für die Puristen, die z.B. keinen Zeitdruck hatten und gerne die volle Kontrolle über die Ausentwicklung ihrer Fotos haben wollten, war natürlich das RAW-Format der „Heilige Gral“, und die Kamerahersteller kamen dieser Nutzergruppe gerne mit hochpreisigen Kameramodellen entgegen. Sie gingen sogar noch einen Schritt weiter und boten die Speicherung der RAWs und JPGs sogar parallel an. Ab da konnte nun jeder selbst entscheiden wie er seine Fotos behandeln wollte.
Ich selbst nutze abhängig von der Aufgabenstellung beide Dateiformate, muss aber zugeben das ich auch zu den RAW-Format-Liebhabern zähle, zumindest bis dato. Allerdings bin ich durch einen kürzlich gemachten Objektiv-Test, u.a. mit einer Z50 und einer Z 7ll, der vor dem Hintergrund fehlender aktueller RAW-Konverter-Software auf JPG-Basis gemacht werden musste, nachdenklich geworden, waren doch die vollaufgelösten JPGs auf meinen 4k-Monitor von überragender Qualität!
Nach Beginn der Digitalisierung der Fotografie hat es gut 20 Jahre gebraucht, um zu den heutigen Standards der Bild-Verarbeitung zu kommen – und die Entwicklung schreitet, siehe KI, weiter voran.
Da ich grundsätzlich versuche, mit dem Thema Foto-Technik pragmatisch umzugehen, begrüße ich natürlich alle sinnvollen Ansätze, die das Endergebnis (das Bild, welches ich haben will) verbessert. Ob ich mich dann auch auf jede Sau, die durchs Dorf getrieben wird, setze, ist eine ganz andere Frage.
Was ich als User aber nicht tolerieren kann, ist die Vorgehensweise der Kamera-Hersteller, die Korrekturen an den RAW-Dateien zu verschleiern und mir als Nutzer nicht die Möglichkeit einzuräumen, die automatischen Korrekturen an den RAW-Dateien abzuschalten, so dass ich tatsächlich wieder „Roh-Kost“ erhalte, mit der ich dann mein eigenes Süppchen kochen kann!
© Dieter Doeblin. Jedwede Art der Veröffentlichung, auch auszugsweise, bedarf der Genehmigung. Text: Dieter Doeblin; Bilder/Grafiken: D. Doeblin